Die wichtige Rolle der Bürgermeister
Claude Dilain, der Ortsvorsteher, sitzt am Schreibtisch und prüft seinen Kalender. Fünf Bürger haben an diesem Samstag einen Termin ergattert. Der 58- Jährige mit den spärlichen weißen Haaren trägt ein kurzärmeliges Karo-Hemd und einen grauen Schlips. Falten zerfurchen sein Gesicht, selbst wenn er lacht, sieht er noch besorgt aus.
Jetzt wirft er einen Blick in die oberste Akte, dann geht er zum Wartezimmer, geleitet eine junge Frau und ihren kleinen Sohn in sein Büro.
" Wir haben uns bereits vor einigen Monaten gesehen, Madame. Sie kommen wegen einer Wohnung, glaube ich? Wie hat sich Ihre Lage entwickelt?"
Die Afrikanerin ist besonders sorgfältig frisiert und geschminkt, sie trägt ein langes Kleid in blau und gold und bunte Armreifen, der Junge ist im weißen Hemd. Sie spricht leise, sagt, dass sie in einem Mutter-Kind-Heim lebt, dass der Vater keinen Unterhalt zahlt, dass sie selbst nach schwerer Krankheit nicht arbeiten darf. In wenigen Tagen läuft die Frist ab. Dann muss sie ausziehen. Wenn der Bürgermeister nicht hilft, droht ihr die Straße.
Claude Dilain atmet tief durch, greift sich an den Hals, lockert den Krawattenknoten. Wohnungsnot gehört zu den großen Problemen seiner Stadt.
" Ich bin besorgt. Wie Sie wissen, kann das Rathaus nur ein Drittel aller Sozialwohnungen der Stadt vergeben. Über den Rest verfügen der Präfekt und die Sozialwohnungsbaugesellschaft.... Ich werde Ihren Fall erneut vorlegen. Es wird schwer sein, eine Wohnung zu finden, obwohl Sie absolut vorrangig sind."
Dem Politiker steigt die Röte ins Gesicht. Eine mutige Frau, sagt er, und dabei klingt Respekt in seiner Stimme. Er will nicht zusehen, wie sie ins Elend abgleitet, und hat doch nichts anzubieten, was anständig wäre.
Dilain gibt dem Jungen einen Stift zum Malen. Eigentlich ist er Kinderarzt von Beruf. Seit elf Jahren amtiert er allerdings schon als Bürgermeister. Dennoch praktiziert er noch drei Mal in der Woche. Immer häufiger diagnostiziert er Stress und Verhaltensstörungen schon bei Säuglingen und Kleinkindern. Eine Folge der schlechten Lebensbedingungen. Dilain will heilen. Auch seine Stadt ist krank. Opfer sozialer Ungerechtigkeit, sagt er, dieses Krebsgeschwür der Republik.
Schon heute besteht Clichy-sous-Bois zu 30 Prozent aus Sozialwohnungen - das ist Rekord in Frankreich.
" Sie sind herunter gekommen, verschuldet, und werden von Wohnungsspekulanten in Beschlag genommen, die absolut unmoralisch handeln: Diese Immobilienhändler kaufen diese Wohnungen für ein Butterbrot und vermieten sie dann an Einwanderer, die keine Aufenthaltspapiere und daher kein Recht auf Sozialwohnungen haben. Weil die Mieten so teuer sind, teilen sich oft zwei Familien mit vielen Kindern drei oder vier Zimmer. Mit allen Konsequenzen für das Zusammenleben. Diese Gettos sind ein Pulverfass. Nur mit einem starken politischen Willen können sie beseitigt werden. Aber will das die französische Gesellschaft überhaupt? Es reicht nicht, ja zu sagen, man muss auch die Mittel dafür zur Verfügung stellen."
Dilain zweifelt, ob es überhaupt noch Solidarität in der französischen Gesellschaft gibt. Ihm selbst sind die Hände gebunden. Seit Jahren verlangt er rechtliche und finanzielle Mittel, um gegen die Wohnungsspekulanten vorzugehen - vergebens. Seit Jahren fordert er einen Anschluss an die Straßenbahn. Seit Jahren eine Polizeiwache für seine Stadt, eine Beratungsstelle des Arbeitsamtes und der Familienkasse ... In Clichy gibt es nichts davon.
Jetzt sollen die Stadtoberhäupter tatsächlich neue Kompetenzen erhalten, aber solche, die er nicht haben will. Innenminister Nicolas Sarkozy setzt auf "law and order". Er hat ein Gesetz vorbereitet, mit dem er die Bürgermeister zu Ordnungshütern machen will. Sie sollen die Verbrechensbekämpfung koordinieren. Schulleiter und Sozialarbeiter sollen ihnen vertrauliche Informationen über auffällige Jugendliche liefern. Bürgermeister sollen in Zukunft Sanktionen verhängen, sollen das Familiengeld unter Vormundschaft stellen, um die Familien von Unruhestiftern finanziell zu bestrafen. Dilain ist entsetzt, und viele Kollegen, selbst Parteifreunde des Innenministers, sind seiner Meinung.
