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Die Wut kocht

Irland liegt an der traurigen Spitze der Neuverschuldung in Europa. Das Land ist gezwungen, massiv auf die Ausgabenbremse zu treten. Die Folgen für das soziale Gefüge sind deutlich spürbar. Die Gewerkschaften organisieren Proteste, doch auch sonst kocht der Volkszorn.

Von Martin Alioth | 11.11.2009
    "They say cutbacks. We say fight back. What do we want? Fair play - when do we want it? – Now!"

    Sie wollen Kürzungen, wir wollen Widerstand. Wir verlangen Gerechtigkeit, und zwar jetzt. – Etwa 1500 Leute haben sich im Stadtzentrum von Dundalk eingefunden, an ihren Bannern sind sie mehrheitlich als öffentliche Bedienstete zu erkennen: Krankenschwestern, Lehrer, Polizisten. Tony, ein Steuerbeamter, erklärt, warum er gekommen ist:

    Er befürchte weitere Lohnkürzungen, dabei habe er doch schon 13 Prozent seines Gehalts verloren. Er rechnet mit weiteren zehn Prozent in den nächsten beiden Jahren. – Dabei werde der öffentliche Dienst einseitig zum Sündenbock gestempelt.

    Deshalb müssten sie sich wehren. – Der bedrängte irische Fiskus hat bereits Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen im Gegenwert von fünf Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung in die Tat umgesetzt. Das treibt bisweilen eigenartige Blüten, wie der Reserve-Feuerwehrmann Brendan erläutert, er müsse die neue Rentenabgabe bezahlen, obwohl er gar keinen Pensionsanspruch habe. 2500 Feuerwehrleute seien in derselben Lage.

    Dieser Eindruck der Ungerechtigkeit ist im öffentlichen Dienst weit verbreitet. Die Lehrerin Helen sieht es auch so:

    Sie wehre sich dagegen, dass nur gewisse Steuerzahler zur Kasse gebeten würden. – Allein, es hilft nichts: Die irische Regierung scheint für einmal entschlossen, unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen. Die Arbeitslosigkeit steht schon bei 12,5 Prozent, die Deflation bei 4,4. Der Rückgang der irischen Wirtschaftsleistung in dieser Krise wird inzwischen auf 14 Prozent geschätzt. Am deutlichsten äußert sich das im Staatshaushalt, wie Premierminister Brian Cowen übers Wochenende lapidar erklärte:

    Irland gibt dieses Jahr 58 Milliarden Euro aus und nimmt nur 32 Milliarden ein. Das sei nicht haltbar.

    Die für den Haushalt geplanten Einsparungen von vier Milliarden führten letztlich nur dazu, dass die Neuverschuldung nicht noch weiter steige. – Doch was vom Regierungschef wie ein Gottesgericht dargestellt wird, sieht aus gewerkschaftlicher Perspektive etwas anders aus. In Dundalk sparte der lokale Gewerkschaftsboss John King nicht mit Vorwürfen:

    Schuld an der beispiellosen Unsicherheit sei die Misswirtschaft dieser Regierung, die ihre Politik nur nach den Interessen der Banker und Spekulanten ausgerichtet habe. – Das ist nicht etwa eine einseitig ideologische Analyse, das ist auch die Volksmeinung, wie die Gewerkschafterin Geraldine pointiert formuliert:

    Die Banker sollen ungeschoren bleiben und kleine Leute sollen für ihre Schulden ins Gefängnis? Doch wohl eher nicht. - Der Volkszorn ist echt, Irland erlebt in diesen Tagen einen für hiesige Verhältnisse ungewöhnlichen Verteilungskampf. Aber die Gewerkschaften haben keinen leichten Stand, denn sie kungelten in den guten Jahren schamlos steigende Löhne für den öffentlichen Dienst mit der Regierung aus, die mit derartigen Absprachen das Parlament entmachtete. Jetzt, wo es nichts mehr zu verteilen gibt, weht ein rauerer Wind.