El Amrani ist Direktor der Schule von Ben Younnech, einem kleinen Dorf, das so versteckt ist, dass es sogar für die meisten Marokkaner unbekannt war. Am Fuße steiler Klippen direkt am Mittelmeer gelegen in einer kleinen Bucht. Wer hier hin will, muss seinem Auto eine steile Serpentinenstraße voller Schlaglöcher zumuten.
Ben Younnech ist das Ende Afrikas. Wenn der Mittfünfziger El Amrani aus dem Fenster seines Arbeitszimmers schaut, guckt er auf Drahtzäune: unmittelbar vor der Schule ist die Grenze zu der spanischen Enklave Ceuta. Es gibt einen kleinen Übergang für Fußgänger, der Umgangston ist freundlich und wenn mal was passiert, halten Marokkaner auf der einen und Spanier auf der anderen Seite des Zaunes durchaus zusammen.
Es gab da gerade vor ein paar Stunden einen Obdachlosen, der Jugendliche mit einem Messer angegriffen hat. Und dann haben wir bei den spanischen Grenzpolizisten nach einem Krankenwagen für den verletzten Jugendlichen angefragt und sie haben ihn ins Krankenhaus in Ceuta gebracht.
Die Bewohner der umliegenden Dörfer und Städte haben ein Privileg, um das sie von vielen beneidet werden: sie dürfen ohne Visum nach Ceuta einreisen, ein Traum, der für die allermeisten unerfüllbar bleibt. Die so Privilegierten nutzen ihren Vorteil auf ihre Weise: Ben Younnech lebt vom Schmuggel, erzählt Omar. Der Student kommt aus der nahen Stadt Tetouan, auch er hat die Genehmigung für Ceuta.
Es gibt Leute hier aus der Gegend, die nach Ceuta fahren, nur, um für andere Waren zu kaufen. Sie schwimmen dann zurück, bringen den anderen die Sachen mit und bekommen dann ihr Geld. Wenn sie den Kram dabei verlieren, haben sie eben Pech.
Ein einigermaßen bizarres Bild: alle halbe Stunde schwimmt ein Jugendlicher mit nacktem Oberkörper gegen die Wellen an und um die Felsen der Bucht herum Richtung Strand. Er hat ein riesiges pralles Paket mit glänzender schwarzer Plastikfolie eingewickelt und zusammengeschnürt im Schlepp, gelangweilt auf dem Felsen wird er verfolgt von einem marokkanischen Zöllner auf der einen Seite des Zaunes und von einem spanischen auf der anderen.
Seit ein paar Wochen können die meisten Marokkaner etwas mit Ben Younnech anfangen. Wer nämlich die einzige Straße entlang fährt, an protzig-hässlichen Häusern vorbei, die angeblich nicht nur von Schmuggelprofiten gebaut worden sein sollen, gelangt auf eine Anhöhe. Hier ist der Eingang zu einem unterirdischen Gefängnis, in dem Franco-Gegner vegetierten, als die Spanier noch Kolonialmacht in Nordmarokko waren. Bis vor kurzem haben in diesen nicht einmal mannshohen Gängen illegale Emigranten aus Schwarzafrika darauf gewartet, die Meerenge von Gibraltar überqueren zu können.
Jetzt ist an ein Verstecken nicht mehr zu denken, denn wer über die Klippen schaut, sieht in wenigen Metern Entfernung einen Felsen: Leyla, spanisch Perejil. Der Felsbrocken des Anstoßes. Schuldirektor El Alami und ein entfernter Cousin zeigen auf die Insel.
Das ist jetzt eine Touristenattraktion für Marokkaner geworden. Sie kommen aus Casablanca, Laayoune, Rabat, von überall her. Ben Younnech ist jetzt in der ganzen Welt bekannt geworden – und in Marokko auch.
Sie kommen, sie schauen, und sie teilen alle El Alamis Ansicht – egal, ob Leyla, ob die Kleinstadt Ceuta oder die knapp 100 Kilometer weiter an der Mittelmeerküste gelegene Stadt Melilla:
Für mich ist das kein spanisches Gebiet. Ich betrachte das als marokkanisches Gebiet, von Spanien besetzt.
Es ist doch Europa, das auf Marokko Druck ausübt, dass wir diesen Zug der Emigranten aus Afrika, Marokko, Algerien, Tunesien aufhalten. Deshalb war Marokko doch verpflichtet, diese Station aufzubauen. Abgesehen davon, Leila ist eben marokkanisch.
Ceuta und Melilla und ein paar Felsbrocken im Mittelmeer – das ist es, was die marokkanische Volksseele regelmäßig zum Sieden bringt. Seit Jahrhunderten hält Spanien dieses Gebiet besetzt und dass Spaniens Regierung darüber noch nicht einmal mit sich reden lassen will, dass lastet schwer auf dem marokkanischen Gemüt. Jetzt müssen marokkanische Zeitungsleser auch noch zur Kenntnis nehmen, dass Spanien und England sich in der Gibraltar-Frage näherkommen – doch über seine Besitzungen in Nordafrika will die Regierung nicht mit sich reden lassen. Das erklärt in der Hauptstadt Rabat Ramòn Iribarren, Mitarbeiter der Botschaft, die seit der Krise um Leyla oder Perjil ohne Botschafter da steht.