" Die Bürgermeister konnten sich während der Unruhen vom letzten Jahr über Wasser halten, weil sie die Rolle von Vermittlern übernommen haben. Wir waren jede Nacht vor Ort, aber nicht, um die Polizisten anzuführen, nicht, um den Staatsanwalt zu benachrichtigen. Wir haben zugehört und beschwichtigt. Wenn Sarkozy den Bürgermeistern strafrechtliche Kompetenzen gibt, dann bewirkt er, dass die Menschen gar nicht mehr zwischen Polizei, Justiz und Rathaus unterscheiden können. Außerdem nimmt er uns diese besondere Rolle weg, die es uns bisher erlaubt, Einfluss auszuüben. Wir alle bestellen die Familien von Unruhestiftern ins Rathaus, reden ihnen ins Gewissen. Aber wir tun es nicht im Namen der Staatsanwaltschaft. Wir tun es als Vermittler, für das Zusammenleben."
Das Zusammenleben der Menschen in seiner Stadt zu organisieren. Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religionen um die Werte der Republik zu vereinen - das sind für ihn die Aufgaben des Bürgermeisters.
Dilain steht auf, schüttelt seiner Besucherin die Hand, streicht dem Jungen über den Kopf. Bis die Stadt eine Sozialwohnung gefunden hat, wird er die junge Frau in ein Hotel einquartieren lassen. Dann geht er hinaus zum Wartezimmer und holt einen arbeitslosen Familienvater ins Büro.
Am 19. September dieses Jahres titelt die Tageszeitung Le Monde: "Cri d'alarme du prefet du 9-3". "Der Präfekt von Seine Saint Denis schlägt Alarm". Die Zeitung veröffentlichte den Inhalt eines internen Schreibens des Polizeipräfekten an seinen Vorgesetzten, den französischen Innenminister Nicolas Sarkozy. Der Präfekt beklagte darin die katastrophale Situation im Departement. Seit den Unruhen von vor einem Jahr, so der höchste Beamte des Departements, sei die Kriminalitätsrate in nie gekannter Weise gestiegen. In den Strassen der Trabantenstädte, seien die Bürger einer kontinuierlich wachsenden Kriminalität und Gewaltbereitschaft oft schutzlos ausgesetzt.
Inzwischen wurde Alain Bauer, Kriminologe und Präsident des nationalen Observatoriums der Kriminalität, vom französischen Justizminister Pascal Clément beauftragt, genaue Zahlen und Analysen zur Kriminalität in Seine Saint Denis zu liefern.
Die Rolle der Justiz
Ein elektrischer Türöffner macht den Weg frei in eine Mischung aus Flur und Vorzimmer. Im vorderen Teil steht ein alt gedienter Schreibtisch, darauf etliche Akten und leere Kaffeetassen. Es ist bereits nach Büroschluss und weit und breit kein Mensch zu sehen. Doch steht am Ende des Flurs eine Tür offen und eine seltsam quakende Männerstimme dringt herüber.
Ein breiter Rücken in einem blauweiß karierten Hemd: Alain Bauer sitzt am Fenster vor seinem mit Papieren und Ordnern überladenen Schreibtisch und telefoniert, eingehüllt in dichte Rauchschwaden einer enormen Zigarre, die er spielerisch zwischen Zeigefinger und Daumen balanciert. Als habe er den Besuch gar nicht registriert, dreht sich der große und schwere, fast kahlköpfige Mann Mitte 40 erst nach einer Weile um. Die dampfende Zigarre inzwischen im Mundwinkel nickt er stumm und zeigt einladend auf einen Besucherstuhl.
Alain Bauer ist ein viel beschäftigter Mann: er arbeitet als unabhängiger Berater in Kriminalitäts- und Fragen der Inneren Sicherheit, als Lehrbeauftragter an den Hochschulen in Schanghai und New York und an der Pariser Sorbonne. Hinzu kommt sein Posten als Präsident des nationalen Observatoriums für Kriminalität. Eine öffentlich-rechtliche Institution, die unter seinem Vorsitz Fakten, Statistiken und Analysen zur Kriminalität im Auftrag des französischen Innenministeriums erstellt.
Bevor es sich der 1-Meter-90-Mann fürs Interview im Sessel gegenüber bequem macht, greift er in eines der Bücherregale, die die Wände seines Büros einnehmen. Er zieht ein kleines Taschenbuch heraus: "Hier finden Sie alle wichtigen Zahlen", verspricht er.
