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Die Wurzeln des islamischen Antisemitismus

Was ist ein muslimisch-arabischer Nazi? Einer, der eine muslimische SS-Division aufstellt? Der Adolf Hitler unermüdlich seine Dienste anbietet? Diesen Fragen hat sich der Berliner Politikwissenschaftler Klaus Gensicke seit mehr als 20 Jahren verschrieben. Gensicke hat die Biographie des Muftis von Jerusalem vorgelegt. Günther B. Ginzel hat es gelesen.

Von Günther B. Ginzel | 28.04.2008
    Fanfare: Sondermeldung der Wehrmacht:
    " Aus dem Führerhauptquartier: Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt. 18. Oktober
    In Nordafrika bombardierten deutsche Kampflugzeuge einen britischen Flugplatz ostwärts Masamatruk und Hafengebiete im Nildelta.
    "

    Die Gefahr, dass nicht nur die Luftwaffe, sondern auch deutsche und italienische Panzerverbände über den Nil Richtung Palästina vorstoßen könnten, wurde im Heiligen Land sehr ernst genommen. Tausende palästinensischer Juden meldeten sich freiwillig zum Dienst in der ungeliebten Armee der britischen Kolonialmacht. Doch Großbritannien, vom Völkerbund als Mandatsmacht in Palästina eingesetzt, winkte ab. London fürchtete, dass solch ein Waffendienst von den Arabern als Provokation aufgefasst würde.

    Eine Rücksichtnahme, die der Führer der palästinensischen Araber längst aufgegeben hatte.

    Einblendung - Wochenschau
    "Der Großmufti von Jerusalem besichtigt muselmanische Truppen der Deutschen Wehrmacht.
    Meldung an den Vorkämpfer der arabischen Freiheit.
    "

    Der Film zeigt Amin el-Husseini, in ein schwarzes Gewand gehüllt mit weißem Turban auf dem Kopf. Er schreitet die Formation muslimischer Soldaten in der Uniform der deutschen Wehrmacht ab, strahlend, die rechte Hand zum Hitlergruß erhoben.

    Dann besteigt der Großmufti von Jerusalem, politisches und religiöses Oberhaupt der palästinensischen Araber, ein Podest. Die Einheit defiliert an ihm vorbei. Stolz verkündet der Wochenschausprecher:

    "Die Ausbilder der muselmanischen Einheiten sind bewährte Frontsoldaten."
    Die Soldaten marschieren aus dem Bild. Die Kamera bleibt auf Husseini, der immer noch mit erhobenem rechten Arm auf seinem Podest ausharrt.
    Wer ist dieser Amin el-Husseini, der 1941 Hitler besucht - eine herzliche Begegnung, ebenfalls von den Kameras der Deutschen Wochenschau festgehalten, und der wenig später eine muslimische SS-Division aufstellt? Was verband ihn mit dem Dritten Reich? War er so etwas wie ein muslimisch-arabischer Nazi?

    Fragen, denen der Berliner Politikwissenschaftler, Klaus Gensicke, seit über 20 Jahren nachgeht. Jetzt hat er in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt, eine rund 250 Seiten lange politische Biographie - wie es im Untertitel heißt, vorgelegt: "Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten".

    Wer war dieser Amin el Husseini? Im Jahr 1963 antwortete er auf die Fragen eines deutschen Fernsehteams:

    "Ich bin Präsident des Hohen Arabischen Komitees für Palästina und Präsident der Islamischen Weltkonferenz.
    Meine religiöse Stellung ist die des Großmuftis von Palästina."
    Husseini kann also nicht als Randfigur, als politischer Wirrkopf, abgetan werden. Im Gegenteil. Keiner hat so nachhaltig die Politik der Palästinenser, und damit indirekt auch Israels, bestimmt, wie Husseini. Und das über einen Zeitraum von knapp vier Jahrzehnten, beginnend in den 30iger Jahren. Und keiner vor ihm und nach ihm belastet in diesem Ausmaß das israelische - palästinensische Verhältnis bis in die Gegenwart. Grund hierfür ist nicht sein Nationalismus, sondern seine Verhalten während des Zweiten Weltkriegs.
    Mohammed Amin el Husseini wurde Ende des 19. Jahrhunderts in Jerusalem geboren. Die Angaben über das Geburtsjahr schwanken zwischen 1894 und 1897. Damals war Jerusalem und die Provinz Palästina Teil des türkisch-osmanischen Großreiches. Die Familie Husseini zählt zu den einflussreichsten und wohlhabendsten Familien der Region. Wenig ist über seine Ausbildung bekannt. Fest steht, dass er in Kairo bei muslimischen Reformern islamisches Recht studierte. 1921 wird er zum Mufti von Jerusalem ernannt. Er starb 1974 in Beirut.
    Soweit die nüchternen Fakten. Zum besseren Verständnis ist aber auch ein kurzer Blick in die Geschichte notwendig:
    Als Husseini geboren wurde, existierte keiner der heute im Nahost-Konflikt beteiligten Staaten. Die gesamte arabische Welt wurde von den türkischen Erben des osmanischen Reiches beherrscht. Während des Ersten Weltkriegs verdrängen die europäischen Kolonialmächte Frankreich und England die Türkei aus Arabien. Husseini tritt für die Gründung eines Großsyrischen Reiches ein. Doch die Siegermächte Frankreich und Großbritannien teilen sich die Region untereinander auf. Gleichzeitig machen sich die Zionisten Hoffnung, denen man eine Heimstatt im Heiligen Land versprochen hatte.
    In dieser verworrenen Lage überträgt der Völkerbund Großbritannien das Mandat über Palästina. Ein riesiges Gebiet, dass die heutigen Staaten Israel,
    Palästina, Jordanien und die Sinaihalbinsel umfasst.
    Husseini kämpft um die Führerschaft der palästinensischen Araber, er wird zum Taktierer und, so Autor Gensicke, zum Intriganten.