Historisch betrachtet sind die Gebietet spanisch, in der spanischen Verfassung erwähnt, mit dem Status europäischer Städte und daher gibt es von unserer Seite darüber keine Diskussion, es gibt darüber keine internationale Resolution, daher sind das keine Kolonien, keine besetzten Gebiete oder sonst irgend etwas, sie haben einen eindeutigen Status, da Spanien ein europäisches Land ist mit Gebieten auf einem anderen Kontinent, aber zum Beispiel die Kanarischen Inseln sind absolut europäisch, aber dennoch auf einem anderen Längengrad. Dasselbe gilt für Ceuta und Melilla.
Als demütigend empfinden das viele Marokkaner, doch das Land kann kaum auf internationale Unterstützung hoffen: zu ungeschickt verkauft die marokkanische Regierung ihre Haltung. Und die europäischen Nachbarländer haben sowieso kein Interesse, über koloniale Überbleibsel zu reden: dann müsste nämlich Frankreich zum Beispiel über La Réunion oder Portugal über Madeira oder die Azoren nachdenken. Eine Ungerechtigkeit, finden viele Marokkaner. Mohamed Larbi Ben Othmane, Juraprofessor an der Universität Mohammed V. in Rabat.
Wir haben das Problem mit den Gebieten, die noch von Spanien besetzt sind. Spanien hat sein Problem mit seinem Gebiet, das noch von den Engländern besetzt ist, Gibraltar. Sie verstehen einfach nicht, dass das doch im Prinzip das gleiche ist: es ist das Ergebnis der Geschichte! Nehmen Sie unser Problem in der Westsahara: Wir haben da eine Separatistenbewegung. Sie haben dasselbe Problem im Baskenland. Hat jemals ein marokkanischer Politiker sich gegen die staatliche Einheit Spaniens ausgesprochen? Aznar aber hat das bei uns getan. Sehen Sie? Es ist Spanien, das ein Problem mit Marokko hat.
Viele Marokkaner glauben, ganz Spanien träumte noch immer von der Reconquista und der Wiederherstellung des iberischen Weltreiches – und fühlen sich prompt ihren europäischen Nachbarn gegenüber unterlegen – besonders seit in Madrid der Nationalist Aznar regiert, der in Marokko schon mal mit Diktator Franco verglichen wird.
Ich glaube, Spanier fühlen sich Marokkanern immer überlegen. Das merkt man am Verhalten von manchen Regierungen, nicht allen, aber wenn bestimmte Regierungen an die Macht kommen, gibt es immer Probleme.
Hier fühlt sich keiner überlegen: Fnideq, eine gesichtlose Kleinstadt vor den Toren Ceutas ist Marokkos größter Schmuggelmarkt, die ganze Stadt lebt vom Schwarzmarkt, gehandelt wird alles: Seife, Grills, Kühlschränke, Käse, Decken, Unterhosen. Schmuggel ist Volkssport, morgens kommen Busladungen voll mit Menschen aus Casablanca, Rabat oder sogar dem 1000 Kilometer entfernten Agadir angereist, decken sich hier mit Schmuggelgut ein, fahren mit dem nächsten Bus wieder zurück und verkaufen dann die Ware auf den Straßen ihrer Heimatstädte, deren Bürgersteige sich abends in Warenlager verwandeln. Ächzt eine Frau schon mal unter ihrer Last, helfen die spanischen Zöllner gern mal aus. Für 70 Euro schwimmen Jugendliche Kühlschränke an Land, ohne Türen, die sie wie Paddelboote benutzen. Dann werden sie wieder zusammengeschraubt und als neu verkauft.
Wir verkaufen alles, mit dem man handeln kann. Shampoo, Parfum, Seife, Kakao, Ariel, Waschmittel...alles, was aus Ceuta kommt.
Der blühende Schmuggel ist der marokkanischen Regierung ein Dorn im Auge, ihr entgehen jedes Jahr etliche Millionen Euro an Steuern. Andererseits leben –zigtausende Marokkaner davon, die sonst arbeitslos wären. Für die Schwarzmarkthändler in Fnideq ist dennoch klar, wer eigentlich den Vorteil vom massenhaften Schmuggel hat:
Die Spanier. Sie verkaufen alles an uns und verdienen sehr viel Geld damit.
Das geben unter der Hand sogar spanische Offizielle zu. Die beiden Enklaven leben vom Handel mit den Schmugglern. Der wirklich profitable Schmuggel aber findet außerhalb der Städte statt: Menschenschmuggel ist ein lukratives Geschäft und hat schon Drogenhändler zum Umstieg bewegt: weniger Investitionen, geringere Strafen. Und der Bedarf ist riesig: 80 Prozent aller jungen Marokkaner würden, wenn sie denn könnten, das Land verlassen – quer durch alle Gesellschaftsschichten träumen ganze Generationen von einem Leben in Wohlstand und Freiheit. Die sechs Gendarmen, die die marokkanische Regierung Anfang Juli auf die Insel Leyla/Perjil entsandt hatte, sollten die Meerenge überwachen, so hieß es offiziell in Rabat. Seit Monaten verschärft Marokko seine Kontrollen an der Nordküste. Die Emigration – das ist der Kern allen Unfriedens zwischen den beiden Nachbarn, glaubt zumindest der Diplomat Ramòn Iribarren.
Das ist das Hauptproblem: Das menschliche Drama, das sich jeden Tag abspielt, wenn die spanische Küstenwacht anonyme Leichen einsammelt, Menschen, die ihren Illusionen gefolgt sind und ihr Leben im Meer gelassen haben.