"Urbane Gewalt und Kriminalität - eine klare und verständliche Diagnose", steht auf dem Buchumschlag, Autor Alain Bauer. Wenn auch das Wort 'Banlieues" im Titel nicht auftaucht, - es geht um die Situation in den so genannten "schwierigen Vierteln", den Vorstadt-Ghettos französischer Ballungszentren. Sind die Menschen, die dort leben krimineller und gewalttätiger als der Durchschnittsfranzose? Nicht der einzelne Bewohner, wiegelt Alain Bauer ab. Dann schlägt seine Stimme um in die des neutralen Wissenschaftlers, der sich ausschließlich an Fakten hält. Ursache der höheren Kriminalitätsrate sei vor allem die demographische Zusammensetzung in den Vororten:
" Nehmen wir das Beispiel Seine Saint Denis: Dort sind 50 Prozent der Bevölkerung unter 2O Jahre. Das gibt es in keinem anderen Departement Frankreichs! Und - charakteristisch für Wohngegenden mit hohem Immigrantenanteil - es sind mehrheitlich junge Männer. Die sind naturgemäß gewaltbereiter als zum Beispiel ältere Damen. Wenn Sie dort also fünf- bis achtmal mehr junge Männer haben als anderswo, dann steigt auch insgesamt die Gewalt- bzw. Kriminalitätsrate. Es ist also die Demographie. Und nicht etwa die Ethnie der Bewohner, ihre Herkunft oder Religion."
Alain Bauer benutzt immer wieder den Begriff "Urbane Gewalt". Gemeint sind Gewaltdelikte, beschreibt der Kriminologe, die sich gegen Symbole und Repräsentanten des Staates richten und in Gruppen von Jugendlichen begangen werden: wie etwa Aggressionen und Angriffe gegen Polizisten oder Lehrer, das Anzünden öffentlicher Gebäude. Aber auch das Zerstören privaten Eigentums, wie die Autos der Nachbarn oder Geschäfte und Firmengebäude. Die Jugendlichen wollen einschüchtern und die öffentliche Ordnung destabilisieren. Sie betrachten den Staat als ihren Feind, die Gesellschaft als Gegner. Alain Bauer macht eine kurze Pause, als müsse er noch mal nachdenken. Dann fährt er fort: Auch ein Phänomen, das sich ausschließlich bei jungen Männern der Banlieues entwickelt hat. Seine Erklärung:
" Wir haben es fertig gebracht - keiner weiß wie - das wir nach Geschlecht integrieren. Wir integrieren die Mädchen, aber nicht die Jungen. Die Jungen haben weniger Zugang zu Bildung, Arbeit und Freizeitbeschäftigung und es fehlt ihnen die gesellschaftliche Anerkennung. Wir haben Wohngegenden geschaffen wie Seine Saint Denis, in denen wir diese Schwierigkeiten in einem sehr hohen Masse konzentriert haben, aber gleichzeitig überhaupt keine Lösungen anbieten."
Polizei statt Sozialarbeiter, Gefängnis statt Hilfe. Und wer nicht mitzieht oder dagegenhält, wird kritisiert oder gar öffentlich beschuldigt. So attackierte der französische Innenminister Nicolas Sarkozy unlängst die Jugendrichter in Seine Saint Denis, sie ließen minderjährige Straftäter systematisch laufen und würden so die Bemühungen von Polizei und Innenministerium zunichte machen. Sie seien verantwortlich, wenn in Seine Saint Denis die Kriminalität weiterhin steige. Alain Bauer verzieht sein Gesicht zu einem halb amüsierten, halb müden Lächeln.
" Die Richter sind nie so streng gewesen, angesichts immer schwerwiegenderen Delikten, die von immer jüngeren Tätern begangen werden. Die Richter sind absolut nicht lax. Allerdings: Die Richter haben quasi nur die Wahl zwischen Gefängnisstrafe und überhaupt keiner Bestrafung. Wenn ein Teenager eine Mülltonne angezündet oder jemanden mit Steinen beworfen hat, wird der Jugendrichter ihn nicht ins Gefängnis stecken. Was kann er stattdessen tun? Gar nichts. Alternativen zur Gefängnisstrafe für minderjährige Straftäter existieren in Frankreich nicht. Für 200. 000 jugendliche Straftäter und rund 100.OOO Jugendliche, die als Opfer aus ihren Familien geholt werden müssten, gibt es ganze 2000 Betreuungsplätze! Man kann also nicht einmal sagen, dass die Präventionspolitik gescheitert ist. - Sie existiert ganz einfach nicht!"
Es klingelt an der Tür. "Da ist schon der Nächste", sagt Alain Bauer und schaut auf seine Armbanduhr. Ein Mann in hellem Anzug kommt herein. "Ein Kollege von Ihnen, Journalist der Pariser Tageszeitung Le Figaro", stellt er ihn vor.
Vermutlich wird der Kriminologe auch im Interview dem Figaro-Journalisten wieder Ursachen der Kriminalität in den Banlieues erklären, die Kurzatmigkeit der Politiker beklagen und die mangelnde Zusammenarbeit der verschieden Ministerien und Behörden. Vielleicht findet der Vorsitzende des nationalen Observatoriums für Kriminalität auf dem Umweg über die Medien eines Tages Gehör bei Frankreichs regierenden Politikern.
