Burkhard Müller-Ullrich: Der 10. Dezember ist nicht nur Nobelpreistag, sondern auch der Tag der Menschenrechte. Heute vor 60 Jahren verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und deshalb senden wir heute nicht nur aus Stockholm, sondern auch aus New York, wo es jetzt 20 vor zwölf am Vormittag ist und im Trusteeship Council Chamber der UNO, einem Saal, dessen Ausstattung von Dänemark finanziert wurde, eine Paneldiskussion über die Möglichkeiten einer vollen Implementierung der Menschenrechtserklärung stattfindet.
Müller-Ullrich: Das war eine jetzt eine Wortmeldung der Vertreterin Neuseelands. Und wir wollen uns hier in "Kultur heute" ein wenig mit den philosophischen Hintergründen der Menschenrechte befassen. Dazu begrüße ich am Telefon den Leiter der Deutschen Abteilung Menschenrechte und Kulturen des Europäischen UNESCO-Lehrstuhls für Philosophie in Paris, Prof. Hans Jörg Sandkühler. Die Menschenrechte sind ja ein Ergebnis der Aufklärung, jener Denkrichtung, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts vorherrschend wurde, aber die Menschenrechte gehen auch auf den christlich-jüdischen Gedanken der Gottesebenbildlichkeit des Menschen zurück, denn daraus folgt logischerweise, dass die Menschen alles gleich sind. Das ist Geschichte, Philosophie, Geschichte. Aber Philosophie ist doch etwas anderes als bloß ein Spiel, eine Abfolge von Ideen. Kann man die Menschenrechte irgendwie logisch systematisch begründen?
Hans Jörg Sandkühler: Die Menschenrechte sind in der langen Tradition der Herausbildung zunächst der Idee und dann ihrer Rechtsförmigkeit immer wieder philosophisch begründet worden. Man kann allerdings nicht davon sprechen, dass eine konsensuelle Philosophie der Menschenrechte gibt. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass es zumindest einen wesentlichen übereinstimmenden Punkt in allen Philosophien gibt, und das ist die Begründung der Idee der Menschenrechte durch den Begriff der Menschenwürde. Artikel I, Abs. 1 des Grundgesetzes, "Die Würde des Menschen ist unantastbar", das ist die eigentliche Quelle der Rechtsgültigkeit der Menschenrechte.
Müller-Ullrich: Nun gut, aber das ist eine Setzung. Kann man die irgendwie noch weiter zurückführen?
Sandkühler: Das ist ein Setzung, die in jahrhundertelangen Auseinandersetzungen um Emanzipation und Freiheit durchgesetzt hat. Es handelt sich um einen Rechtssatz. Und dieser Rechtssatz ist unbedingt, er steht unter keiner Bedingung der Religion, der Nationen, des Geschlechts usw. Er ist unbedingt und gilt als solcher, sowohl im internationalen Recht wie im nationalen Verfassungsrecht.
Müller-Ullrich: Diese Unbedingtheit, von der Sie gerade sprachen, ist aber doch ein ziemliches Problem. Denn im Grunde ist da ja ein Selbstwiderspruch eingebaut, wenn die Menschenrechte u.a. eben die Individualität besonders schützen, auch die kulturelle Identität. Was ist dann mit anderen Kulturen, die sagen, wir sehen das aber ganz anders und von wegen Unbedingtheit?