Die meisten Emigranten, die sich auf das Abenteuer der Meerüberquerung einlassen, kommen aus dem Landesinneren. Sie wissen nicht, wie gefährlich es ist, in einer der winzigen Nussschalen, Pateras genannt, zu versuchen, nach Spanien oder auf die kanarischen Inseln zu kommen – und viele bezahlen das mit ihrem Leben.
Hinter jedem Toten steht immer auch eine Familie, die leidet und die Freunde, die diesen Verlust verspüren. Und das findet alles im Verborgenen statt, niemand beschäftigt sich damit.
Khalil Jemmah ist Vorsitzender der Association Ami et Familles des Victimes de l’Emigration Clandestine, vor einem Jahr gegründet – und er findet, der europäische Nachbar übertreibt in Sachen Emigration.
Meiner Meinung nach versucht Spanien, das Problem hochzuspielen. Sicherlich, um mehr Subventionen von der EU zu bekommen. Und außerdem haben doch die Emigranten Andalusien mit aufgebaut. Jeder weiß doch, in welchem Zustand Andalusien vor der Einwanderungswelle war. Das war eine der trockensten und ödesten Gegenden Europas, heute ist das eine Agrar-Großmacht. Und es ist auch die billige Arbeitskraft der Emigranten, die dazu beigetragen hat.
Seine Initiative hat ihren Sitz in Khouribga, einer staubigen heißen Stadt, in der Phosphat abgebaut wird. Von hier wollen besonders viele weg nach Europa. In den Straßen liegt ein Western-Union-Büro neben dem nächsten. Junge Männer mit Handy und Taschen voller Geld tauschen schwarz und ohne große Umstände das Geld der Emigranten: ein Anruf aus Italien, Belgien, Spanien oder Frankreich, und dem Bruder, der Schwester oder sonst wem wird ausgezahlt, was der Verwandte in Europa erarbeitet hat. Nur so kann Marokko seinen Devisenhaushalt einigermaßen in Ordnung bringen.
Spaniens Regierung setzt auf Sicherheit, Polizei und Abschreckung. Selbst der spanische Diplomat Iribarren hat seine Zweifel, ob dieser rein sicherheitspolitische Ansatz der richtige ist.
Es ist ein Problem, das sich mit gutem Willen lösen ließe. Mit politischem Willen, mit Verträgen über Arbeitskräfte, die erlauben, dass niemand mehr Lust bekommt, es illegal zu versuchen und die legale Emigration regeln, denn Europa braucht Arbeitskräfte, aber wir brauchen das in legaler Form.
Iribarren ist klar, dass die spanische Politik und die der Europäer zur illegalen Einwanderung verführt, wobei er betont, dass das seine rein persönliche Meinung sei.
Die Repressionspolitik wird das Drama der illegalen Emigration niemals aufhalten. Aus dem einfachen Grund, dass die Mafia der Menschenschmuggler immer wieder Methoden finden werden, sich an neue Sicherheitsbestimmungen anzupassen. Als sie angefangen haben, im Norden Marokkos rund um Tarifa die Überwachungsmaßnahmen zu verstärken, haben sie eben eine Route über Kenitra genommen, in der Nähe von Rabat. Dort hat man in kurzer Zeit 35 Tote gefunden, die von dort aus starten wollten. Diese Überwachungspolitik hat nur zum Ergebnis, dass die Preise steigen und die Gewinne der Menschenhändlermafia auch und dass die Emigranten größere Risiken auf sich nehmen müssen.
Statt ständig weiter hochzurüsten, illegale Emigranten schlecht zu behandeln und zu versuchen, eine Mauer um Europa zu ziehen, muss Marokko weiter entwickelt werden. Das ist jedenfalls die Ansicht von Khalil Jemmah, der sich mit seiner Initiative um das Schicksal der Illegalen kümmert.
Man kann die illegale Emigration nicht an den Grenzen bekämpfen, sondern nur in den Herkunftsländern oder sogar den –städten. Man muss sich doch mal die wirkliche Ursachen der Emigration angucken. Ich emigriere doch, weil ich nichts zu tun habe und keine Alternative. Und ich weiß nicht, was mich in Europa erwartet. Soweit wir wissen, wollen 70 Prozent der Leute, die Europa besucht haben, dort nicht leben. Aber die, denen es verboten wird, wollen unbedingt dorthin und das wird eine Zwangsvorstellung. Daher muss man in die Städte gehen, die unter hohem Emigrationsdruck leiden, um dort Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschaft zu beleben, damit die Jungen in ihrer Heimat Gründe finden, zu bleiben und sich eine Existenz aufzubauen.
Statt Milliarden in Grenzwälle zu investieren, solle Spanien lieber in die Wirtschaft Marokkos Geld stecken – eine Forderung, die auf spanischer Seite großzügig ignoriert wird.
Hiberto Malainine ist Vorsitzender des marokkanischen Fischereiverbandes. Lobbyist für 446 Hochseefischtrawler genauso wie für die über 50.000 Fischer, die auf kleinen Booten die Küsten absuchen. So wie in Skhirat. In dem kleinen Badeort nahe der Hauptstadt Rabat, geadelt durch einen der zahlreichen Paläste des marokkanischen Königs, liegen 60 Boote am Strand. Es ist windig, es riecht nach Fisch und nach dem frühmorgendlichen Auslaufen werden jetzt am Mittag die Netze geflickt, die blauen Minikutter repariert und in kleinen improvisiert aussehenden Holzverschlägen der Fisch verkauft, nebenan serviert ein Straßenlokal frisch gegrillten Seewolf und Wittling. Viele Marokkaner glauben, dass hinter dem ganzen politischen Zwist mit dem Nachbarn Spanien die Frage der Fischerei steht. Lange Jahre hatten vor allem Spanier und Portugiesen die Meergründe vor der marokkanischen Küste leergefischt. Das Abkommen mit der Europäischen Union lief im Jahr 2000 aus, die EU wollte verlängern, aber nicht auf die Bedingungen der Marokkaner eingehen. Seitdem ist Funkstille. Die Funkstille nutzt vor allem den Kleinfischern. Ihnen gehen seitdem deutlich mehr Fische in die Netze, wie Jilali Benjil erfreut feststellt, der Chef der Fischergenossenschaft von Skhirat.
