1769/70, Beethoven war noch nicht geboren, da erschienen in London und Amsterdam die Sinfonien Opus VI von "John Bach". Nicht wenige erblicken in ihnen den Prototyp der Gattung, die Wiege der Wiener Klassik stünde demnach an der Themse. Wie dem auch sei, der "Music Master to Her Majesty the Queen" und jüngste Sohn des großen alten Bach war ein bedeutender Mann, mag die Musikgeschichtsschreibung ihn auch nicht immer als die überragende Gestalt betrachtet haben, die er für seine Zeitgenossen ganz ohne Zweifel war. "Ich liebe ihn ... von ganzem Herzen und habe Hochachtung für ihn", das sagte nicht irgendwer, sondern Wolfgang Amadeus Mozart. Die besondere Zuneigung rührte noch von ihrer ersten Begegnung her, in London 1764. Es war ein wahrhaft historischer Moment und allen, die das Glück hatten, dabei zu sein, wohl unvergesslich, wie Bach, damals selbst noch im fast jugendlichen Alter von neunundzwanzig Jahren, den achtjährigen Wunderknaben "zwischen die Füße" nahm und mit ihm gemeinsam in die Tasten hieb. Erst der eine ein paar Takte, dann der andere, eine ganze Sonate haben sie auf diese Weise improvisiert; "und wer solches nicht sahe", berichtete Mozarts Schwester, "glaubte es wäre solche allein von einem gespielt." In Mozart wirkte das Londoner Bach-Erlebnis mächtig nach, ganz unmittelbar in den frühen, noch unselbständigen Klavierkonzerten und Sinfonien, aber auch in reiferen Werken wie der für seine spätere Frau Konstanze komponierten Konzertarie "Non sò, d'onde viene". Wer sie hörte, erkannte sogleich das Vorbild des berühmten Bach. Uns geht es umgekehrt. Wir hören ein Stück wie die Bach'sche g moll Sinfonie und denken, das kann doch nur von Mozart sein...
* Musikbeispiel: Joh. Chr. Bach - 1. Satz, Allegro aus: Sinfonie g-moll, op. 6/6
Vor mehr als zwanzig Jahren hat sich die Berliner Akademie der Barockmusik verschrieben. Mit so geschärftem Sinn für den Epochenwandel nach der Mitte des 18. Jahrhunderts brechen Stephan Mai und seine Mitspieler nun zu neuen Ufern auf, und dem Hörer, der sich ihnen anvertraut -- auch wenn er kein sanftes Plätschern erwartet hatte -- steht eine, um das mindeste zu sagen, stürmische Überfahrt bevor. Wer das berühmte Bach-Bild von Gainsborough vor Augen hat, wird überrascht sein von diesem Ungestüm und Feuer, das so gar nicht zu dem eleganten, ein wenig schmallippig und dandyhaft dreinblickenden Herrn zu passen scheint. Die äußerst direkte, das Schnaufen und sogar das Fingerklappern der Akademiker abbildende Aufnahmetechnik kehrt die ungewohnt raue Seite des Gentlemans noch stärker hervor.
* Musikbeispiel: Joh. Chr. Bach - 3. Satz, Allegro molto aus: Sinfonie g-moll, op. 6/6
Vorsicht Denkfalle! Diese Warnung möchte man wie bei der g-moll-Sinfonie auch dem B-Dur-Konzert Opus 13 Nr. 4 vorausschicken, denn ein voll entwickeltes Klavierkonzert wie dieses kann doch eigentlich nur von Mozart sein; die Norm-Abweichungen vom klassischen Typus sind minimal, allein der zuweilen etwas rokokohaft verspielte Ton verrät den Geschmack einer älteren Epoche, der auch das Instrument noch angehört. Man wüsste übrigens gern, was für ein Cembalo das ist, auf dem sich Raphael Alpermann hier in untadeliger Weise präsentiert, aber darüber schweigt sich das ansonsten instruktive Begleitheft leider aus.