Sandkühler: Das ist ein tatsächlich in der Praxis extrem schwieriges Problem. Es ist rechtlich gesehen insofern kein Problem, als erstens fast alle den Vereinten Nationen angehörenden Staaten sowohl die allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 wie auch den Zivilpakt und den Pakt über ökonomische soziale und kulturelle Menschenrechte von 1966 unterschrieben haben. Der zweite, noch wichtigere Punkt ist, dass seit den in den 60er-Jahren in Wien ausgehandelten Verträgen über Verträge eine Revolution im Völkerrecht eingetreten ist und die bedeutet, Staaten müssen nicht mehr Signatarpartner sein, sie müssen nicht mehr die Pakte unterschrieben haben, um dem zwingenden Recht der internationalen Rechtsgemeinschaft zu unterliegen. Insofern haben andere Kulturen keine Rechte, die durch das Völkerrecht abgedeckt wären, zum Beispiel wie in den islamischen Menschenrechtserklärungen, die Rechte der Frauen unter dem Vorbehalt der Scharia zu stellen. Das ist heute zwar de facto noch möglich, wenn autoritäre Regierungen Menschenrechtserklärungen erlassen. Das entspricht aber nicht dem internationalen Recht, dass die Rechte der Frauen unabhängig von der Scharia schützt.
Müller-Ullrich: Es gibt ein philosophisches Ringen um die Kodifizierung und es gibt ein politisches Ringen um die Anwendung der Menschenrechte. Beides hat nicht unbedingt miteinander zu tun. Zum Schluss mal ganz provokativ. Können Sie sich vorstellen, es gäbe diese Deklaration der Menschenrechte heute nicht, der Weltenlauf wäre so gegangen, wie er bis heute geht, aber wir hätten nicht diesen Text, sähe die Welt wirklich ganz anders aus?
Sandkühler: Die Welt sähe anders aus, denn die Erklärung von 1948 ist das Ergebnis der Aushandlung der Anti-Hitler-Koalition. Wir müssen uns nur vorstellen, 1945 hätte das Dritte Reich nicht geendet und Europa wäre unterjocht worden. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu wissen, wie wir dann heute dastünden.
Müller-Ullrich: Ist aber eine Frage des Kriegsausgangs und nicht der Menschenrechte.
Sandkühler: Der Kriegsausgang hat zu der Formulierung in der Präambel der Allgemeinen Erklärung geführt, dass nach den Erfahrungen der Barbarei Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit durch das Recht gesichert werden müssen. Die Idee der Verrechtlichung der moralischen Menschenrechte sind das eigentliche Ergebnis des Terrors und der Barbarei des 20. Jahrhunderts.
Müller-Ullrich: Das war der Philosophieprofessor Hans Jörg Sandkühler zum heutigen 60. Jahrestag der UN-Menschenrechtserklärung.
Müller-Ullrich: Das war eine jetzt eine Wortmeldung der Vertreterin Neuseelands. Und wir wollen uns hier in "Kultur heute" ein wenig mit den philosophischen Hintergründen der Menschenrechte befassen. Dazu begrüße ich am Telefon den Leiter der Deutschen Abteilung Menschenrechte und Kulturen des Europäischen UNESCO-Lehrstuhls für Philosophie in Paris, Prof. Hans Jörg Sandkühler. Die Menschenrechte sind ja ein Ergebnis der Aufklärung, jener Denkrichtung, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts vorherrschend wurde, aber die Menschenrechte gehen auch auf den christlich-jüdischen Gedanken der Gottesebenbildlichkeit des Menschen zurück, denn daraus folgt logischerweise, dass die Menschen alles gleich sind. Das ist Geschichte, Philosophie, Geschichte. Aber Philosophie ist doch etwas anderes als bloß ein Spiel, eine Abfolge von Ideen. Kann man die Menschenrechte irgendwie logisch systematisch begründen?
Hans Jörg Sandkühler: Die Menschenrechte sind in der langen Tradition der Herausbildung zunächst der Idee und dann ihrer Rechtsförmigkeit immer wieder philosophisch begründet worden. Man kann allerdings nicht davon sprechen, dass eine konsensuelle Philosophie der Menschenrechte gibt. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass es zumindest einen wesentlichen übereinstimmenden Punkt in allen Philosophien gibt, und das ist die Begründung der Idee der Menschenrechte durch den Begriff der Menschenwürde. Artikel I, Abs. 1 des Grundgesetzes, "Die Würde des Menschen ist unantastbar", das ist die eigentliche Quelle der Rechtsgültigkeit der Menschenrechte.
