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Die Wiederkehr des schönen Buches

Die Andere Bibliothek wurde 1985 von Hans Magnus Enzensberger und dem Verleger Franz Greno begründet. Schon mehr als einmal totgesagt, soll die exquisite Buchreihe unter dem Dach des Aufbau-Verlags in neuem Glanz erstrahlen. Verantwortlich dafür ist der Herausgeber Christian Döring.

Von Holger Heimann | 08.05.2013
    "Das ist dieses Auseinanderdriften in der Entwicklung. Auf der einen Seite das graue Lesegerät, mit dem merkwürdigen, süddeutschen Namen geradezu: Kindle. Und auf der anderen Seite wird es das Buch geben, das ich das schöne Buch nenne und auch das teure und das anspruchsvolle Buch. Je rasanter diese Digitalisierung voranschreitet, desto rasanter wird wahrscheinlich auch das Bedürfnis nach dem schönen Buch sein oder wieder auferstehen. Die billigen Bücher verschwinden und die schönen Bücher treten immer stärker auf den Plan. Und man könnte sagen, die geniale Erfindung der Anderen Bibliothek vor bald 30 Jahren war es, von dieser Entwicklung etwas vorwegzunehmen, vorauszuschauen. Greno und Enzensberger hatten ja die Parole, wir wollen nur Bücher machen, die wir selber gerne lesen möchten, insofern – mehr vom Inhaltlichen gedacht – auch einer Wegwerfliteratur entgegenwirken."

    Christian Döring, ehemals Lektor bei Suhrkamp und seit Januar 2011 Herausgeber der Anderen Bibliothek, sieht sich durch die steigende Zahl der Abonnenten bestätigt. Ohne deren bibliophile Leidenschaft wäre die exklusive Reihe kaufmännisch nicht haltbar. Aber es ist ein langsamer Zuwachs, knapp 2000 stetige Bezieher sind es momentan. Große Erfolge und Rekordauflagen wie jene mit Büchern von W. G. Sebald oder Christoph Ransmayr liegen weit zurück. Die Leser der ersten Titel sind alt geworden. Wer kauft in Zukunft die teuren Bände? Wachsen ihre Liebhaber in ausreichender Zahl nach?

    "Natürlich gibt es einen bildungsbürgerlichen Hintergrund als den typischen Leser der Anderen Bibliothek oder als den Sammler. Dazu gehört dann ja in der Regel auch ein repräsentativer Raum mit den entsprechenden Bücherregalen. Und das findet man unter 20- oder 30-Jährigen wenig."

    Seit vergangenem Sommer werden die einzelnen monatlich erscheinenden Titel jeweils von einem anderen Gestalter geprägt. Es sind die Besten und Bekanntesten ihres Metiers. Jeder Band soll noch unverwechselbarer werden, markanter, besonderer. Der vielfach ausgezeichnete Friedrich Forssman etwa hat die bei uns bislang unbekannten späten Erzählungen "Die Paradoxe des Mr. Pond und andere Überspanntheiten" des britischen Exzentrikers G. K. Chesterton auf kongeniale Weise aufs Papier gebracht. Das Muster des Leineneinbandes wiederholt Forssman auch auf den Buchseiten und doch sieht jedes Blatt anders aus. Das Buch – womöglich das gelungenste unter den vielen schönen der Reihe – in die Hand zu nehmen, ist eine Freude. Dennoch stellt sich die Frage: Lohnt sich der Aufwand?

    "Worin besteht der Lohn für die Herstellung und die Verbreitung von schönen Büchern? In gewisser Weise ist das unbezahlbar. Das war von Anfang an der gestaltende Gedanke: Schönste Bücher sollen zusammenfinden mit anderen, mit ungewöhnlichen Inhalten. Das fügt sich zusammen in anspruchsvollen Buchkörpern. Und das kostet natürlich herstellerisch seinen Preis."