* Musikbeispiel: Joh. Chr. Bach - 1. Satz, Allegro aus: Klavierkonzert B-Dur op. 13/4
Sie hörten den Kopfsatz des Klavierkonzerts in B-Dur Opus 13 Nr. 4 von Johann Christian Bach, gespielt von Raphael Alpermann und der Akademie für Alte Berlin unter der Leitung von Stephan Mai. Der melodische Schwung, der Kontrastreichtum, der Klangsinn und die Spritzigkeit: In dieser Interpretation geht nichts von dem, was den Oberflächenreiz der Werke Johann Christian Bachs ausmacht, verloren, und doch scheinen sich die Berliner mehr für das zu interessieren, was erst sichtbar wird, wenn man an der Oberfläche kratzt. Da zeigen sich dann, wie in der g-moll-Sinfonie, die feinen Risse im äußerlich so glatten Satzgefüge, da werden Dissonanzen freigelegt und auch Reste vom strengen Stil -- das Bach'sche Familienerbe sozusagen, das man bei Johann Christian nicht ohne weiteres erwartet. Denn wie hatte schon der bedeutend ältere Carl Philipp Emanuel gesagt: "Hinter meines Bruders itziger Komposition ist nichts!" Seine Musik falle zwar ins Ohr und fülle es aus, aber das Herz lasse sie leer. -- Ein hartes und nach dem bisher Gehörten haltloses Urteil. Es drückt sich darin wohl vor allem Missbilligung des ausschweifenden Lebenswandels aus, der den jüngsten Bach seiner Heimat, seiner Familie, ja sogar seinem Glauben entfremdet hatte. Dass beide Brüder sich ähnlicher waren, als sie vielleicht dachten, zeigt das letzte Stück dieser CD: ein Flötenkonzert Philipp Emanuels, das rund zwanzig Jahre vor des kleinen Bruders g-Moll-Sinfonie entstand und doch beseelt ist vom gleichen Sturm und Drang. -- Ein erstaunliches Werk, das in dem Traversflötisten Christoph Huntgeburth und der Akademie für Alte Musik Berlin unter Stephan Mai kongeniale Interpreten findet -- und genau jenes Maß an Abrundung und gestalterischen Ernst, wie es diesem nach Meinung eines Zeitgenossen "ersten Classiker der Tonkunst" auch gebührt.
* Musikbeispiel: C. Ph. E. Bach - 3. Satz, Allegro di molto (Ausschnitt) aus: Flötenkonzert d-moll, Wq 22
Die neue Platte im Deutschlandfunk, heute: Sinfonien und Konzerte von Johann Christian und Carl Philipp Emanuel Bach in einer bei Harmonia Mundi erschienenen Aufnahme mit der Akademie für Alte Musik Berlin unter der Leitung von Stephan Mai. Zuletzt erklang ein Ausschnitt aus dem Schlußsatz, Allegro di molto, des Flötenkonzerts in d-moll Wotquenne 22; der Solist war Christoph Huntgeburth.
Johann Christian Bach: Symphonies & Concertos
Solisten: Raphael Alpermann, Cembalo
Christoph Huntgeburth, Flöte
Ensemble: Akademie für Alte Musik Berlin
Leitung: Stephan Mai
Label: Harmonia Mundi France
Labelcode: LC 7045
Bestell-Nr.: HMC 901803
* Musikbeispiel: Joh. Chr. Bach - 1. Satz, Allegro aus: Sinfonie g-moll, op. 6/6
Vor mehr als zwanzig Jahren hat sich die Berliner Akademie der Barockmusik verschrieben. Mit so geschärftem Sinn für den Epochenwandel nach der Mitte des 18. Jahrhunderts brechen Stephan Mai und seine Mitspieler nun zu neuen Ufern auf, und dem Hörer, der sich ihnen anvertraut -- auch wenn er kein sanftes Plätschern erwartet hatte -- steht eine, um das mindeste zu sagen, stürmische Überfahrt bevor. Wer das berühmte Bach-Bild von Gainsborough vor Augen hat, wird überrascht sein von diesem Ungestüm und Feuer, das so gar nicht zu dem eleganten, ein wenig schmallippig und dandyhaft dreinblickenden Herrn zu passen scheint. Die äußerst direkte, das Schnaufen und sogar das Fingerklappern der Akademiker abbildende Aufnahmetechnik kehrt die ungewohnt raue Seite des Gentlemans noch stärker hervor.