Müller-Ullrich: Nun gut, aber das ist eine Setzung. Kann man die irgendwie noch weiter zurückführen?
Sandkühler: Das ist ein Setzung, die in jahrhundertelangen Auseinandersetzungen um Emanzipation und Freiheit durchgesetzt hat. Es handelt sich um einen Rechtssatz. Und dieser Rechtssatz ist unbedingt, er steht unter keiner Bedingung der Religion, der Nationen, des Geschlechts usw. Er ist unbedingt und gilt als solcher, sowohl im internationalen Recht wie im nationalen Verfassungsrecht.
Müller-Ullrich: Diese Unbedingtheit, von der Sie gerade sprachen, ist aber doch ein ziemliches Problem. Denn im Grunde ist da ja ein Selbstwiderspruch eingebaut, wenn die Menschenrechte u.a. eben die Individualität besonders schützen, auch die kulturelle Identität. Was ist dann mit anderen Kulturen, die sagen, wir sehen das aber ganz anders und von wegen Unbedingtheit?
Sandkühler: Das ist ein tatsächlich in der Praxis extrem schwieriges Problem. Es ist rechtlich gesehen insofern kein Problem, als erstens fast alle den Vereinten Nationen angehörenden Staaten sowohl die allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 wie auch den Zivilpakt und den Pakt über ökonomische soziale und kulturelle Menschenrechte von 1966 unterschrieben haben. Der zweite, noch wichtigere Punkt ist, dass seit den in den 60er-Jahren in Wien ausgehandelten Verträgen über Verträge eine Revolution im Völkerrecht eingetreten ist und die bedeutet, Staaten müssen nicht mehr Signatarpartner sein, sie müssen nicht mehr die Pakte unterschrieben haben, um dem zwingenden Recht der internationalen Rechtsgemeinschaft zu unterliegen. Insofern haben andere Kulturen keine Rechte, die durch das Völkerrecht abgedeckt wären, zum Beispiel wie in den islamischen Menschenrechtserklärungen, die Rechte der Frauen unter dem Vorbehalt der Scharia zu stellen. Das ist heute zwar de facto noch möglich, wenn autoritäre Regierungen Menschenrechtserklärungen erlassen. Das entspricht aber nicht dem internationalen Recht, dass die Rechte der Frauen unabhängig von der Scharia schützt.
Müller-Ullrich: Es gibt ein philosophisches Ringen um die Kodifizierung und es gibt ein politisches Ringen um die Anwendung der Menschenrechte. Beides hat nicht unbedingt miteinander zu tun. Zum Schluss mal ganz provokativ. Können Sie sich vorstellen, es gäbe diese Deklaration der Menschenrechte heute nicht, der Weltenlauf wäre so gegangen, wie er bis heute geht, aber wir hätten nicht diesen Text, sähe die Welt wirklich ganz anders aus?
Sandkühler: Die Welt sähe anders aus, denn die Erklärung von 1948 ist das Ergebnis der Aushandlung der Anti-Hitler-Koalition. Wir müssen uns nur vorstellen, 1945 hätte das Dritte Reich nicht geendet und Europa wäre unterjocht worden. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu wissen, wie wir dann heute dastünden.
Müller-Ullrich: Ist aber eine Frage des Kriegsausgangs und nicht der Menschenrechte.
Sandkühler: Der Kriegsausgang hat zu der Formulierung in der Präambel der Allgemeinen Erklärung geführt, dass nach den Erfahrungen der Barbarei Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit durch das Recht gesichert werden müssen. Die Idee der Verrechtlichung der moralischen Menschenrechte sind das eigentliche Ergebnis des Terrors und der Barbarei des 20. Jahrhunderts.
Müller-Ullrich: Das war der Philosophieprofessor Hans Jörg Sandkühler zum heutigen 60. Jahrestag der UN-Menschenrechtserklärung.