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Die wilden Gallier des Ostens

Die Digedags waren in der DDR echte Superstars: Comicfiguren, die viele in der DDR lange begleiteten, weil sie Träume und Wünsche erfüllten, die für die damaligen Teenager unerreichbar waren. Geschaffen hat sie Johannes Hegenbarth. Das Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig zeigt Originalzeichnungen.

Von Christoph Richter |
    Ein Ausschnitt aus dem nie fertiggestellten Film mit Abenteuern der DDR-Comichelden Dig, Dag und Digedag. Ein gewitztes Knollennasen-Trio, von dem keiner so recht weiß, woher es kommt. In seinen chaotischen Abenteuern passieren ihm Dinge, an denen die drei oft nicht ganz unschuldig sind. Sie waren die wilden Gallier des Ostens.

    Für die Digedags gab es keine Grenzen und Schlagbäume. Sie machten fantastische Reisen in die Zukunft, besuchten die Pharaonen im Orient, begegneten Nofretete oder bewunderten mit offenen Mündern laszive Schönheiten, die sich auf dem Markusplatz in Venedig tummelten. Orte, Plätze und Landschaften, die für die Menschen in der DDR Lichtjahre entfernt waren.

    "Es ermöglichte den jungen Lesern, sich einen geistigen Freiraum zu schaffen, einfach in Welten einzutauchen, die ihnen sonst versperrt blieben."

    Betont Kornelia Lobmeier, Kuratorin der Ausstellung: "Dig, Dag Digedag - DDR-Comic Mosaik". Die Mosaikhefte waren wilde Bilderbögen und beschrieben ein Lebensgefühl, von dem die Teenager in der DDR nur träumen konnten.

    "Es gibt Geschichten davon, dass viele Fans im Nachgang - nach 1990 - mit den Heften im Gepäck dann wirklich nach Rom gefahren sind, um auf den Spuren der Digedags gewandelt sind, um sich das vor Ort anzusehen. Das war immer eine große Sehnsucht."

    Andere Leser sollen ganze Hefte abgezeichnet haben. Bekennende Fans der Digedags sind der Regisseur Leander Haußmann oder der Schriftsteller Uwe Tellkamp.

    Geschaffen wurden die Digedags vom heute 86-jährigen Zeichner Hannes Hegen, mit bürgerlichem Namen Johannes Nepomuk Hegenbarth. Erst kürzlich hat er einen beachtlichen Teil seines Archivs dem Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, der ostdeutsche Zweigstelle des Bonner Hauses der Geschichte überlassen. Rund 37.000 Zeichnungen, darunter unzählige Skizzen, Vorstudien und Modelle, aus denen man jetzt erstmals einen kleinen Ausschnitt von 250 Originalen präsentiert.

    "Er war schon ein genialer Bildergeschichten- und Comicmensch. Für mich als Kind war Hannes Hegen eine Kunstfigur. Ich hab gedacht, das heißt wie bei Dr. Oetker. So ein fiktiver Name nur. Ich hab nicht gedacht, dass es Hannes Hegen wirklich selber gibt. Gibt es aber, und insofern hab ich mir früher nie so richtig Gedanken drüber gemacht zu DDR-Zeiten, als Kind. Später wusste ich schon, dass es einen Hannes Hegen gibt."

    So der sächsische Maler Moritz Götze, dem die Mosaikhefte halfen den Staat zu vergessen, der alles daran setzte, die jungen Menschen zu gängeln und zu kontrollieren. In den Mosaikheften wurde eine normale Sprache gesprochen, Parteipropaganda - wie in anderen Jugendzeitschriften - fand hier keinen Platz.

    1955 erscheint die Bildergeschichten-Reihe in der DDR erstmals am Kiosk, in den Hoch-Zeiten des Kalten Kriegs, als die SED-Genossen in Comics Verlockungen westlicher Unkultur sahen, gegen die man rigide vorzugehen hatte. Unter der Führung des SED-Chefs Walter Ulbricht lies man sich sogar im Juni 1955 zu einer äußerst zweifelhaften Aktion hinreißen und verbrannte demonstrativ auf einem großen Scheiterhaufen vor einer Ost-Berliner Grundschule westliche Comics.

    Doch der Erfolg von Comics war unaufhaltsam und den Genossen ein Dorn im Auge, sodass man nach einem Gegenmittel suchte, erzählt Peter Lang, Kunstkritiker und Kenner der DDR-Comics.

    "Die 50er-Jahre. Die Grenze ist noch nicht so dicht, die Kinder fahren auch nach Westberlin, alle bringen Comics irgendwie mit. Also ich hab mir jetzt sagen lassen, dass in jeder Klasse einer war, der mit Comics gehandelt hat. Das waren Micky-Maus-Comics. Die gab's verbilligt auch noch in Westberlin für DDR-Bürger. Also die ganze DDR muss überflutet gewesen sein mit diesen Comic-Heften. Und da wollte der Staat was gegen machen, hat gesagt, das ist für uns ideologisch unerträglich, also wir machen mal was Neues. Wir brauchen einen eigenen, dem historischen kommunistischen Standpunkt entsprechenden Comic."

    Auf 32 Seiten, farbig koloriert und gedruckt auf holzhaltigem Papier, hat Zeichner Hannes Hegen - losgelöst von politischer Doktrin - einen wirklichen Volkscomic entwickelt. Er vermied es konsequent, seine Helden zu fröhlichen Pionieren und agilen Agitprophelden zu machen, betont Kuratorin Kornelia Lobmeier.

    "Hannes Hegen kam es vor allen Dingen auf unterhaltsame, durchaus auch lehrreiche Freizeitvergnügen an. Und das war das Novum und das erklärt auch die Beliebtheit des Mosaik. Es war wirklich die Ausnahme, so einen politikfreien Raum gab es sonst kaum. Und das war das Faszinierende."

    Mitte der 70er-Jahre hatten die Abenteuer der Digedags eine Auflage von 660.000 Exemplaren - trotzdem waren sie ausverkauft und nur schwer zu bekommen.

    1975 war mit den Digedags Schluss. "Die FDJ hat mich bis aufs Blut gequält" sagte später mal Schöpfer Johannes Hegenbarth, der nicht viele Gönner in den staatlichen Stellen hatte. Heute lebt er zurückgezogen und gibt keine Interviews.

    Die Originalhefte sind unter Sammlern begehrt und werden mit bis zu 3000 Euro gehandelt. Comics, die nach Verlagsangaben Leser und Fans in mehr als 15 Ländern haben und in Spanien oder Wales sogar als Unterrichtsmittel eingesetzt werden.