Hier hat sich viel verändert. Wir haben davon profitiert. Schauen Sie sich die Boote an und die Fische, die hier rumliegen, das ist nicht so wie früher.
Auch Hiberto Malainine, der Präsident des Gesamtverbandes, der in einer schicken Villa eines vornehmen Stadtteils von Rabat residiert, begrüßt das Auslaufen des Abkommens – aber aus ganz anderen Gründen. Denn Marokkos Fischwirtschaft befindet sich in der Krise – die Fischgründe haben eine Auszeit dringend nötig.
Solange es diesen Vertrag gab, hat unsere Fischerei sehr stark gelitten unter der Ausbeutung der Fischgründe durch die europäische und dabei besonders die spanische Flotte. Damals haben wir schon unsere Regierung bedrängt, befristete Fangverbote auszusprechen. Jetzt sehen wir das Ergebnis. Wenn wir früher 4 Monate auf den Fischfang verzichtet haben, haben wir jetzt 6 Monate Fangverbot.
Die Folgen für Marokkos Hochseeflotte sind nach seinen Angaben dramatisch, die Bestände erholen sich nach der Überfischung durch Spanier und Portugiesen nicht schnell genug. Über die Hälfte des gefangenen Fischs geht in den Export, viel davon nach Spanien, doch obwohl Marokkaner immer wieder argwöhnen, die Regierung in Madrid wolle wieder die ehemals fischreichen Gründe abernten, schüttelt Ramòn Iribarren in der spanischen Botschaft mit dem Kopf:
In Spanien ist das zur Zeit weder ein Thema, über das gesprochen wird, noch ein Punkt sozialer Spannungen, noch macht uns das wirtschaftlich Sorgen.
Denn: wegen der Überkapazitäten weltweit will die Europäische Union nicht mehr verhandeln, und die spanische Flotte bekam Umstellungshilfen – die befürchteten sozialen Spannungen, wenn auf einmal Tausende spanische Fischer vor dem Aus stehen. So, wie Marokkaner den Spaniern unterstellen, ihnen ginge es nur um die Fische im Atlantik, so glauben Spanier, die marokkanischen Zwistigkeiten mit dem iberischen Nachbarn hätten ihre Ursache letztendlich im Westsahara-Konflikt.
Spanien hat es nie verwunden, dass die Westsahara von Franco an Marokko zurück gegeben wurde.
Mohammed Rheda Taoujni ist Präsident einer Bürgerinitiative, die die Interessen der Westsahara vertreten will – und spricht aus, was viele denken. Ehemals spanische Kolonie, wurde das rohstoffreiche Gebiet 1975 von Marokko besetzt – und die marokkanische Regierung investiert Unsummen, um es gegen die Befreiungsbewegung Polisario zu verteidigen und den Lebensstandard der Bevölkerung dort zu sichern; das meiste wird importiert und subventioniert, nur damit die Westsahara einmal wird, was in Marokkos Zeitungen schon jetzt gebetsmühlenartig wiederholt wird: die Westsahara, integraler Bestandteil Marokkos. Marokko wähnt sich nach jahrelangem Zick-Zack-Spiel mit mittlerweile entnervten Vertretern der Vereinten Nationen kurz vor dem Ziel: die Polisiario und ihre knapp 140-tausend Anhänger vegetieren in Wüstencamps in Südalgerien vor sich hin, ein von den UN angestrebtes Referendum wird es wohl nie geben. Und jetzt tendieren die USA, Frankreich und auch die Vereinten Nationen zu einer Lösung, mit der Marokkos König gut leben könnte: begrenzte Autonomie. Einziges Problem: die Haltung der ehemaligen Kolonialmacht Spanien.
Spanien hält seinen Standpunkt aufrecht, den wir die ganze Zeit über nicht geändert haben: das heißt, es gilt die Beschlüsse der Vereinten Nationen einzuhalten und alle Lösungen anzuwenden, die die Beteiligten akzeptieren. Daher ist keine Lösung gut, die von einer Partei einer anderen aufgezwungen wird.
Dass die Polisario einer Autonomieregelung zustimmt, ist unwahrscheinlich, dass Marokko die ehemalige spanische Kolonie irgendwann in die Unabhängigkeit entlässt, ist ebenso unwahrscheinlich – und dass sich beide Kontrahenten einigen könnten gar erst recht. Denn neben der Unantastbarkeit des Königs und des Islams gibt es ein drittes Tabu in der marokkanischen Öffentlichkeit: die Westsahara.
Die Frage der Westsahara ist keine Frage, darüber kann nicht diskutiert werden, unmöglich.
Hinter vorgehaltener Hand munkeln spanische Quellen denn auch, dass es der marokkanischen Regierung im Streit um den Felsblock Leyla oder Perjil in Wirklichkeit gar nicht darum geht. Es geht ihnen auch nicht um die Enklaven Melilla oder Ceuta. In Wirklichkeit, so heißt es, wolle Marokko nur Druck auf Madrid ausüben, damit Spanien seinen Widerstand gegen eine Autonmieregelung in der Westsahara aufgibt.
