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"Die Würdigung einer großartigen Lebensleistung"

Trotz des überraschenden Rücktritts, trotz seiner Dünnhäutigkeit, was Kritik angeht, trotz einer manchmal unglücklichen Amtsführung: Horst Köhler habe die Tradition des Großen Zapfenstreichs verdient, sagt Friedbert Pflüger.

    Friedbert Meurer: Vor gut zwei Wochen ist Horst Köhler für jedermann völlig überraschend als Bundespräsident zurückgetreten. Das Staatsoberhaupt in Deutschland wirft hin - das hat es so in dieser Form noch nie gegeben. Köhler begründete seinen Rücktritt damit, er vermisse den nötigen Respekt für sein Amt. In der Tat: Die Presse hatte den Präsidenten in seiner zweiten Amtszeit ziemlich heftig kritisiert, und seine Beliebtheit in der Bevölkerung dagegen, die war bis zuletzt ungebrochen.
    Friedbert Pflüger war lange Jahre Sprecher des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Später ging er dann selbst in die Politik, hat jetzt einen Lehrauftrag in London an einer renommierten Universität und eine Biografie von Richard von Weizsäcker geschrieben. Guten Tag, Herr Pflüger.

    Friedbert Pflüger: Guten Tag, Herr Meurer.

    Meurer: Horst Köhler wünscht sich den Großen Zapfenstreich. Passt dieses Symbol in dieser Zeit zu der Situation?

    Pflüger: Absolut! Daran muss man auch festhalten, ganz egal ob jemand durch Rücktritt aus dem Amt scheidet, oder aus dem Amt gedrängt wird, oder was immer passiert. Wenn ein Bundespräsident geht, – und er geht nach fast sechs Jahren, sechs Jahre, die er ja auch sehr viel Positives geleistet hat -, dann gehört ein Zapfenstreich zu der Tradition der Bundesrepublik Deutschland, und diese Tradition darf in guten und in schlechten Zeiten, ganz egal wie man zu den einzelnen Äußerungen eines Amtsinhabers steht, ob man ihn mag oder nicht mag, nicht unterbrochen werden. Deshalb finde ich das sehr gut, dass die Bundesrepublik Deutschland heute Herrn Präsidenten Köhler mit einem Zapfenstreich verabschiedet.

    Meurer: Der Zapfenstreich steht dem Bundespräsidenten natürlich zu. Werden die Bilder aber so sein, dass wir sehen, hier der einsame ehemalige Bundespräsident und da die Phalanx der Spitzenpolitiker, die ihn aus dem Amt getrieben haben?

    Pflüger: Es wird vielleicht versucht, das auf diese Weise zu konstruieren. Ich glaube das nicht. Der Rücktritt hat alle irritiert, in allen Lagern, und er war nach meiner festen Überzeugung auch wirklich nicht nötig und die Gründe nicht berechtigt. Auch in der Bevölkerung ist das auf Unverständnis gestoßen, jedenfalls weitgehend auf Unverständnis gestoßen. Aber das alles sagt nichts darüber, dass jemand sich als Bundespräsident, ja aber auch vorher als Staatssekretär, als Chef des Internationalen Währungsfonds auch große Verdienste um unser Land erworben hat, und bei aller Kritik, die ich berechtigt finde, gehört auch die Würdigung einer großartigen Lebensleistung jetzt dazu.

    Meurer: Was bleibt von Horst Köhler, Herr Pflüger?

    Pflüger: Nun, die Präsidentschaft ist nicht glücklich gewesen. Das, glaube ich, kann man sagen. Es bleibt von ihm etwas, woran er noch stärker hätte arbeiten können und was er auch, glaube ich, vorgehabt hat für die restliche Zeit der Amtszeit, nämlich sein Afrika-Engagement. Er hat schon im Internationalen Währungsfonds, aber dann auch in seiner sehr eindrucksvollen Antrittsrede vor fünfdreiviertel Jahren im Deutschen Bundestag sehr klar Stellung bezogen, wie wichtig Afrika für uns ist, wie nahe es uns liegt, dass Unruhe und Unsicherheiten, Krankheiten, Hungersnöte in Afrika, aber auch die großen Rohstofffunde unmittelbare Auswirkungen auf uns in Europa haben, und hier hat er den Blick auf diesen oft vernachlässigten Kontinent gelenkt. So etwas bleibt. Die Äußerung "Ich liebe Deutschland" bleibt, also das klare Bekenntnis zu einem gesunden, aufgeklärten Patriotismus. Da gab es eigentlich viel, was Herr Köhler hätte weiter pflegen können und wo man eigentlich ganz traurig ist, dass er das nicht gemacht hat.

    Meurer: Und was war nicht glücklich an seiner Präsidentschaft, wie Sie sagen?

    Pflüger: Er hat, glaube ich, oft den Ton nicht getroffen, und da die Sprache das Wichtigste ist, was ein Bundespräsident zur Verfügung hat – er ist ja ein machtloser Präsident nach unserer Verfassung, er ist eine Art Staatsnotar -, deswegen ist es so unendlich wichtig, dass dann seine Reden und Äußerungen wirklich sitzen, dass er mit ihnen etwas sagt, ohne sich gleich in tagespolitische Kontroversen einzumischen, was konsensbildend ist, gleichzeitig aber auch vielleicht neue Gedanken in die Debatte einfügt, und da hat er oft unglücklich agiert und ist deshalb auch auf wenig Resonanz gestoßen bei denen, wo er eigentlich auf Resonanz stoßen müsste, nämlich bei den Politikern der Parteien.