    Da gab es die beiden Großfamilien, die Clans der Naschaschibis und der Husseinis, die wechselten sich immer ab bei der Wahl des Muftis ab. Die standen gegenseitig in Konkurrenz.
    Beide Familien beanspruchten das Amt des Mufti für einen der ihrigen.
    Der Mufti ist ein islamischer Rechtsgelehrter und Gutachter. Er wird gewohnheitsmäßig auf Lebenszeit gewählt. Seine Aufgabe ist es, die Vereinbarkeit einer Handlung zu prüfen, ob sie mit den Regeln des Koran und der Scharia, dem islamischen Rechtssystem, übereinstimmt.
    Im osmanischen Reich setzte die Regierung für jede Provinz einen Mufti ein.
    Kein anderes Amt ist mit soviel Ansehen und politischer Macht verbunden.
    In diesem Amt wirkte sich sein in der muslimischen Welt in dieser Form weitgehend unbekannter Judenhass besonders schädlich aus:
    Und er wiegelte die Massen auf mit seinem Leitspruch, der ihn sein ganzes Leben lang begleitete, "tötet die Juden, wo immer ihr sie findet, das gefällt Gott, der Geschichte und der Religion."
    Kein Wunder, dass ihn das Jahr 1933, die so genannte nationalsozialistische Machtergreifung in Deutschland, elektrisierte:

    In Jerusalem suchte er den Generalkonsul Wolff auf und erklärte ihm freudig, dass er mit der neuen Regierung gerne auch zusammenarbeiten würde.
    Und so sollte es geschehen. Das Buch von Gesnicke wartet mit einer Fülle von Details über die Zusammenarbeit zwischen dem Mufti und dem Dritten Reich auf. Mit deutschem Geld und Waffen inszenierte der Mufti in den dreißiger Jahren Aufstände gegen die Briten.

    Der am meisten von ihm beeindruckt war, war Himmler. Der schwärmte von der Verbundenheit zwischen Islam und Nationalsozialismus.
    Später sollte der Mufti nicht mehr zu dem stehen, was er in Deutschland und von Deutschland aus betrieben hatte. Das war nicht nur die Aufstellung einer muslimischen Division der Waffen SS.

    1963 wollten die Fernsehreporter aus Deutschland von Mufti Husseini wissen:

    Frage: " Es wird behauptet, sie hätten während des Zweiten Weltkriegs der nationalsozialistischen Regierung vorgeschlagen, Tel-Aviv zu bombardieren."
    Antwort: "Dies ist ein Verdacht, in den mich die Gegner sehr oft gebracht haben. Ich benutze diese Gelegenheit, um diesen Verdacht mit aller Kraft zu verneinen."
    Der Großmufti sagte die Unwahrheit:

    Luftwaffenführungsstab, 30.3.1944
    Betr.: Anregung des Großmufti zu einem Bombenangriff auf Tel-Aviv am 1. April.
    Der Großmufti hat bereits wiederholt Bombenangriffe gegen Tel-Aviv und Jerusalem in Vorschlag gebracht, um das palästinensische Judentum zu treffen und mit diesen Angriffen in der arabischen Welt eine propagandistische Wirkung zu erzielen. Diesen Anregungen ist unsererseits bisher niemals entsprochen worden.

    Das Buch von Gensicke führt in diese Geschichte ein. Es schildert eine Fülle Details aus dem Leben des Muftis in Berlin, den Versuch, die Weltanschauung des Nationalsozialismus mit dem, was Himmler, den Islamismus nannte, zu verbinden.

    Klaus Gensicke legt keine Analyse über die Anfänge des Nahostkonflikts vor. Ihm geht es um diese vier Jahre, die der Mufti von Jerusalem samt einem Stab von über 60 Mitarbeitern und einem eigenen Geheimdienst als Gast und auf Kosten des Dritten in Berlin verbrachte. Nur vier Jahre - die aber vergiften bis heute die israelisch-arabischen Beziehungen.

    Klaus Gensicke
    Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten
    Eine politische Biographie Amin el-Husseinis
    Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007


    Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 11
    Herausgegeben von Klaus-Michael Mallmann