Ben Younnech ist das Ende Afrikas. Wenn der Mittfünfziger El Amrani aus dem Fenster seines Arbeitszimmers schaut, guckt er auf Drahtzäune: unmittelbar vor der Schule ist die Grenze zu der spanischen Enklave Ceuta. Es gibt einen kleinen Übergang für Fußgänger, der Umgangston ist freundlich und wenn mal was passiert, halten Marokkaner auf der einen und Spanier auf der anderen Seite des Zaunes durchaus zusammen.
Es gab da gerade vor ein paar Stunden einen Obdachlosen, der Jugendliche mit einem Messer angegriffen hat. Und dann haben wir bei den spanischen Grenzpolizisten nach einem Krankenwagen für den verletzten Jugendlichen angefragt und sie haben ihn ins Krankenhaus in Ceuta gebracht.
Die Bewohner der umliegenden Dörfer und Städte haben ein Privileg, um das sie von vielen beneidet werden: sie dürfen ohne Visum nach Ceuta einreisen, ein Traum, der für die allermeisten unerfüllbar bleibt. Die so Privilegierten nutzen ihren Vorteil auf ihre Weise: Ben Younnech lebt vom Schmuggel, erzählt Omar. Der Student kommt aus der nahen Stadt Tetouan, auch er hat die Genehmigung für Ceuta.
Es gibt Leute hier aus der Gegend, die nach Ceuta fahren, nur, um für andere Waren zu kaufen. Sie schwimmen dann zurück, bringen den anderen die Sachen mit und bekommen dann ihr Geld. Wenn sie den Kram dabei verlieren, haben sie eben Pech.
Ein einigermaßen bizarres Bild: alle halbe Stunde schwimmt ein Jugendlicher mit nacktem Oberkörper gegen die Wellen an und um die Felsen der Bucht herum Richtung Strand. Er hat ein riesiges pralles Paket mit glänzender schwarzer Plastikfolie eingewickelt und zusammengeschnürt im Schlepp, gelangweilt auf dem Felsen wird er verfolgt von einem marokkanischen Zöllner auf der einen Seite des Zaunes und von einem spanischen auf der anderen.
Seit ein paar Wochen können die meisten Marokkaner etwas mit Ben Younnech anfangen. Wer nämlich die einzige Straße entlang fährt, an protzig-hässlichen Häusern vorbei, die angeblich nicht nur von Schmuggelprofiten gebaut worden sein sollen, gelangt auf eine Anhöhe. Hier ist der Eingang zu einem unterirdischen Gefängnis, in dem Franco-Gegner vegetierten, als die Spanier noch Kolonialmacht in Nordmarokko waren. Bis vor kurzem haben in diesen nicht einmal mannshohen Gängen illegale Emigranten aus Schwarzafrika darauf gewartet, die Meerenge von Gibraltar überqueren zu können.
Jetzt ist an ein Verstecken nicht mehr zu denken, denn wer über die Klippen schaut, sieht in wenigen Metern Entfernung einen Felsen: Leyla, spanisch Perejil. Der Felsbrocken des Anstoßes. Schuldirektor El Alami und ein entfernter Cousin zeigen auf die Insel.
Das ist jetzt eine Touristenattraktion für Marokkaner geworden. Sie kommen aus Casablanca, Laayoune, Rabat, von überall her. Ben Younnech ist jetzt in der ganzen Welt bekannt geworden – und in Marokko auch.
Sie kommen, sie schauen, und sie teilen alle El Alamis Ansicht – egal, ob Leyla, ob die Kleinstadt Ceuta oder die knapp 100 Kilometer weiter an der Mittelmeerküste gelegene Stadt Melilla:
Für mich ist das kein spanisches Gebiet. Ich betrachte das als marokkanisches Gebiet, von Spanien besetzt.
Es ist doch Europa, das auf Marokko Druck ausübt, dass wir diesen Zug der Emigranten aus Afrika, Marokko, Algerien, Tunesien aufhalten. Deshalb war Marokko doch verpflichtet, diese Station aufzubauen. Abgesehen davon, Leila ist eben marokkanisch.
Ceuta und Melilla und ein paar Felsbrocken im Mittelmeer – das ist es, was die marokkanische Volksseele regelmäßig zum Sieden bringt. Seit Jahrhunderten hält Spanien dieses Gebiet besetzt und dass Spaniens Regierung darüber noch nicht einmal mit sich reden lassen will, dass lastet schwer auf dem marokkanischen Gemüt. Jetzt müssen marokkanische Zeitungsleser auch noch zur Kenntnis nehmen, dass Spanien und England sich in der Gibraltar-Frage näherkommen – doch über seine Besitzungen in Nordafrika will die Regierung nicht mit sich reden lassen. Das erklärt in der Hauptstadt Rabat Ramòn Iribarren, Mitarbeiter der Botschaft, die seit der Krise um Leyla oder Perjil ohne Botschafter da steht.
Historisch betrachtet sind die Gebietet spanisch, in der spanischen Verfassung erwähnt, mit dem Status europäischer Städte und daher gibt es von unserer Seite darüber keine Diskussion, es gibt darüber keine internationale Resolution, daher sind das keine Kolonien, keine besetzten Gebiete oder sonst irgend etwas, sie haben einen eindeutigen Status, da Spanien ein europäisches Land ist mit Gebieten auf einem anderen Kontinent, aber zum Beispiel die Kanarischen Inseln sind absolut europäisch, aber dennoch auf einem anderen Längengrad. Dasselbe gilt für Ceuta und Melilla.
