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Die Wüste Lop Nor

Die Hauptfigur des Textes heißt Raoul Louper. Raoul Louper reist um die Weit, er kommt bis nach China, bis zur Wüste Lop Nor. Louper ist auf der Suche nach einem Phänomen, das es vielleicht gar nicht gibt: Er sucht eine singende Düne. Singende Dünen entstehen, wiederum vielleicht, wenn der Wind den Sandkörnern der Wüste einen bestimmten Schliff verleiht. Im Text heisst es: "Török entwirft Theorien. Das Phänomen, daß eine Düne singt, meint er, ist am häufigsten auf der vom Wind abgewandten Seite zu beobachten. Und es scheint mit der matten Rundung der Sandkörner zu tun zu haben.Es ist der Wind, der sie stumpf werden läßt."

Tanya Lieske |
    Raoul Louper sucht die singende Düne nicht nur in China. Er bereist die Sahara und den Sinai, es treibt ihn nach Neapel, Halifax und Peru. Ein Weitenbummler ist er, einer, der nirgendwo Wurzeln schlägt. Donnerstags trifft er sich mit dem ungarischen Professor Török in Kairo, dort diskutieren die beiden Männer die physikalischen Gegebenheiten, die eintreffen müssen, damit eine Düne klingt. Ebenfalls anwesend ist Töröks Frau; Raoul Louper begehrt sie, aber daraus wird nichts.Überhaupt hat er nicht viel Glück in der Liebe. Drei Frauen läßt er auf seinen Reisen hinter sich, von einer vierten, mit der er - vielleicht - die wahre Liebe erleben könnte, bleibt nur ein flüchtiges Bild. Der Name des Protagonisten, Louper, zitiert nicht nur das französische Wort für Wolf, sondern auch das Verb "louper", was soviel heißt wie "etwas verpfuschen". Auch ein Leben. Dazu Schrott:

    "Er ist ja eigentlich eine Figur, die zwischen Obsession und Passion hin und herschwankt, und eigentlich eine Gegenfigur. Es hat mich noch jeder gefragt, weil er Raoul Louper heißt, ob das das alter ego von mir wäre. Das einzige, was ich dazu sagen kann, ist, daß man ja immer so einem biografischen Code-Schluß unterläuft, und ich dachte, für eine Geschichte kann ich das ja ausnutzen, daß jeder beim Beginn des Buches glaubt, das bin ich, aber am Schluß taucht der Ich-Erzähler auf, und der ist eine etwas andere Figur."

    Raoul Schrott, der nicht nur Lyriker, Übersetzer und Prosaschriftsteller ist, sondern eben auch Literaturwissenschaftler, weiß genau, was er tut, wenn er biographische Fährten legt. Schrott kennt den Naseweis des Lesers genauso wie die Vorliebe des Literaturbetriebs für fingierte Autoren, Übersetzer, und Herausgeber. Schon in seinem Roman "Finis Terrae" hat Schrott das Spiel mit der Fiktion bis zum Letzten ausgereizt: Dort gibt es einen verstorbenen Archäologen, in dessen Nachlaß sich das Schiffstagebuch eines berühmten griechischen Navigators findet. Das Tagebuch ist ein Fragment, und auf den Archäologen ist auch kein Verlaß, im Vorwort schreibt Schrott ihm nämlich eine "fast autistische" Haltung zu. Die Vorteile einer solchen Erzählweise, in der es keine verantwortliche letzte Instanz gibt, liegen auf der Hand. Der Autor zieht sich aus dem Gefecht, er gibt sich keine Blöße, auch nicht, wenn seine Hauptfigur sich um die ganz großen Dinge kümmert, um letzte und allerletzte Fragen. Dazu der Autor:

    "Das sind einfach diese Dinge, mit denen man irgendwie zurande kommen will, die letztlich Geheimnisträger sind, die poetische Metaphem sind, die esxistentielle Gegebenheiten sind, die insofern mit unserem Leben zu tun haben, indem sie der Gegensatz sind, das menschliche Leben ist auf eine bestimmte Zeit begrenzt, den Sand gibt es aber schon ewig lang, den Wind auch, die Erde auch. Das ist eine Allegorie, und in dem Fall geht es also darum, über ein menschliches Phänomen wie die Liebe zu sprechen, und das gleichzeitig über der Folie der Wüste, des Sandes, der singenden Dünen und des Treibsandes zu tun."