Auch in "La Rose des Vents", einer Problemsiedlung der Nord- Pariser Vorstadt Aulnay-sois-Bois, kam es im vergangenen Jahr zu heftigen Unruhen und Gewalttaten. Und das, obwohl Innenminister Nicolas Sarkozy "La Rose des Vents" zuvor, gemeinsam mit 23 weiteren Siedlungen, zu "vorrangigen Sicherheitszonen" erklärt hatte. Um die Siedlung zu befrieden, sollte sich die Polizei besonders präsent zeigen. Deshalb wurde die Besetzung des Kommissariats erhöht. Die Lage eskalierte dennoch: Im Herzen der Siedlung zündeten Aufständische Autos an, zerstörten Geschäfte, setzten sogar die Polizeiwache in Brand. Sie steht bis heute leer. Und: die Zahl der Polizisten nahm ab, weil es an Anwärtern fehlt. Wo vor einem Jahr noch zehn Beamte pro Tag patrouillierten, sind jetzt nur noch sechs Polizisten im Einsatz. Von "Sicherheitszone" spricht hier niemand mehr.
Mit der Polizei auf Streife
Die junge Frau ist klein und zierlich, nur der Oberkörper wirkt unförmig. Das liegt an der kugelsicheren Weste, die sie unter dem dunkelblauen Blouson mit dem Polizeiabzeichen trägt. Am Gürtel hängen schwarze Lederhandschuhe, Handschellen, ein Schlagstock und die Pistole, eine Sig Sauer. In der Hand hält sie das Funkgerät. Die Polizistin geht zum Auto. Am Steuer und auf der Rückbank sitzen zwei männliche Kollegen.
" Jetzt melden wir uns an, damit die Leitzentrale weiß, wo wir sind, falls uns was passiert. TN 8 3 , TN 8 3. Ich melde eine Patrouille im Sektor Rose des Vents."
Nervös fingert die Polizistin am Funkgerät, stellt es lauter. Der Funkverkehr, sagt sie, kann Leben retten, das eigene oder das der Kollegen. Vom Beifahrersitz aus beobachtet sie die Menschen auf Straße und Bürgersteig. Ihren Namen möchte die Beamtin nicht nennen. Um zu verhindern, dass sie ihn hier im Viertel als Graffiti wieder findet, zusammen mit Drohungen oder Beleidigungen.
" Wir fahren durch Straßen, wo oft was los ist. Wo sich die Jugendlichen versammeln. Hier zum Beispiel, die Rue Paul Cezanne. Das ist ein Sektor, in dem es für uns schwierig ist, einzugreifen. Da können wir in kürzester Zeit von 30 Individuen umringt werden. Es ist eine Einbahnstraße, wir können nicht umdrehen. Schauen Sie, die Türme rundherum. Wir sind eingekreist. Wenn sie uns angreifen und wir schnell abhauen müssen, wird es brenzlig."
Die Straße ist eng. Sie führt in Kurven an überfüllten Parkplätzen vorbei. Links und rechts liegen die Wohnblöcke. Sie sind nicht sehr hoch, sechs Stockwerke, dafür scheinbar endlos und alle gleich: 24 Fenster, ein Mauervorsprung, 24 Fenster, ein Mauervorsprung. Der gelbliche Putz blättert ab. Eine eintönige Gegend. Ob sich die Polizistin bedroht fühlt?
Nein, sagt die junge Frau wie aus der Pistole geschossen, so als ob sie die Frage gar nicht erst bedenken wollte. Sie fühlt sich nicht bedroht. Immerhin arbeitet sie freiwillig in diesem Problemviertel.
Vor zweieinhalb Jahren hat sie die Polizeischule beendet. Danach hat sie im Hauptkommissariat von Aulnay Anzeigen aufgenommen. Dann wechselte sie auf eigenen Wunsch in die Polizeieinheit der Hochhaussiedlung "La Rose des Vents". Dort gehört die 28Jährige bereits zu den erfahrenen Beamten, leitet Patrouillen. Die Kollegen im Auto sind noch in der Probezeit.
" Ich habe mir Aulnay ausgesucht. Ich habe die Polizeischule mit einer guten Note verlassen und wollte einen Ort, wo man richtig arbeitet. Hier gibt es viel zu tun, man langweilt sich nicht. Das ist mir recht."
Die Kollegen stimmen zu. Alle haben sich den Posten in der Siedlung gewünscht. Denn in "La Rose des Vents" lernen sie ihren Beruf schneller als in der Provinz. Da steigt auch mal der Adrenalinspiegel. Die beiden Männer im Streifenwagen mögen das. Außerdem ist das Viertel ein Sprungbrett für die Karriere. Wer es hier ein paar Jahre ausgehalten hat, kommt gut weiter. Die junge Frau braucht keinen Kick. Sie fühlt, dass sie hier gebraucht wird.
Es ist früher Nachmittag. Frauen mit Kinderwagen schleppen ihre Einkäufe nach Hause. Eine Frau ist völlig verhüllt in einer schwarzen Burka. Drei Männer beugen sich über den Motor eines Autos. Hier und da stehen Jugendliche untätig vor den Hauseingängen, blicken dem Polizeiauto nach. Alles ist ruhig.
