Die Weltmeister von 2010

Nach dem Weltmeistertitel von 1990 hielten die Verantwortlichen im Deutschen Fußball-Bund ihre Nationalmannschaft auf Jahre hinweg für nahezu unschlagbar. Doch weit gefehlt: Versäumnisse in der Nachwuchsarbeit führten zum Sturz ins Mittelmaß. Spät hat man aus den Fehlern gelernt, für die WM im eigenen Land vielleicht zu spät.

Von Stefan Heinlein |
    "Andreas Brehme - er steht, steht am Strafraumrand - jetzt ist der Ball freigegeben – rechter Fuß und Tooooor ."

    Es bleibt beim 1:0 gegen Argentinien. 1990 ist Deutschland erneut an der Spitze des Weltfußballs, Höhepunkt und zugleich Abschluss der Ära Beckenbauer.

    "Deutschland ist Fußballweltmeister - am Abend des 8. Juli um 21.50 Uhr ist die deutsche Mannschaft Fußballweltmeister in Italien geworden."

    "Jetzt kommen die Spieler aus Ostdeutschland noch dazu. Ich glaube, dass die deutsche Mannschaft auf Jahre hinaus nicht zu besiegen sein wird. Das tut mir leid für den Rest der Welt."

    Mit seiner optimistischen Prognose hinterlässt der Teamchef eine schwere Hypothek für seinen Nachfolger. Zu lange verlässt sich Berti Vogts auf die WM-Helden von 1990, nur wenige Nachwuchsspieler schaffen in den kommenden Jahren den Sprung in die Nationalmannschaft. Die deutsche Elf versinkt im spielerischen Mittelmaß.

    "Wir haben ein großes Loch gehabt nach der WM 1990, als dann noch die DDR-Spieler hinzukamen, hat man gedacht man braucht sich über den Nachwuchs keine Sorgen mehr zu machen, aber dann hat sich sehr schnell herausgestellt, dass wir in ein großes Loch gefallen sind schon nach kurzer Zeit, und das ist nicht von heute auf morgen zu ändern."

    Hautnah erlebt Helmut Liesen als medizinischer Betreuer die Entwicklung der Nationalmannschaft. Heute ist der Paderborner Sportmediziner Gründungsmitglied der Stiftung Jugendfußball. Das Ziel ist die Entwicklung neuer Ideen für die Ausbildung junger Spieler. Dringend notwendig, denn jahrelang wird nach 1990 beim DFB die Entwicklung verschlafen. Während andere Nationen verstärkt auf junge Leute und neue Konzepte der Nachwuchsförderung setzen, vertraute man in Deutschland auf die alten Rezepte:

    "Was ein Risiko für die Entwicklung ist, ist zuviel Druck, ist zuviel Stress, und das ist unser Hauptproblem in Deutschland. Das war auch in den 90er Jahren der Fall insbesondere auch unter der Leitung von Berti Vogts, der immer meinte, immer über Druck, Stress und Belastung, sehr hohe Belastung Leistung zu entwickeln. Das funktioniert aber nicht, insbesondere im Kinder- und Nachwuchsbereich nicht."

    Kampf, Kondition, absoluter Siegeswille – die deutschen Tugenden. Als Berti Vogts 1998 nach der verkorksten WM in Frankreich entnervt das Handtuch wirft, ist der deutsche Fußball am Tiefpunkt. Der Mangel an Talenten spiegelt sich auch in den Vereinsmannschaften wieder, immer mehr ausländische Spieler prägen bis heute das Bild der Bundesliga. Keine einfache Aufgabe für den neuen DFB-Sportdirektor Matthias Sammer:

    "Der allgemeine Tenor in Deutschland ist, ist das alles daniederliegt, keine Talente, wir können nicht mehr Fußball spielen, da sehe ich eine große Problematik für mich - für mich ist das alles ein Stück weit kompliziert."
    So kompliziert das Nachwuchsproblem auch ist - bei vielen deutschen Vereinen hat inzwischen ein Umdenken eingesetzt. Werder Bremen gilt als Vorreiter engagierter Jugendarbeit. Im eigenen Internat werden junge Talente auf eine mögliche Profikarriere vorbereitet. 20 Spieler im Alter von 14 bis 19 Jahren trainieren unter der Obhut ehemaliger Profis. Uwe Hartgen ist zuständig für die psychologische Betreuung der Jugendlichen:

    "Wir verfolgen das aber sehr seriös und kontinuierlich über Jahre, egal wie die Bundesliga gerade gespielt hat. Kontinuität spricht für uns. Und diese Gelassenheit zu entwickeln und diese Notwendigkeit zu sehen, das diese Nachwuchsförderung immer einen hohen Stellenwert hat, das führt eben dazu das alle wissen, hier wird gut gearbeitet. Das führt wieder dazu, dass die Spieler zu uns kommen, wir die Möglichkeit haben, sie auszubilden und dadurch Spieler für erste Mannschaft entwickeln können."

    Doch den Sprung in die Profi-Truppe schaffen nur wenige. Ein, zwei Spieler pro Jahrgang erhalten die Chance sich im Erstliga-Kader zu bewähren. Realismus bei den A-Jugendspielern Robert Lohmeier und Julian Grundt:

    "Ja eigene Talente haben es schwer, wenn Vereine viel Geld verdienen durch die Champions League ist es sehr schwer für einen Jugendspieler hochzukommen, dann holt man sich halt einen besseren Spieler und setzt den natürlich ein - es kommen nicht viele raus."

    "Ja, realistisch ist das nicht, aber mein Traum ist es natürlich Fußballprofi zu werden."

    Trotz der harten Auslese im Profibereich, die verstärkte Nachwuchsförderung zahlt sich für die Vereine aus. Auch wer zunächst keinen Vertrag erhält, hat eine erstklassige fußballerische Grundausbildung. Anders als in der Vergangenheit sollen die Talente nicht verheizt, sondern, so Uwe Hartgen, behutsam an den Leistungssport herangeführt werden:

    "Wir haben vielleicht den Fehler gemacht, die Spieler zu früh in Trainingskonzepte zu pressen, weil wir den Straßenfußballer vermissen. Und deshalb hat man gesagt, es muss mehr organisiertes Training stattfinden, wir müssen sie dann holen, damit sie dann dementsprechend häufig trainieren. Dadurch dass sie soviel trainieren, verlernen sie das Spiel an sich. Und die Kunst besteht darin, das Training so zu gestalten, dass die Spielfreude in den jungen Jahren erhalten wird – auch später noch."

    "Es wird das Turnier, die WM ausgespielt, die Kinder haben alle Ländertrikots bekommen und spielen die Weltmeisterschaft schon einmal vor. Die Kinder sollen wieder Spaß an der Bewegung lernen, an der Koordination, am eigenen Körpergefühl. Vor allem Kinder sollen sich begeistern, die sich nicht unbedingt als die Sportcracks bezeichnen, die sonst viel an der Playstation sitzen, sich nicht ausgewogen ernähren. Und genau da soll das Projekt ansetzen, und wir freuen uns sehr, dass dies so klappt."

    Köln-Rudolfplatz – Matthias Bellinghausen von der Deutschen Sporthochschule beschreibt das Projekt "Fit am Ball", eine von unzähligen Veranstaltungen im Umfeld der bevorstehenden WM. Das Turnier im eigenen Lande als Chance, den deutschen Fußball auch in der Breite wieder nach vorn zu bringen. Der DFB hat erkannt, dass auch der Fußball um Nachwuchs werben muss. Mit Erfolg:
    "Zweimal, dreimal die Woche."

    "Ich spiele jeden Tag Fußball."

    "Das ist wichtiger als Playstation und Fernsehen."

    "Nach der Schule spielen wir eigentlich immer."

    Spätestens bei der nächsten WM 2010 in Südafrika soll sich die Breitenförderung auszahlen, für Jürgen Klinsmann und seine Mannschaft könnte das Turnier in diesem Jahr noch zu früh kommen. Die Aufarbeitung der Versäumnisse in der Vergangenheit wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, die Spieler von morgen jedoch drücken schon heute ihren Helden die Daumen.
    Nachwuchskicker in Aktion
    Schon früh soll der Spaß am Spiel gefördert werden. (Stock.XCHNG / Tibor Fazakas)