* Musikbeispiel: Joh. Chr. Bach - 3. Satz, Allegro molto aus: Sinfonie g-moll, op. 6/6
Vorsicht Denkfalle! Diese Warnung möchte man wie bei der g-moll-Sinfonie auch dem B-Dur-Konzert Opus 13 Nr. 4 vorausschicken, denn ein voll entwickeltes Klavierkonzert wie dieses kann doch eigentlich nur von Mozart sein; die Norm-Abweichungen vom klassischen Typus sind minimal, allein der zuweilen etwas rokokohaft verspielte Ton verrät den Geschmack einer älteren Epoche, der auch das Instrument noch angehört. Man wüsste übrigens gern, was für ein Cembalo das ist, auf dem sich Raphael Alpermann hier in untadeliger Weise präsentiert, aber darüber schweigt sich das ansonsten instruktive Begleitheft leider aus.
* Musikbeispiel: Joh. Chr. Bach - 1. Satz, Allegro aus: Klavierkonzert B-Dur op. 13/4
Sie hörten den Kopfsatz des Klavierkonzerts in B-Dur Opus 13 Nr. 4 von Johann Christian Bach, gespielt von Raphael Alpermann und der Akademie für Alte Berlin unter der Leitung von Stephan Mai. Der melodische Schwung, der Kontrastreichtum, der Klangsinn und die Spritzigkeit: In dieser Interpretation geht nichts von dem, was den Oberflächenreiz der Werke Johann Christian Bachs ausmacht, verloren, und doch scheinen sich die Berliner mehr für das zu interessieren, was erst sichtbar wird, wenn man an der Oberfläche kratzt. Da zeigen sich dann, wie in der g-moll-Sinfonie, die feinen Risse im äußerlich so glatten Satzgefüge, da werden Dissonanzen freigelegt und auch Reste vom strengen Stil -- das Bach'sche Familienerbe sozusagen, das man bei Johann Christian nicht ohne weiteres erwartet. Denn wie hatte schon der bedeutend ältere Carl Philipp Emanuel gesagt: "Hinter meines Bruders itziger Komposition ist nichts!" Seine Musik falle zwar ins Ohr und fülle es aus, aber das Herz lasse sie leer. -- Ein hartes und nach dem bisher Gehörten haltloses Urteil. Es drückt sich darin wohl vor allem Missbilligung des ausschweifenden Lebenswandels aus, der den jüngsten Bach seiner Heimat, seiner Familie, ja sogar seinem Glauben entfremdet hatte. Dass beide Brüder sich ähnlicher waren, als sie vielleicht dachten, zeigt das letzte Stück dieser CD: ein Flötenkonzert Philipp Emanuels, das rund zwanzig Jahre vor des kleinen Bruders g-Moll-Sinfonie entstand und doch beseelt ist vom gleichen Sturm und Drang. -- Ein erstaunliches Werk, das in dem Traversflötisten Christoph Huntgeburth und der Akademie für Alte Musik Berlin unter Stephan Mai kongeniale Interpreten findet -- und genau jenes Maß an Abrundung und gestalterischen Ernst, wie es diesem nach Meinung eines Zeitgenossen "ersten Classiker der Tonkunst" auch gebührt.
* Musikbeispiel: C. Ph. E. Bach - 3. Satz, Allegro di molto (Ausschnitt) aus: Flötenkonzert d-moll, Wq 22
Die neue Platte im Deutschlandfunk, heute: Sinfonien und Konzerte von Johann Christian und Carl Philipp Emanuel Bach in einer bei Harmonia Mundi erschienenen Aufnahme mit der Akademie für Alte Musik Berlin unter der Leitung von Stephan Mai. Zuletzt erklang ein Ausschnitt aus dem Schlußsatz, Allegro di molto, des Flötenkonzerts in d-moll Wotquenne 22; der Solist war Christoph Huntgeburth.
Johann Christian Bach: Symphonies & Concertos
Solisten: Raphael Alpermann, Cembalo
Christoph Huntgeburth, Flöte
Ensemble: Akademie für Alte Musik Berlin
Leitung: Stephan Mai
Label: Harmonia Mundi France
Labelcode: LC 7045
Bestell-Nr.: HMC 901803