Manche Bewohner sagen uns, dass es sie beruhigt, wenn sie uns im Viertel sehen. Leute, denen man das Auto zerstört hat, ehrliche Bürger, die zur Arbeit gehen. Es gibt sogar Jugendliche, die die Schnauze voll haben, von dem, was ihre Kumpel so anstellen. Für diese Menschen sind wir da, die brauchen uns. Hier leben ja nicht nur junge Leute, die sich dem Gesetz widersetzen.
Während der Streifenwagen seine Runden dreht, zieht ein großer, kräftiger Polizist mit drei Kollegen zu Fuß durch die Straßen. Er trägt keinen Helm, nur die blaue Schirmmütze mit der Aufschrift "Polizei". Er hat auch nichts dagegen, seinen Vornamen zu nennen, sofern der im Viertel nicht die Runde macht. Jean-Marie sagt offen, was er denkt.
" Das ist ein Viertel, das ich nicht mag. Die Bevölkerung ist feindselig. Bei diesen Leuten fühlt man sich nicht wohl."
Auch er ist aus freien Stücken in dieser "Zone", wie er sagt, um seinen Beruf gründlich zu erlernen. Mit seinen 30 Jahren ist Jean-Marie einer der Ältesten auf der Polizeiwache, ein Dinosaurier, sagen die Kollegen. Neben der üblichen Bewaffnung hat er noch die Flashball dabei, ein Gewehr, das harte Gummigeschosse abfeuert.
" Hier zum Beispiel, die Rue Bailly de Suffren, das ist eine rechtlose Zone. Die Jugendlichen sagen uns, dass wir nicht das Recht haben, durch diese Straße zu gehen. Hier wird gedealt und mit gestohlenen Autos gehandelt ... Sie nennen das die KDF-Zonen, KDF für Killeurs de Flics, Bullenmörder. Die mögen uns hier nicht."
Jean-Marie kommt aus Guadeloupe, er hat eine dunkle Haut. Manchmal erleichtert ihm das die Verständigung mit den Jungs aus dem Viertel. Doch meistens sehen die nur die Uniform. Schwierige Jugendliche kennt er auch von zuhause. Trotzdem hat er in der Pariser Vorstadt eine neue Erfahrung gemacht: Dass ganz hart gesottene Jugendliche sogar handgreiflich werden. Dabei ist es nur eine Minderheit von 50 bis 100 jungen Leuten, die die Spannungen in der Cité schüren.
" Während der Unruhen vom November 2005 war es hier sehr brenzlig. Die Polizeiwache wurde angesteckt. Seither sind wir nicht mehr in der Siedlung stationiert, sondern in einer anderen Wache, zwei Kilometer entfernt. Wir spüren, dass sich was verändert hat. Die Kerle hier wollen nicht, dass wir in die Polizeiwache zurückkommen. Es wird immer schwieriger, in dieser Siedlung zu arbeiten."
Die ausgebrannte Polizeiwache soll demnächst repariert und vor allem sicherer gemacht werden. Nächstes Jahr könnten die Polizisten dann wieder im Herzen der Siedlung untergebracht sein.
Das Viertel belebt sich. Überall Menschen: Kinder, Jugendliche, junge Männer. Nur die Frauen und Mädchen sind zielstrebig, sie stehen nicht herum wie die anderen. In der Ferne brüllt jemand eine Beschimpfung. Die Polizisten drehen sich nicht um. Sie wissen auch so, dass sie gemeint sind. Geradezu reflexartig schauen die Beamten nach oben, checken Fenster und Hausdächer ab. Obwohl es wenig nutzt. Auch heute landet wieder ein Stein auf ihrem Weg, faustgroß. Um einen Meter hat er die Patrouille verfehlt.
"83 dringend, ÜPP Rose des Vents wurde Opfer eines Steinwurfs in der Höhe der Nummer 23 rue Paul Cézanne, Steinwurf, kein Verletzter bei uns. Es sind Individuen zu sehen, aber wir kennen den Täter nicht.
Wir nehmen den Streifengang wieder auf. Wir verlassen den Sektor jetzt.
Da, sehen Sie? Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass wir mit Steinen beworfen werden."
Ein Auto biegt um die Ecke, bremst an der Kreuzung zur Nationalstraße. Am Steuer sitzt ein Jugendlicher. Jean-Marie kennt den jungen Mann. Er sprintet zum Wagen. Du hast doch keinen Führerschein, sagt er. Wem gehört denn dieses Auto? Der Fahrer ist erst 17. Er zeigt auf seinen Nebenmann: der da hat den Führerschein.
" So trifft man sich wieder! Haben Sie einen Führerschein, Monsieur? Sicher?"