Als demütigend empfinden das viele Marokkaner, doch das Land kann kaum auf internationale Unterstützung hoffen: zu ungeschickt verkauft die marokkanische Regierung ihre Haltung. Und die europäischen Nachbarländer haben sowieso kein Interesse, über koloniale Überbleibsel zu reden: dann müsste nämlich Frankreich zum Beispiel über La Réunion oder Portugal über Madeira oder die Azoren nachdenken. Eine Ungerechtigkeit, finden viele Marokkaner. Mohamed Larbi Ben Othmane, Juraprofessor an der Universität Mohammed V. in Rabat.
Wir haben das Problem mit den Gebieten, die noch von Spanien besetzt sind. Spanien hat sein Problem mit seinem Gebiet, das noch von den Engländern besetzt ist, Gibraltar. Sie verstehen einfach nicht, dass das doch im Prinzip das gleiche ist: es ist das Ergebnis der Geschichte! Nehmen Sie unser Problem in der Westsahara: Wir haben da eine Separatistenbewegung. Sie haben dasselbe Problem im Baskenland. Hat jemals ein marokkanischer Politiker sich gegen die staatliche Einheit Spaniens ausgesprochen? Aznar aber hat das bei uns getan. Sehen Sie? Es ist Spanien, das ein Problem mit Marokko hat.
Viele Marokkaner glauben, ganz Spanien träumte noch immer von der Reconquista und der Wiederherstellung des iberischen Weltreiches – und fühlen sich prompt ihren europäischen Nachbarn gegenüber unterlegen – besonders seit in Madrid der Nationalist Aznar regiert, der in Marokko schon mal mit Diktator Franco verglichen wird.
Ich glaube, Spanier fühlen sich Marokkanern immer überlegen. Das merkt man am Verhalten von manchen Regierungen, nicht allen, aber wenn bestimmte Regierungen an die Macht kommen, gibt es immer Probleme.
Hier fühlt sich keiner überlegen: Fnideq, eine gesichtlose Kleinstadt vor den Toren Ceutas ist Marokkos größter Schmuggelmarkt, die ganze Stadt lebt vom Schwarzmarkt, gehandelt wird alles: Seife, Grills, Kühlschränke, Käse, Decken, Unterhosen. Schmuggel ist Volkssport, morgens kommen Busladungen voll mit Menschen aus Casablanca, Rabat oder sogar dem 1000 Kilometer entfernten Agadir angereist, decken sich hier mit Schmuggelgut ein, fahren mit dem nächsten Bus wieder zurück und verkaufen dann die Ware auf den Straßen ihrer Heimatstädte, deren Bürgersteige sich abends in Warenlager verwandeln. Ächzt eine Frau schon mal unter ihrer Last, helfen die spanischen Zöllner gern mal aus. Für 70 Euro schwimmen Jugendliche Kühlschränke an Land, ohne Türen, die sie wie Paddelboote benutzen. Dann werden sie wieder zusammengeschraubt und als neu verkauft.
Wir verkaufen alles, mit dem man handeln kann. Shampoo, Parfum, Seife, Kakao, Ariel, Waschmittel...alles, was aus Ceuta kommt.
Der blühende Schmuggel ist der marokkanischen Regierung ein Dorn im Auge, ihr entgehen jedes Jahr etliche Millionen Euro an Steuern. Andererseits leben –zigtausende Marokkaner davon, die sonst arbeitslos wären. Für die Schwarzmarkthändler in Fnideq ist dennoch klar, wer eigentlich den Vorteil vom massenhaften Schmuggel hat:
Die Spanier. Sie verkaufen alles an uns und verdienen sehr viel Geld damit.
Das geben unter der Hand sogar spanische Offizielle zu. Die beiden Enklaven leben vom Handel mit den Schmugglern. Der wirklich profitable Schmuggel aber findet außerhalb der Städte statt: Menschenschmuggel ist ein lukratives Geschäft und hat schon Drogenhändler zum Umstieg bewegt: weniger Investitionen, geringere Strafen. Und der Bedarf ist riesig: 80 Prozent aller jungen Marokkaner würden, wenn sie denn könnten, das Land verlassen – quer durch alle Gesellschaftsschichten träumen ganze Generationen von einem Leben in Wohlstand und Freiheit. Die sechs Gendarmen, die die marokkanische Regierung Anfang Juli auf die Insel Leyla/Perjil entsandt hatte, sollten die Meerenge überwachen, so hieß es offiziell in Rabat. Seit Monaten verschärft Marokko seine Kontrollen an der Nordküste. Die Emigration – das ist der Kern allen Unfriedens zwischen den beiden Nachbarn, glaubt zumindest der Diplomat Ramòn Iribarren.
Das ist das Hauptproblem: Das menschliche Drama, das sich jeden Tag abspielt, wenn die spanische Küstenwacht anonyme Leichen einsammelt, Menschen, die ihren Illusionen gefolgt sind und ihr Leben im Meer gelassen haben.
Die meisten Emigranten, die sich auf das Abenteuer der Meerüberquerung einlassen, kommen aus dem Landesinneren. Sie wissen nicht, wie gefährlich es ist, in einer der winzigen Nussschalen, Pateras genannt, zu versuchen, nach Spanien oder auf die kanarischen Inseln zu kommen – und viele bezahlen das mit ihrem Leben.