    Raoul Schrott hat sich für dieses Unterfangen eine eigene Erzählform geschaffen. Die "Wüste Lop Nor" besteht aus genau hundertundeinem numerierten Erzählabschnitten, manche sind nicht länger als ein paar Zeilen. Die Schauplätze und Zeiten wechseln beständig in einer Folge, die eher mit dem Strom der Erinnerung als mit einer äußeren Chronologie zu tun hat. Es spricht ein Erzähler, der um die innersten Regungen von Raoul Louper weiß und, am Ende spricht ein Ich. Ihre Sprache ist kurz, verknappend, voller Metaphern, der Lyrik näher als der Prosa. Dazu Schrott: "Lyrik ist in dem Fall nicht als Genre zu betrachten, sondern einfach als eine verdichtete Art der Erzählweise, als eine bestimmte Art, die Dinge zu betrachten. Einfach weil sich mit Metaphorik bestimmte Dinge sagen lassen, an die man sonst über die reine Erzählung nicht so rankommt."

    "Die Wüste Lop Nor' trägt die Gattungsbezeichnung einer Novelle, eine Form, die normalerweise epische Geschlossenheit verlangt, über die Schrott hier aber frei verfügt. Als Rahmenhandlung könnten die Gespräche mit Professor Török in Kairo herhalten. Ansonsten existiert die Novelle natürlich nicht ohne die unerhörte, tatsächliche Begebenheit.

    "Eine Novelle hat ja viele Dimensionen, die unerhörte Begebenheit, das ist dieses Phänomen des singenden Sandes. Das ist relativ selten, ich habe es einmal selbst an der Grenze zum Tschad erlebt, da wußte man noch gar nicht, was das ist, weil es nach etwas ganz anderem klang, und mir das nach zwöff Fahrten nicht bekannt war Ich war damals mit einem Fotografen unterwegs, der nichts anderes macht als Wüstenfotos, der auch davon weder gehört hat noch das je erlebt."

    Auch Raoul Schrott ist einer, der viel auf Reisen ist, und in seinen Texten findet sich manch beeindruckendes Naturschauspiel. In seinem Gedichtband "Tropen" verfährt er damit wie folgt. Er schildert einen Sonnenuntergang oder das Alpenglühen, dann erklärt er in einer Fußnote die physikalischen Gesetzmäßigkeiten, die dahinter stehen. So entstehen eine Innen- und eine Außensicht der Dinge, das traditionell emfindsame lyrische Ich wird relativiert durch die Welt der Fakten. In "Die Wüste Lop Nor' geht Raouf Schrott noch einen Schritt weiter, er versucht, die Gesetze der Liebe und das der Physik in Übereinstimmung zu bringen. Ähnliches wollten schon die englischen ,Metaphysical Poets' vor gut 400 Jahren, und wie einst John Donne, so hält auch Schrott mit seiner Gewandheit und Gelehrsamkeit nicht hinterm Berg. Einen flapsigen Tonfall aber oder gar obszöne Worte, wie Donne sie sich auch in Liebesgedichten gönnte, sucht man bei Schrott vergebens: Raoul sah sie im Vorbeifahren. Sie stand am/Straßenrand, einen Stock in der Hand, ein Hund/ unruhig neben ihr. Stand reglos, ausdruckslos/Das Gesicht. Die Augen grün, wie Gras, wenn/ Der Wind in es fährt und die Halme ins Weiße/Kehrt. Die Ärmel ihres Kleides wie in roten Ocker/ getaucht; getüncht

    Raoul Schrott gilt als Klassiker unter den deutschen Lyrikern der Gegenwart. Auch in seinem neuen Buch, das sich als Liebesgedicht und als Reiselabyrinth lesen läßt, regieren die letzten Fragen, die hohe Liebe, die sprachliche Kunstfertigkeit. Mit dem Etikett, er sei der Dichter des hohen Tons, will Schrott sich dennoch nicht zufriedengeben.

    "Der hohe Ton, das klingt für mich nach Hoffmansthal oder klingt nach Hölderlin, und das ist eine Stilrichtung, die ich eher mit der Kunst um der Kunst willen in Verbindung bringe. Bei mir ist das eher eine existentielle Komponente, es geht mir eher um das Leben, darum, herauszufinden einfach wie die Dinge sind, das Leben ist ja relativ kurz und begrenzt, das ist für mich eine andere Art, mit den Dingen umzugehen."