Die Jungen protestieren: sie sind doch nur ein paar Meter gerollt, eine Bagatelle. Widerwillig steigen sie aus, zeigen ihre Papiere. Jean-Marie streift die schwarzen Handschuhe über, tastet sie ab. Keine Drogen, fragt er?
Von überall kommen junge Leute angelaufen, scharen sich um die Gruppe. Die Polizisten telefonieren mit der Leitzentrale, fordern Verstärkung an. Jean-Marie will die Gaffer zerstreuen - es gelingt ihm nicht. Den Jungen will er mitnehmen auf die Polizeiwache. Die beiden Autofahrer schimpfen, fluchen, drohen, provozieren.
" Hört ihr, was er gesagt hat? Er sagt, dass er Haschisch hat und weiß, wo welches versteckt ist."
Endlich sind die Kollegen mit dem Polizeiauto da. Sie legen dem minderjährigen Fahrer Handschellen an, nehmen ihn mit. Wutschäumend steigt der Freund wieder ins Auto, rast davon. Die umstehenden Jungs schauen wortlos zu. Sie haben sich nicht stark gemacht für ihren Kumpel. Es ist gut gegangen.
Jean-Marie fährt aufs Hauptkommissariat, um den Vorfall zu Protokoll zu geben. Seine Kollegen kehren zurück zur Wache. Für sie geht ein ganz normaler Arbeitstag
Einmal Verlierer, immer Verlierer. In Frankreichs Banlieues aufwachsen und in die Schule gehen kommt einer Verurteilung gleich: deutlich weniger Chancen auf eine gute Ausbildung, hohes Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit und Armut. Nur Wenigen gelingt es, diesem Schicksal zu entkommen und ihre Cité später zu verlassen. Die unsichtbaren Gefängnismauern der französischen Ghettos sind für die Mehrheit der dort lebenden Bevölkerung unüberwindlich.
Eine Schande, ungerecht, - vor allem aber eine Vergeudung wertvoller Ressourcen für die französische Gesellschaft, sagte sich vor gut fünf Jahren, Richard Descoings, der Direktor der Pariser Elite- Universität "Sciences Po", der Hochschule für Politikwissenschaften. Er organisierte - trotz massiver Widerstände in den eigenen Reihen - eine spezielle Aufnahmeprüfung für begabte Abiturienten aus sozial benachteiligten Wohngegenden des Departements Seine Saint Denis.
Chance für Begabte aus den benachteiligten Wohngegenden
An den riesigen Türen zur marmornen Eingangshalle stehen zwei kräftige Sicherheitsmänner in dunklen Anzügen und beobachten mit strengem Blick das Kommen und Gehen der Studenten. Junge Männer und Frauen, die sich bei genauem Hinsehen vom französischen Durchschnittsstudenten unterscheiden. Ob dezent oder modisch, sie sind teuerer gekleidet; etliche tragen Laptopmodelle der letzten Generation mit sich herum. Und wer der Studenten kommt aus den Banlieues von Seine Saint Denis? Zwei deutsche Science-Po-Studentinnen, die gerade die Halle durchqueren auf dem Weg zu ihrem Nachmittagsseminar, können auch nicht helfen. Sie wissen nicht, wer dazu gehört, sagen sie.
" Man unterhält sich nicht so direkt darüber. Man fragt nicht/ Nein, weiß ich auch nicht. Ich hab auch das Gefühl, dass die Studenten sehr bedacht darauf sind - na ja, dass man eben eine gewisse Herkunft hat. Die machen hier schon so ein bisschen auf Elitebetrieb. Da würde ich mich auch gar nicht trauen, zu fragen: Bist du in irgendeinem Banlieue zur Schule gegangen."
Im hinteren Teil der Halle führt eine Treppe hinunter zur Cafeteria. Es ist ein relativ kleiner, gemütlicher Raum mit runden Tischen, dazu jeweils zwei, drei Stühle. In einer Nische sitzen Studenten, lesen Zeitung oder klicken sich an Flachbildschirmen durchs Internet. Auf der gegenüberliegenden Seite ein riesiges Panoramafenster mit Blick auf den Innenhofpark mit seinen alten Bäumen.
Auf einer Parkbank sitzt Akim Alouch, 22 Jahre alt und telefoniert. Der zierliche Franzose mit der sanften Stimme gehört zur ersten Generation der Sciences-Po-Studenten, die aus den Pariser Banlieues gekommen. Er hat im Juni dieses Jahres sein Studium erfolgreich abgeschlossen.
Seitdem hat Akim Alouch, dessen Eltern aus der Türkei und Algerien nach Frankreich eingewandert sind, um verschiedene Stellen beworben. Mit Erfolg. Er kann wählen zwischen drei sehr interessanten Angeboten, erzählt er nicht ohne Stolz: Zwei gut dotierte Jobs im Management multinationaler Unternehmen und eine leitende Position in einer NGO, einer Nicht-Regierungsorganisation. Mit einem Diplom der Sciences-Po-Eliteuni in der Tasche ist die Jobsuche kein Problem. Da ist selbst meine Herkunft kein Handicap mehr, sagt er, als würde es ihn selbst noch wundern.
