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Die Wüste als symbolischer Raum

Der junge Schweizer Autor Daniel Goetsch hat Rechtswissenschaft studiert, Theaterstücke und Hörspiele geschrieben, sowie die Romane "Aspartam", "X" und "Ben Kader". Sein neuer Roman, "Herz aus Sand" erzählt vom Leben der UNO-Beobachter in einem nordafrikanischen Flüchtlings-Camp.

Von Bettina Hesse | 06.07.2009
    Frank ist Beobachter der UNO-Mission an einem der Flüchtlings-Camps in der Westsahara. Seit 17 Jahren warten dort Tausende Vertriebene auf das Referendum, das ihnen von der UNO versprochen wurde. Mit dem Volksentscheid, ein Grundakt der Demokratie, sollen sie über den Status ihrer Heimat abstimmen dürfen. Doch bis heute ist das Versprechen nicht eingehalten worden, sie warten vergeblich. So machen sich viele Flüchtlinge per Schiff nach Europa auf und bezahlen es mit dem Leben.

    Das ist der reale Hintergrund zu dem Roman "Herz aus Sand" und die Atmosphäre im Camp ist entsprechend eindringlich: Es herrschen Not, Krankheit und Elend. Drogenhandel, Prostitution und Dattelschnaps bestimmen das Leben in der Wüste, begleitet von mörderischer Hitze.

    Die internationalen Beobachter schreiben ihre Berichte, schicken sie nach Genf, aber die Mission erschöpft sich im "Betrachten der Oberfläche", wirkliche Hilfe kann sie nicht leisten. Nichts geschieht durch die "reine Papierkultur", damit müssen die Missionsbeauftragten leben. Jeder von ihnen geht mit der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit anders um. Der Erzähler Frank entzieht sich der untätigen Sinnlosigkeit durch das Aufschreiben der Geschichte. Im Gegensatz zu den UNO-Beobachtern scheinen die Camp-Bewohner, vertriebene Aidipi, von innerer Schönheit beseelt.

    Eines Tages taucht Duncker auf, ein idealistischer deutscher Architekt, der im Lager seine humane Architektur anwenden will. Durch Dunckers Art fühlt sich Frank an seine große Liebe Alma erinnert. Sie hat mit ihm Jura studiert, wollte systemkritisch Sand ins Getriebe der Gesellschaft streuen: Während Frank an seiner Dissertation über die politische Theorie Carl Schmitts saß, arbeitet Alma beim Aufbau einer Partei mit, die sich dann als reaktionär erwies. Ihr Aktionismus war fehlgeleitet, die guten Absichten versandeten. Frank sieht sich wieder mit den Ansprüchen von damals konfrontiert, doch es ist ungut, sich mit Vergangenem abzugeben im Wüsten-Alltag: Dort zählt nur die Gegenwart. Entsorgt man die Erinnerung nicht frühzeitig, verfällt man dem Fremdenlegionärssyndrom. Wie Duncker etwa, der gerne aus seinem anderen Leben erzählt, was die Beziehung zu Frank trübt. Als Duncker tot aufgefunden wird, glaubt niemand daran, dass es Selbstmord war.

    Dramaturgisch geschickt verschränkt Goetsch die beiden Erzählebenen im Scheitern: in der Liebesbeziehung wie im Soziotop der Mission - Abbild eines größeren politischen Zusammenhangs. In diesem Spannungsfeld bewegen sich auch die Mitarbeiter, als Figuren werden sie genau beobachtet und geraten auch unter Verdacht. Wie Skulpturen in karger Wüstenlandschaft wirken sie. Die Sprache des Romans ist geschliffen, die Dialoge aufs Nötigste reduziert:

    Es war, als würden wir uns trockene Brotstücke zuwerfen.

    Schon in seinem letzen Roman "Ben Kader" setzt sich Daniel Goetsch mit einem politischen Thema auseinander: Da entdeckt der Erzähler, dass sein Vater 1957 Kollaborateur der Französischen Besatzer in Algerien war. Auch "Herz aus Sand" erzählt die Geschichte eines doppelten Verlustes: durch die moralische Selbstüberschätzung des Westens gegenüber den Vertriebenen im Gebiet der Westsahara und das Scheitern einer Liebesbeziehung vor dem Hintergrund politischer Ideale.

    Die Wüste dient Goetsch als symbolischer Raum, um die hochaktuelle Geschichte auf beeindruckende Weise zu erzählen - so wird der Roman zu einer Parabel über das politische Versagen des Nordens.

    Daniel Goetsch: "Herz aus Sand", Roman, 286 Seiten, Ricco Bilger Verlag, 24Euro