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"Die werden sich auf Befehlsnotstand berufen"

Die CIA hat unvorstellbare Methoden angewandt, um Geständnisse von mutmaßlichen Terroristen zu erhalten. Präsident Obama will das eigentlich aufgearbeitet sehen, wirkt aber zögerlich bei der Umsetzung - was er nicht sein dürfe, meint Gerhart Baum.

    Katja Lückert: Folter durch erzwungenes Hören eines überlauten und sich ständig wiederholenden Musikstücks – dies ist auch eine Foltermethode, die zu den sogenannten weichen Folterarten gehört. Der amerikanische Geheimdienst CIA steht im Verdacht, im sogenannten Krieg gegen den Terror – insbesondere in Gefängnissen im Irak und in Afghanistan – solche Methoden angewandt zu haben. Der amerikanische Justizminister Eric Holder will dies nun genauer untersuchen lassen – die Frage ging an den ehemaligen deutschen Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum: Präsident Barack Obama reagierte auf dieses Ansinnen eher zurückhaltend bisher, warum?

    Gerhart Rudolf Baum: Also das wundert mich sehr, möglicherweise will Obama die früher politisch Verantwortlichen, also Rumsfeld und Bush, schützen, aber er stößt hier an Grenzen, denn es geht ja um Folter. Im Wesentlichen geht es um Folter, und Folter ist nach dem amerikanischen Recht verboten. Das heißt, hier können sich die amerikanischen Behörden auf Dauer nicht gegen ihr eigenes Rechtssystem stellen. Und Obama hatte ja gesagt bei seiner Amtseinführung, dass wir den Terror, sagt er, bekämpfen müssen in der Tradition der Rechtsstaatlichkeit und des Schutzes der Menschenrechte, wie sie von den Gründervätern uns überkommen ist. Also er hat seinen Anspruch sehr hoch gelegt. Und die sogenannten kreativen Verhörtechniken der CIA, also die Softfolter, wie das beschönigend heißt, war ja eine jahrelange Praxis, und die Öffentlichkeit in Amerika wusste das, das ist ja auch im Kongress diskutiert worden. Und im Übrigen eine Praxis, die es schon im Koreakrieg gegeben hat. Das ist eine schlimme Tradition der amerikanischen Sicherheitsbehörden, also nichts Neues.

    Lückert: Es geschah aber alles noch in der Ära Bush, da könnte sich Obama doch einfach zurücklehnen?

    Baum: Ja, er müsste sich zurücklehnen und sagen, jetzt setze ich das Recht durch, und es gibt eine Autorisierung durch Juristen der Bush-Administration, das geht gar nicht. Und die Amerikaner sollten sich daran erinnern, dass sie den Angeklagten von Nürnberg, also unseren Kriegsverbrechern hier, den Nazis, die Berufung auf jeglichen Befehlsnotstand verweigert haben. Das heißt also, auch die Täter, die also Waterboarding, Scheinertränkungen, praktiziert haben, oder das sogenannte Walling, wo Menschen an eine Wand geworfen wurden, diese erniedrigenden Verhörtechniken sind von Menschen ausgeführt worden, die jetzt auch zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Das ist eine schwierige Situation für den Obama, denn die werden sich auf Befehlsnotstand berufen, und die politischen Amtsvorgänger werden natürlich voll hier mit in die Kritik gezogen.

    Lückert: Was wissen wir eigentlich gesichert schon über diese Folterungen und ist es eigentlich möglich, dann Regierungen strafrechtlich zu belangen?

    Baum: Wir wissen sehr viel, nämlich wir wissen vor allen Dingen das, was die Amerikaner selbst veröffentlicht haben. Die amerikanische Regierung hat jetzt Dokumente zu den Verhörmethoden des Auslandsgeheimdienstes CIA freigegeben, und da werden schreckliche Dinge offenbart, wie Menschen eingeschüchtert worden sind mithilfe von Augenbinden, schalldichten Ohrklappen, den Gefangenen, sie werden bedroht, sie werden beleuchteten, ständig grell beleuchteten Zellen untergebracht, die Lautstärke wurde ganz hochgesetzt, dass sie also dauerhaft der Lautstärke eines vorbeifahrenden Güterzuges entsprach. Das alles haben die Amerikaner jetzt selber offengelegt, das ist immerhin ein großes Verdienst. Und die Amerikaner sollten sich darauf berufen, dass sie ein Rechtsstaat sind, der geprägt hat die freiheitlichen Verfassungen in der ganzen Welt, mit der großen Verfassung von 1776. Also sie sollten sich auf ihre Traditionen berufen.

    Lückert: Jetzt haben Sie schon so starke Worte gefunden, dass ich mich kaum traue zu fragen: Kann es denn überhaupt irgendeine Rechtfertigung geben – das ist ein merkwürdiges Wort, aber der Krieg fordert auch Opfer.

    Baum: Ja, es ist eben kein Krieg, das ist die Fehleinschätzung der Amerikaner, es gibt keinen Krieg gegen den Terror. Wir befinden uns nicht im Kriegszustand, sondern wir kämpfen gegen Verbrecher, wir kämpfen gegen Kriminalität. Das heißt, wir müssen uns an die Rechte halten, die auch Verbrechern und Rechtsbrechern zustehen, und das haben die Amerikaner eben nicht gemacht. Sie haben sich in ein Feindstrafrecht hineingesteigert, in dem jedes Mittel recht sein sollte. Und diese Entwicklung, die auch bei uns hier zum Teil vertreten ist – hier soll ja die Rettungsfolter nach Ansicht einiger Staatsrechtler eingeführt werden –, ist verheerend. Es gibt ein absolutes Folterverbot im Völkerrecht und im Übrigen auch in unserer Verfassung, und dieses darf auf keinen Fall gelockert werden. Das Folterverbot ist auch notstandsfest. Es gibt Menschenrechte, die relativiert werden können in einem Notstand, beispielsweise die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit. Das Folterverbot ist absolut, und die Amerikaner schaden ihrer Glaubwürdigkeit im Kampf für demokratische Grundrechte weltweit, wenn sie selber diese Grundrechte so verletzen.

    Lückert: Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum zu den Foltervorwürfen gegen den amerikanischen Geheimdienst CIA.