    Und dieser hat Auswirkungen auf den Betrag, den der Leser für einen Titel der Anderen Bibliothek ausgeben muss. 38 Euro sind es für Chesterton, ebenso viel für den im Januar erschienenen 337. Band: die "Reisen eines Deutschen in Italien" von Karl Philipp Moritz. Die Sonderbände im größeren Folio-Format kosten während einer Einführungszeit 79, dann gar 99 Euro. Abschreckend wirkt das offenbar nicht: Adelbert von Chamissos "Reise um die Welt" zählt mit über 4000 verkauften Exemplaren zu den erfolgreichsten Büchern der Anderen Bibliothek in jüngerer Zeit. Der farbige Bericht des berühmten Dichters und Botanikers von einer mehrjährigen Schiffsexpedition auf der Suche nach der Nordwestpassage ist seit 1836 in verschiedenen Ausgaben erschienen. Der Band der Anderen Bibliothek versammelt nun erstmals auch sämtliche Lithografien des Malers Ludwig Choris, die dieser von der Fahrt mit zurückbrachte. Für Döring ist die Nachfrage eine Bestätigung seiner Arbeit.

    "Schöne Bücher sind gefragt, schöne Bücher sind auf dem Vormarsch. Das Folio-Format der Anderen Bibliothek macht es vor. Diese Bücher sind teuer. Und dieser Preis schreckt keinen interessierten Leser ab. Natürlich höre ich auch einmal: ‚Mein Gott, ich würde so gern die Märchen in dieser Ausstattung lesen, aber 99 Euro kann ich mir nun wirklich nicht leisten.’ Und wenn das zu mir eine 18-jährige Schülerin sagt, dann wird’s mir weich ums Herz und dann schenke ich ihr am liebsten diesen Band."

    Die von Märchenpapst Heinz Rölleke vorgestellten und von Albert Schindehütte illustrierten Geschichten der Brüder Grimm sind trotz des stolzen Preises so begehrt wie kaum ein anderes Buch der Reihe.

    "Wenn wir ganz zynisch wären und nur betriebsökonomisch dächten, müsste man eigentlich die Überlegung anstellten, lassen wir die zwölf Bände der Anderen Bibliothek weg und machen vier oder sechs Sonderbände oder überführen die Andere Bibliothek in ein Folio-Format. Wir würden es leichter haben. Wenn man die Verteuerung von Gegenständen des Lebens – zählen wir das Buch dazu – betrachtet, dann müsste es eigentlich normal sein, dass ein Buch 40 Euro kostet."

    Christian Döring steht mit seiner Sichtweise nicht allein. Die Angst, bestimmte Preisschwellen zu überschreiten und damit Käufer zu verprellen, lässt die meisten Verlage bislang aber vor markanten Erhöhungen zurückschrecken. Doch die Andere Bibliothek, die nicht von ungefähr so heißt, schert auch hier seit je aus. Enzensberger und Greno planten die Reihe 1985 dezidiert als Alternativprogramm zur Massenproduktion der Verlage. Die Zahl der Neuerscheinungen wie auch die Uniformität der Produktion hat seitdem noch weiter zugenommen. Es gibt deshalb Verleger, die fürchten, dass durch den immensen Ausstoß der Verlage die Regale in den Buchhandlungen mit Austauchbarem verstopft werden und für das besondere Buch immer weniger Platz bleibt. Döring hingegen ist Optimist.

    "Diese Entwicklung ist nun gewendet oder findet eine eher unvorhergesehene Fortentwicklung, und die ist für die Andere Bibliothek günstig. Denn ein großer Teil dieses zudeckenden Billigbücherhaufens, diese Content-Kultur, die ist am Verschwinden und verlagert sich in das Lesegerät, in das Elektronische hinein. Nun ist das schöne Buch wieder wie freigelegt. Ich gehöre nicht zu denen, die nun über das elektronische Lesen sich ungehemmt erregen. Auch ich sitze im Zug oder im Flugzeug und habe ein Manuskript auf dem Lesegerät, vielleicht wird dieses Manuskript sogar zu einem Band der Anderen Bibliothek. Vielleicht müssen wir auch die Überlegung anstellen, jemand, der ein Buch der Anderen Bibliothek erwirbt, der erwirbt damit auch die Möglichkeit, sich das Buch auf sein Lesegerät down zu laden. Und das bedeutet ja auch keine Gegenrede gegen die Schönheit des Buches, wenn jemand beides möchte."

    Das digitale Buch nicht allein als Ersatz, sondern auch als Ergänzung zu denken, verändert die Perspektive. Der enorme Aufschwung des E-Book mit einer Verdopplung der Verkäufe im vergangenen Jahr erscheint erst recht als positives Zeichen – auch für die Buchkultur im Land.