Hinter jedem Toten steht immer auch eine Familie, die leidet und die Freunde, die diesen Verlust verspüren. Und das findet alles im Verborgenen statt, niemand beschäftigt sich damit.
Khalil Jemmah ist Vorsitzender der Association Ami et Familles des Victimes de l’Emigration Clandestine, vor einem Jahr gegründet – und er findet, der europäische Nachbar übertreibt in Sachen Emigration.
Meiner Meinung nach versucht Spanien, das Problem hochzuspielen. Sicherlich, um mehr Subventionen von der EU zu bekommen. Und außerdem haben doch die Emigranten Andalusien mit aufgebaut. Jeder weiß doch, in welchem Zustand Andalusien vor der Einwanderungswelle war. Das war eine der trockensten und ödesten Gegenden Europas, heute ist das eine Agrar-Großmacht. Und es ist auch die billige Arbeitskraft der Emigranten, die dazu beigetragen hat.
Seine Initiative hat ihren Sitz in Khouribga, einer staubigen heißen Stadt, in der Phosphat abgebaut wird. Von hier wollen besonders viele weg nach Europa. In den Straßen liegt ein Western-Union-Büro neben dem nächsten. Junge Männer mit Handy und Taschen voller Geld tauschen schwarz und ohne große Umstände das Geld der Emigranten: ein Anruf aus Italien, Belgien, Spanien oder Frankreich, und dem Bruder, der Schwester oder sonst wem wird ausgezahlt, was der Verwandte in Europa erarbeitet hat. Nur so kann Marokko seinen Devisenhaushalt einigermaßen in Ordnung bringen.
Spaniens Regierung setzt auf Sicherheit, Polizei und Abschreckung. Selbst der spanische Diplomat Iribarren hat seine Zweifel, ob dieser rein sicherheitspolitische Ansatz der richtige ist.
Es ist ein Problem, das sich mit gutem Willen lösen ließe. Mit politischem Willen, mit Verträgen über Arbeitskräfte, die erlauben, dass niemand mehr Lust bekommt, es illegal zu versuchen und die legale Emigration regeln, denn Europa braucht Arbeitskräfte, aber wir brauchen das in legaler Form.
Iribarren ist klar, dass die spanische Politik und die der Europäer zur illegalen Einwanderung verführt, wobei er betont, dass das seine rein persönliche Meinung sei.
Die Repressionspolitik wird das Drama der illegalen Emigration niemals aufhalten. Aus dem einfachen Grund, dass die Mafia der Menschenschmuggler immer wieder Methoden finden werden, sich an neue Sicherheitsbestimmungen anzupassen. Als sie angefangen haben, im Norden Marokkos rund um Tarifa die Überwachungsmaßnahmen zu verstärken, haben sie eben eine Route über Kenitra genommen, in der Nähe von Rabat. Dort hat man in kurzer Zeit 35 Tote gefunden, die von dort aus starten wollten. Diese Überwachungspolitik hat nur zum Ergebnis, dass die Preise steigen und die Gewinne der Menschenhändlermafia auch und dass die Emigranten größere Risiken auf sich nehmen müssen.
Statt ständig weiter hochzurüsten, illegale Emigranten schlecht zu behandeln und zu versuchen, eine Mauer um Europa zu ziehen, muss Marokko weiter entwickelt werden. Das ist jedenfalls die Ansicht von Khalil Jemmah, der sich mit seiner Initiative um das Schicksal der Illegalen kümmert.
Man kann die illegale Emigration nicht an den Grenzen bekämpfen, sondern nur in den Herkunftsländern oder sogar den –städten. Man muss sich doch mal die wirkliche Ursachen der Emigration angucken. Ich emigriere doch, weil ich nichts zu tun habe und keine Alternative. Und ich weiß nicht, was mich in Europa erwartet. Soweit wir wissen, wollen 70 Prozent der Leute, die Europa besucht haben, dort nicht leben. Aber die, denen es verboten wird, wollen unbedingt dorthin und das wird eine Zwangsvorstellung. Daher muss man in die Städte gehen, die unter hohem Emigrationsdruck leiden, um dort Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschaft zu beleben, damit die Jungen in ihrer Heimat Gründe finden, zu bleiben und sich eine Existenz aufzubauen.
Statt Milliarden in Grenzwälle zu investieren, solle Spanien lieber in die Wirtschaft Marokkos Geld stecken – eine Forderung, die auf spanischer Seite großzügig ignoriert wird.
Hiberto Malainine ist Vorsitzender des marokkanischen Fischereiverbandes. Lobbyist für 446 Hochseefischtrawler genauso wie für die über 50.000 Fischer, die auf kleinen Booten die Küsten absuchen. So wie in Skhirat. In dem kleinen Badeort nahe der Hauptstadt Rabat, geadelt durch einen der zahlreichen Paläste des marokkanischen Königs, liegen 60 Boote am Strand. Es ist windig, es riecht nach Fisch und nach dem frühmorgendlichen Auslaufen werden jetzt am Mittag die Netze geflickt, die blauen Minikutter repariert und in kleinen improvisiert aussehenden Holzverschlägen der Fisch verkauft, nebenan serviert ein Straßenlokal frisch gegrillten Seewolf und Wittling. Viele Marokkaner glauben, dass hinter dem ganzen politischen Zwist mit dem Nachbarn Spanien die Frage der Fischerei steht. Lange Jahre hatten vor allem Spanier und Portugiesen die Meergründe vor der marokkanischen Küste leergefischt. Das Abkommen mit der Europäischen Union lief im Jahr 2000 aus, die EU wollte verlängern, aber nicht auf die Bedingungen der Marokkaner eingehen. Seitdem ist Funkstille. Die Funkstille nutzt vor allem den Kleinfischern. Ihnen gehen seitdem deutlich mehr Fische in die Netze, wie Jilali Benjil erfreut feststellt, der Chef der Fischergenossenschaft von Skhirat.