" Bestimmte Fragen werden nicht gestellt, wenn man eine Sciences-Po-Diplom hat. Im Allgemeinen freuen sich die Unternehmen über die Bewerbung eines Sciences-Po-Studenten."
Akim Alouch, das Einwanderkind aus einem der berüchtigten Pariser Vorstadtghettos, ist die Welt außerhalb seines Banlieue inzwischen längst vertraut.
Er habe sich während des fünfjährigen Studiums auch sehr wohl gefühlt und etliche Freundschaften geschlossen. Dennoch betrachtet der junge Franzose die gute Ausbildung nicht als Glückssache oder Geschenk milder Wohltäter. Er hat die Fähigkeiten gehabt, den nötigen Ehrgeiz, sagt der Sciences-Po-Absolvent, und er habe hart für sein Diplom gearbeitet. Er verdiene das Diplom genauso, wie alle anderen Sciences-Po-Absolventen.
Aber natürlich erinnert er sich noch sehr gut an die anfänglich heftigen Reaktionen der zahlreichen Kritiker des Projekts, die dem Direktor der Sciences-Po vorwarfen, mit den Studenten aus den Banlieues den legendären Ruf der Universität zu ruinieren. "Da muss man dann ganz einfach drüber stehen, meint Akim Alouch selbstbewusst. Sehr viel beeindruckender fand er den Enthusiasmus und die Freude, die seine Annahme an der Sciences-Po bei den Leuten in seinem Viertel ausgelöst hat.
Und plötzlich huscht über sein bis dahin eher ernst und reserviert wirkendes Gesicht ein Hauch von Rührung.
" Alle waren sie so froh darüber und sehr stolz. Es ist für sie vor allem ein Stück Anerkennung. Sie, die sonst nur angegriffen und stigmatisiert werden. Die Leute in den so genannten schwierigen Vierteln brauchen Annerkennung."
Sie wollen von Staat und Politik wahrgenommen werden, so lautete eines der Erklärungsmuster für die Unruhen vom vergangenen Jahr. Feuer und Steine als Aufschrei einer Minderheit, die sich mit ihrer einzigen Waffe - Gewalt - dagegen wehrt, aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Eine Bevölkerungsgruppe, die auf der politischen Bühne nicht vertreten ist. Und die nicht mehr an die Politik glaubt.
Wie alle Parteien tut sich auch die "Parti Socialiste", die Sozialistische Partei, schwer, den farbigen Franzosen in ihren Reihen Platz zu machen. Für die Parlamentswahlen im kommenden Jahr hat die Partei 20 Wahlkreise für "Black" und "Beurs" reserviert. Über die Hälfte ist bereits im Voraus verloren. Auch die übrigen Parteien interessieren sich nicht wirklich für die Anliegen der Einwandererfamilien und ihrer Nachkommen.
Der schwere Stand der maghrebinischen Politiker
Akli Mellouli schiebt sich durch das Menschengewimmel. Er ist groß und kräftig, überragt die meisten Menschen. Das gestreifte Hemd hängt locker über der Jeans, im offenen Kragen blinkt ein goldenes Kettchen. Alle paar Schritte bleibt er stehen, schüttelt Hände, redet mit dröhnender Stimme, bricht in ansteckendes Lachen aus. Mellouli ist ein Kind der Siedlung.
Als er sechs Jahre alt war, kam Akli mit seinen Eltern aus Algerien nach Bonneuil. Seither hat er nie woanders gelebt. Vor 15 Jahren zog es ihn in die Politik. Inzwischen hat er es zum Stadtrat und Oppositionsführer gebracht. Eines Tages könnte Mellouli das Rathaus erobern. Doch der 47-Jährige will nicht nur in seiner Vorstadt aktiv sein. Nächstes Jahr wird er als Kandidat der Sozialistischen Partei für die Nationalversammlung kandidieren. Einer von wenigen mit algerischem Namen, dunklem Krauskopf und einer Adresse, die keinen guten Ruf hat.
"Wie geht's Akli? Was machen die Wahlen?
Ja, die Parlamentswahlen rücken näher. Ich ziehe hier meine Runden und mache Werbung, wie alle anderen. Schließlich will ich in den Top 50 landen. Ich bin einer von denen, die man aus dem Zoo geholt hat ... So kann ich wenigstens meine Botschaft unters Volk bringen: dass sich die französische Gesellschaft endlich öffnen und wahrnehmen muss, wie sie wirklich ist."
Mellouli schaut sich um: Menschen aller Hautfarben sitzen hinter den Ständen, Männer und Frauen, die sich engagieren. Nicht nur hier, in der abgeschotteten Hochhaus-Siedlung, auch in Paris, wo er für den Regionalrat Ile-de-France arbeitet, ist die Gesellschaft zunehmend ethnisch gemischt. Ein blonder junger Mann vom Stand der Kommunisten fällt ihm ins Wort, die beiden kennen sich aus dem Rathaus, wo die KP seit 71 Jahren am Ruder ist. Mellouli grinst, unter den buschigen Augenbrauen wirken seine Augen klein und verschmitzt, seine Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.
