Sonntag, 19. Mai 2024

Archiv


Die Wirkung des Körpers im Raum

Die italienische Künstlerin Monica Bonvicini macht sorgfältig gestaltete Architekturzeichnungen und versieht sie mit Texten, die im Gegensatz zu den architektonischen Grafiken stehen und Gefühle ausdrücken. Es gibt aber auch durchaus aggressive Arbeiten, die das Thema Frau und Raum thematisieren. In der Leipziger Gesellschaft für zeitgenössische Kunst wird ihr Werk nun umfassend gezeigt.

Von Carsten Probst | 26.02.2006
    Manchen Künstlerinnen und Künstlern gelingt es eben schneller als anderen, zum Klischee zu werden. Joseph Beuys hortete bekanntlich eine ganze Batterie von Ersatzhüten desselben Modells, und eine Performance von Vanessa Beecroft ohne halbnackte Models wäre für manche Kunstfreunde vermutlich die reinste Enttäuschung. Bei Monica Bonvicini rechnet hingegen man wie selbstverständlich mit Großinstallationen aus von der Decke hängenden Eisenketten, gepaart mit einer Prise Leder- und Lackästhetik und Sadomaso-Symbolik.

    Ich gestehe: Auch ich hätte erwartet, dass die gebürtige Venezianerin, die in Berlin studiert hat und dort schon eine ganze Weile lebt, die Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst wieder mit ihren Ketten behängt, um dem Publikum auch diese Räume als Herrschaftsarchitektur vorzuführen, unter dessen sublimer Gewalt sich allenfalls "erzwungene Identitäten" herstellen, jenseits von freier Willensbildung.

    Für die 40-jährige Bonvicini sind Räume in der abendländischen Kultur generell "männlich" besetzt, nicht nur in Museen, sondern die gesamte städtische Infrastruktur; nicht nur, wie noch im Feminismus der siebziger Jahre, das eheliche Schlafgemach, sondern schlichtweg alles, was gebaut, eingerichtet oder entworfen worden ist: Alles ist mehr oder weniger durchdrungen von männlichen Utopien und Phantasien von ewiger Herrschaft, Ordnung und Freiheit, denen sich alle, das heißt vor allem Frauen, unterordnen müssen.

    Die Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig wird allerdings seit einigen Jahren von einem reinen Frauenteam geführt. Hier Ketten zu installieren, um zu zeigen, wie männlich dominiert auch dieses Museum ist, hieße in gewisser Weise für Bonvicini, Eulen nach Athen zu tragen. Denn nicht zuletzt wurde der letztes Jahr eingeweihte Galerieneubau unter der Ägide von Direktorin Barbara Steiner ganz bewusst als eine Art "hierarchiefreier" Raum entworfen mit veränderbaren Wänden und unregelmäßigen Grundrissen, der sich eher als Ort ständiger Verwandlung versteht und keinesfalls männlichen Ewigkeitsfantasien dienen will.

    Kuratorin Ilina Koralova beteuert, dass man natürlich auch gern hier ein paar von Bonvicinis Ketteninstallationen genommen hätte. Aber hier gibt es für die Künstlerin nun einmal nichts zu entlarven, was die Galerie nicht schon längst selbst entlarvt hätte.

    Vielleicht ist das der Grund, weshalb sich Bonvicini für Leipzig etwas anderes ausgedacht hat und demonstrativ zur klassischen Form zurückkehrt. An den Wänden hängen großformatige Bilderrahmen, artig verglast, wie es sich für klassische Galerien gehört. Hinter dem Glas sieht man große schwarz-weiße Tuschemalereien, die fragmentarische Stadtlandschaften zeigen.

    Die Bildausschnitte wirken zufällig gewählt: mal ist ein Teil eines Schuttberges zu sehen, der vermutlich von einem eben abgerissenen Haus stammt; dann der Ausschnitt einer Hochhausfassade; ein Panoramablick über eine typische moderne Trabantenstadtsiedlung, wie man sie nicht nur in Leipzig kennt. Bonvicinis Angriff auf die männliche kodierte Architektur muss sich hier gewissermaßen mit der zweidimensionalen Bildebene begnügen.

    Die Hochhausbauten der Moderne, die sie hier zeigt, so erklärt sie, entspringen ja schließlich auch einer männlichen Ewigkeitsfantasie, alles wurde rationalisiert, galt noch bis in die frühen achtziger Jahre als "Stadt der Zukunft", als Utopie der ewigen, funktionalen Stadt. Heute dagegen sei alles das überholt und vom Verfall bedroht, nicht nur in Ost- sondern auch in Westdeutschland und ganz Europa.

    Die alte Verheißung der alle Zeiten überdauernden Architektur richtet sich allseits nun wieder auf das Design der Gründerzeit im 19. Jahrhundert - siehe Leipzig Deshalb hat sie in einem ihrer Bilder auch eine große klassizistische Stadtpalastfassade abgebildet. Die Moden wechseln, die Phantasien bleiben die Gleichen.

    Beschriftet hat Bonvicini ihre überaus nüchternen Veduten mit großen Satzfragmenten, in denen diffuse Gefühle zur Sprache kommen: Sehnsucht, Frustration, Zweifel, Einsamkeit. Es sind Fragmente aus Texten der Pariser Philosophin Julia Kristeva und der beiden Schriftstellerinnen Anais Nin und Anne Sexton. Gleichzeitig breiten sich große, unförmige, schwarze Tuschekleckse über die Bildflächen aus. Das ist die Gegenwelt, die Sprache der sterblichen Menschen hinter den ach so ewigen Fassaden.

    Insofern bleibt sich die mit dem Berliner Preis der Nationalgalerie inzwischen zu Ruhm aufgestiegene Künstlerin doch irgendwie treu. Nur statt die sterblichen Körper des Galeriepublikums wie sonst mit ihren eisernen Kettenkonstruktionen zu konfrontieren, sucht sie diesmal eher die poetische Verfeinerung: die Zeichnung, die Schrift und den Klecks.

    Eines Tages vielleicht entwirft Bonvicini selbst einmal eine Stadt – eine Stadt der Frauen.