Hier hat sich viel verändert. Wir haben davon profitiert. Schauen Sie sich die Boote an und die Fische, die hier rumliegen, das ist nicht so wie früher.
Auch Hiberto Malainine, der Präsident des Gesamtverbandes, der in einer schicken Villa eines vornehmen Stadtteils von Rabat residiert, begrüßt das Auslaufen des Abkommens – aber aus ganz anderen Gründen. Denn Marokkos Fischwirtschaft befindet sich in der Krise – die Fischgründe haben eine Auszeit dringend nötig.
Solange es diesen Vertrag gab, hat unsere Fischerei sehr stark gelitten unter der Ausbeutung der Fischgründe durch die europäische und dabei besonders die spanische Flotte. Damals haben wir schon unsere Regierung bedrängt, befristete Fangverbote auszusprechen. Jetzt sehen wir das Ergebnis. Wenn wir früher 4 Monate auf den Fischfang verzichtet haben, haben wir jetzt 6 Monate Fangverbot.
Die Folgen für Marokkos Hochseeflotte sind nach seinen Angaben dramatisch, die Bestände erholen sich nach der Überfischung durch Spanier und Portugiesen nicht schnell genug. Über die Hälfte des gefangenen Fischs geht in den Export, viel davon nach Spanien, doch obwohl Marokkaner immer wieder argwöhnen, die Regierung in Madrid wolle wieder die ehemals fischreichen Gründe abernten, schüttelt Ramòn Iribarren in der spanischen Botschaft mit dem Kopf:
In Spanien ist das zur Zeit weder ein Thema, über das gesprochen wird, noch ein Punkt sozialer Spannungen, noch macht uns das wirtschaftlich Sorgen.
Denn: wegen der Überkapazitäten weltweit will die Europäische Union nicht mehr verhandeln, und die spanische Flotte bekam Umstellungshilfen – die befürchteten sozialen Spannungen, wenn auf einmal Tausende spanische Fischer vor dem Aus stehen. So, wie Marokkaner den Spaniern unterstellen, ihnen ginge es nur um die Fische im Atlantik, so glauben Spanier, die marokkanischen Zwistigkeiten mit dem iberischen Nachbarn hätten ihre Ursache letztendlich im Westsahara-Konflikt.
Spanien hat es nie verwunden, dass die Westsahara von Franco an Marokko zurück gegeben wurde.
Mohammed Rheda Taoujni ist Präsident einer Bürgerinitiative, die die Interessen der Westsahara vertreten will – und spricht aus, was viele denken. Ehemals spanische Kolonie, wurde das rohstoffreiche Gebiet 1975 von Marokko besetzt – und die marokkanische Regierung investiert Unsummen, um es gegen die Befreiungsbewegung Polisario zu verteidigen und den Lebensstandard der Bevölkerung dort zu sichern; das meiste wird importiert und subventioniert, nur damit die Westsahara einmal wird, was in Marokkos Zeitungen schon jetzt gebetsmühlenartig wiederholt wird: die Westsahara, integraler Bestandteil Marokkos. Marokko wähnt sich nach jahrelangem Zick-Zack-Spiel mit mittlerweile entnervten Vertretern der Vereinten Nationen kurz vor dem Ziel: die Polisiario und ihre knapp 140-tausend Anhänger vegetieren in Wüstencamps in Südalgerien vor sich hin, ein von den UN angestrebtes Referendum wird es wohl nie geben. Und jetzt tendieren die USA, Frankreich und auch die Vereinten Nationen zu einer Lösung, mit der Marokkos König gut leben könnte: begrenzte Autonomie. Einziges Problem: die Haltung der ehemaligen Kolonialmacht Spanien.
Spanien hält seinen Standpunkt aufrecht, den wir die ganze Zeit über nicht geändert haben: das heißt, es gilt die Beschlüsse der Vereinten Nationen einzuhalten und alle Lösungen anzuwenden, die die Beteiligten akzeptieren. Daher ist keine Lösung gut, die von einer Partei einer anderen aufgezwungen wird.
Dass die Polisario einer Autonomieregelung zustimmt, ist unwahrscheinlich, dass Marokko die ehemalige spanische Kolonie irgendwann in die Unabhängigkeit entlässt, ist ebenso unwahrscheinlich – und dass sich beide Kontrahenten einigen könnten gar erst recht. Denn neben der Unantastbarkeit des Königs und des Islams gibt es ein drittes Tabu in der marokkanischen Öffentlichkeit: die Westsahara.
Die Frage der Westsahara ist keine Frage, darüber kann nicht diskutiert werden, unmöglich.
Hinter vorgehaltener Hand munkeln spanische Quellen denn auch, dass es der marokkanischen Regierung im Streit um den Felsblock Leyla oder Perjil in Wirklichkeit gar nicht darum geht. Es geht ihnen auch nicht um die Enklaven Melilla oder Ceuta. In Wirklichkeit, so heißt es, wolle Marokko nur Druck auf Madrid ausüben, damit Spanien seinen Widerstand gegen eine Autonmieregelung in der Westsahara aufgibt.