    Meurer: War es, Herr Pflüger, wirklich nur der Ton, oder war es auch diese Haltung, die viele gemeint haben festzustellen, dass nämlich Köhler sich als bürgernahen Präsidenten sieht, gegen die vielen Parteipolitiker?

    Pflüger: Ja, aber umso schwerer würde es doch sein, den Rücktritt zu verstehen. Wenn er denn diesen Rückenwind der Bevölkerung gespürt hat – und ich glaube, die Meinungsumfragen beweisen ja, dass er bis zum Schluss beliebt war -, ja dann muss man doch umso mehr fragen, warum ist er denn dann gegangen. Er wollte doch ein unbequemer Präsident sein, das hat er immer gesagt. Ja dann darf er sich über Kritik nicht wundern. Wenn er sich in Tagespolitik einmischt und sich zu Steuerfragen äußert, dann muss er natürlich damit rechnen, dass ihm widersprochen wird, und wenn er sagt, die Bundeswehr müsse nun auch zur Sicherung unserer Wirtschaftsinteressen eingesetzt werden, dass dann die Parteien das auch kritisieren, das ist natürlich. Das ist nicht mangelnder Respekt am Amt, sondern das ist notwendig in der Demokratie. Auch der Bundespräsident steht nicht über der Kritik. Also wenn er unbequem sein wollte, Unbequemes sagen wollte, dann muss er auch mit Kritik rechnen und darf dann nicht einfach beleidigt weggehen. Das ist ja gerade dann, wenn man Bürgerpräsident sein will, nicht sehr überzeugend.

    Meurer: Auch Unbequemes gesagt hat ja Richard von Weizsäcker, mit dem Sie lange zusammengearbeitet haben. Ich erinnere daran, dass er damals der Politik und insbesondere Helmut Kohl sozusagen an den Kopf geknallt hat, Machtvergessenheit und Machtversessenheit, so dürfe es nicht laufen. War von Weizsäcker der bessere Rhetoriker, oder wie hat er es geschafft, dass er, obwohl er auch diese Kritik an der Parteipolitik äußerte, nicht gestrauchelt ist?

    Pflüger: Weizsäcker war ein glänzender Redner. Gerade was das Ton finden angeht, was für dieses Amt so wichtig ist, die richtige Geste zum richtigen Zeitpunkt, ist Weizsäcker ein Meister, aber auch andere Präsidenten. Alle haben immer wieder auch Kritik gespürt des jeweiligen Kanzlers, der anderen Parteien. Sonst wären sie ja Jedermanns Liebling und dann könnten sie gar nicht wirken. Natürlich müssen sie sich manchmal vorwagen und das gehört zu diesem Amt und diese Kritik muss man aushalten. Das Verhältnis zwischen Weizsäcker und Kohl war, Sie haben es angedeutet, über lange Strecken nicht in Ordnung und trotzdem haben beide ihre Pflicht erfüllt, und wenn sie dann zusammenarbeiten mussten, etwa auf Staatsempfängen, Staatsbesuchen, wenn das Protokoll sie zusammenführte, dann haben sie immer einen Modus vivendi, eine Art des Zusammenwirkens gefunden und konstruktiv zusammengearbeitet. Vielleicht liegt es eben doch ein bisschen daran, dass Köhler eben als Nicht-Politiker auch wenig Gespür für die Politik und die Reaktionen der Politik hatte, und das muss man natürlich entwickeln. Man soll über den Parteien stehen, aber man muss natürlich sehr eng angekoppelt sein an die Parteien, wenn man Einfluss nehmen will, und das ist wahrscheinlich in der Amtszeit Köhler nur sehr unzureichend gelungen.

    Meurer: Noch ganz kurz. Wer trifft besser den Ton, Joachim Gauck, oder Christian Wulff?

    Pflüger: Beide sind ganz ausgezeichnete Leute. Ich habe mich unmittelbar nach dem Rücktritt Köhlers eingesetzt für einen überparteilichen Kandidaten, habe jemanden wie Richard Schröder, den früheren SPD-Fraktionschef in der Volkskammer, vorgeschlagen, der in allen Parteien angesehen ist. Man hätte sich jemanden wie Klaus Töpfer, wie Huber, vorstellen können. Die Kanzlerin hat das anders entschieden, jetzt gibt es ein Rennen zwischen beiden. Ich muss sagen, ich kenne Christian Wulff seit vielen Jahren persönlich, war acht Jahre sein Stellvertreter in der CDU in Niedersachsen, und ich kann nur sagen, das was ihn auszeichnet, ist Geradlinigkeit und er kommt jetzt eben mit einem ganz neuen Stil, mit einer jungen Frau, mit einem kleinen Jungen, seinem Sohn in dieses Amt und wird dieses Amt ganz anders ausfüllen als andere, und darin liegt auch eine große Chance.

    Meurer: Bundespräsident Horst Köhler wird heute Abend mit einem großen Zapfenstreich verabschiedet. – Danke schön an Friedbert Pflüger, den ehemaligen Sprecher und Biografen von Richard von Weizsäcker. Auf Wiederhören, Herr Pflüger.

    Pflüger: Auf Wiedersehen, Herr Meurer.

    Stichwort: Großer Zapfenstreich (bundeswehr.de)

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