" Hoffentlich fördert die Sozialistische Partei ihre Kandidaten aus Immigrantenkreisen nicht nur, um sie aus dem Zoo zu holen und vorzuführen."
" Das hoffe ich auch, und außerdem: dass auch alle anderen Parteien ihre Mitglieder aus Einwandererkreisen unterstützen. Dafür kämpfe ich mit Kameraden aus allen Parteien. Ich zähle auch auf euch, die Kommunisten. Bisher sieht es ziemlich schlecht aus. Abgesehen von den Deputierten der Überseegebiete gibt es keinen einzigen farbigen Abgeordneten in der Nationalversammlung."
Er klopft dem jungen Mann auf die Schulter, dann zieht er weiter, ruhig und entschlossen, wie ein Bulldozer, der sich nicht bremsen lässt.
Ein Fastfood-Lokal ist der Treffpunkt von Jung und Alt. Mustafa steht am Spieß und schneidet Fleisch herunter. Döner-Kebab, Würstchen, Hamburger - alles streng Hallal. Akli Melluli schüttelt ihm die Hand, dann geht er von Tisch zu Tisch. Wie ein großer Bruder begrüßt er jeden einzelnen Gast. Er kennt sie alle, mit den Älteren ist er aufgewachsen, die Jüngeren hat er früher betreut, als er noch Sozialarbeiter war. Wie Samira, die mit ihren Freundinnen einen Kaffee trinkt. Die jungen Frauen finden es gut, dass einer von ihnen jetzt Karriere in der Politik machen will.
" Wir sind hier geboren, wir leben, arbeiten und wählen hier, aber wir sind nicht anerkannt. Nur wenn es Probleme gibt, dann spricht man über uns, nennt uns Einwanderer und fordert Integration. Sonst interessieren wir niemanden. Wir brauchen wirklich Leute, die uns vertreten. - Manchmal glaube ich, dass wir stören. Wir sind alle zur Schule gegangen, viele von uns engagieren sich in der Siedlung. Aber sobald einer von uns in der Politik aufsteigt, kriegen sie offenbar Angst. Ich weiß gar nicht, wovor."
In Bonneuil hat Akli Mellouli seinen Parteiverband auf Vordermann und die Kommunisten in Bedrängnis gebracht: unter seiner Führung stieg der Stimmenanteil der PS von mageren 6 Prozent auf über 21 Prozent. Jetzt will er, dass sich die Gewohnheiten in der Partei ändern und Leute wie er auch auf nationaler Ebene mitreden dürfen. Dazu hat er einen Club mit einem vieldeutigen Namen gegründet: "Prairial 21". Prairial, so tauften die französischen Revolutionäre den Frühlingsmonat, am 21. April 2002 siegte der Rechtsradikale Politiker Jean-Marie Le Pen bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, 21 steht auch für unser Jahrhundert. Rund 100 Genossen, fast alle nicht-französischer Abstammung, haben sich zusammengetan, um ihre Interessen mit mehr Nachdruck zu vertreten.
Für die kommenden Parlamentswahlen hat die PS gerade mal 20 von insgesamt 577 Wahlkreisen für farbige Kandidaten reserviert. Wer dort aufgestellt wird, das entscheiden nicht die Parteimitglieder vor Ort, sondern die Parteispitze. Viele engagierte Maghrebiner wurden kalt gestellt, sagt Mellouli.
" Sie behandeln uns wie unreife Kinder. So als ob es vor Ort nicht genug bewährte Sozialisten aus afrikanischen oder asiatischen Einwandererfamilien gäbe. Aber die sind der Partei nicht immer genehm. Die Partei will das farbige Bild ohne den Ton. Für die Parität werden auch Wahlkreise reserviert, nur da sagt keiner, welche Frau kandidieren soll. Bei uns schon. Ganz im Kolonialstil. Das zeigt uns, dass wir immer noch illegale Kinder sind."
Er selbst ist eine Ausnahme: ein Araber, der sich seinen eigenen Wahlkreis erobert hat. Die Basis hat sich einstimmig für Akli Mellouli ausgesprochen. Aber nicht alle in der Partei haben das gern gesehen.
" Zu meinem Wahlkreis gehört auch eine durch und durch bürgerliche Stadt. Einzelne Parteimitglieder haben gesagt: "Akli Mellouli als Kandidat in Saint Maur - das bringt uns keine Stimmen. Akli müssen wir dorthin schicken, wo Araber leben." So sprechen Leute, die angeblich gegen Parallelgesellschaften sind. Unglaublich! Die sagen: "Mohammed, geh du nur zu den Mohammeds."
Seine Chancen sind gering. Denn der Wahlkreis ist fest in konservativer Hand. Das beirrt ihn nicht. Akli Mellouli ist überzeugt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Franzosen wie er Verantwortung übernehmen.