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"Die Zahlung wäre dann zu einem späteren Zeitpunkt gekommen"

Martin Faust von der Frankfurter Hochschule für Finanzen und Management hat die Überweisung der KFW-Bank an die US-Bank Lehmann Brothers als groben Fehler bezeichnet. Der Vorstand hätte in diesem Fall ausstehende Zahlungen prüfen und sperren lassen müssen. Gleichzeitig betonte Faust, die KFW habe ein rechtsgültiges Geschäft mit Lehmann geschlossen, also wahrscheinlich zu einem späteren Zeitpunkt ihren Verbindlichkeiten nachkommen müssen.

Professor Martin Faust im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Heinemann: "Deutschlands dümmste Bank" titelt heute die "Bildzeitung" und bestätigt damit die Redensart, "wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen". 300 Millionen Euro sind salopp formuliert futsch, vorläufig oder dauerhaft. Diesen Betrag hatte die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KFW) der US-Bank Lehman Brothers überwiesen, bei der es längst nicht mehr um Wiederaufbau ging, sondern nur noch um Abwicklung. KFW-Verwaltungsratsmitglied Jürgen Koppelin befürchtet gar einen weit höheren Verlust für die staatliche Förderbank. Am Nachmittag tagt der Verwaltungsrat der KFW, dem zurzeit Bundeswirtschaftsminister Michael Glos vorsitzt.
    Am Telefon ist Martin Faust von der Frankfurt School of Finance & Management, Frankfurter Hochschule für Finanzen und Management. Guten Tag!

    Faust: Guten Tag!

    Heinemann: Herr Faust, Sie sind Professor für Bankbetriebslehre. Im Betrieb der KFW-Bank ließe sich offenbar noch das eine oder andere verbessern, denn mit einem Blick in die Zeitungen hätten die Bänker wissen können, dass sie Gefahr laufen, 300 Millionen Euro zum Fenster hinauszuschmeißen. Wie ist so etwas zu erklären?

    Faust: Es ist sicherlich nur sehr, sehr schwer zu erklären. Als Vorstand ist es sicherlich eine ganz wichtige Aufgabe, im Falle von Krisen wie jetzt bei Lehman Brothers sofort im Hause prüfen zu lassen, welche Verbindlichkeiten, welche Kredite zum Beispiel bestehen, und hier dann entsprechend auch Sperren vorzunehmen.

    Heinemann: Sperren vorzunehmen. Wie geht das praktisch, wenn es solche Sperren nicht gibt? Da füllt ein Sachbearbeiter eine Überweisung im PC aus, drückt auf Enter und weg ist das Geld?

    Faust: Ja, so muss man sich das leider vorstellen. Es ist so, dass ja täglich Tausende von Milliarden Euro bewegt werden im Rahmen des Zahlungsverkehrs, und die Banken haben hier im Wesentlichen automatische Systeme eingerichtet. Das heißt also, es werden zum Beispiel bestimmte Zahlungen mal vor Monaten eingegeben, die dann zu einem bestimmten Termin entsprechend ausgelöst werden. Das könnte hier zum Beispiel der Fall gewesen sein. Das heißt also, das System hat quasi automatisch gehandelt, ohne dass jemand, was in dem Fall hier eigentlich sinnvoll gewesen wäre, noch einmal eine Freigabe gegeben hätte.

    Heinemann: Das hätte doch bei einem so hohen Betrag von 300 Millionen Euro passieren müssen. Das sind ja keine Peanuts.

    Faust: 300 Millionen ist ein sehr, sehr hoher Betrag. Wenn man aber mal sieht, welche Geschäfte die Banken am Kapitalmarkt machen und auch untereinander, dann sind das durchaus übliche Beträge, so dass man hier auf Kontrollen verzichtet. Es bestand bisher ja auch zumindest bis vor einem Jahr keine Sorge, dass hier Gelder verloren gehen könnten.

    Heinemann: So wie die Lehman-Brüder in New York, fühlte sich in etwas bescheidenerem Rahmen einst unser Kollege Andreas Main, der jetzt im Studio ist. Herr Main, Sie haben etwas Wunderbares erlebt.

    Main: Es war wirklich ein wunderbarer Tag. Ich war seinerzeit 1990 Volontär der Katholischen Nachrichtenagentur, bekam im Monat ungefähr 1.800 Mark. Da waren plötzlich auf Meinem Kontoauszug 2.300 Mark, dachte ich, stellte dann nach mehreren Stunden fest, dass dahinter noch mehrere Nullen waren. Ich war also über Nacht zum doppelten Millionär geworden, 2,3 Millionen Mark. Das Geld kam von einer industriellen Familie, einer sehr prominenten industriellen Familie und eine Berliner Bank hat das offensichtlich falsch gebucht. Im Betreff stand "Notarander Konto". Es ging offensichtlich um einen Immobilienerwerb. Da war ich dann halt zwei Wochen lang doppelter Millionär.

    Heinemann: Das wären umgerechnet viele Semester Studiengebühren, 2,3 Millionen Mark. Wie wurden Sie Ihre Millionen wieder los?

    Main: Nachdem mich die Menschen am Schalter immer ganz merkwürdig angeschaut hatten, 2,3 Millionen Mark auf dem Girokonto. Ganz klasse! Aber keiner fragte mich, wie ich das anlegen wollte. Und dann wurde ich angeschrieben, dass es offensichtlich falsch überwiesen worden ist, und ich bekam dann keine Zinsen, sondern ich sollte noch Zinsen zahlen für die Rücküberweisung - ungefähr 500 Mark. Da war ich dann doch etwas verstört und bin zu der Bank gegangen, habe gesagt, das wäre jetzt wohl nicht ganz okay.

    Heinemann: Wie fühlt man sich als Millionär auf Zeit?

    Main: Ich ahnte, dass ich es eben nicht bleiben würde, und deswegen war das ein sehr melancholisches Gefühl.

    Heinemann: Das kann man sich vorstellen. Andreas Main von unserer Deutschlandfunk-Redaktion "Corso". - Herr Professor Faust, 2,3 Millionen für Herrn Main, 300 Millionen für die Gebrüder Lehman. Noch mal die Frage: wo bleibt die Aufsicht?

    Faust: Der Zahlungsverkehr läuft automatisch ab. Das heißt also, im Fall Ihres Kollegen war es sicherlich ein Zahlendreher, der dann passiert ist. In dem Augenblick wäre es auch zu teuer, das ganze permanent zu kontrollieren. Trotzdem sollten natürlich Sicherungsmechanismen eingeführt werden, dass tatsächlich diese Gelder auch nur dann überwiesen werden, wenn diese Geschäfte tatsächlich auch abgeschlossen werden. Hier ist ganz klar ein Fehler der KFW, dass sie hier keine Sperre vorgenommen hat. Das wäre sicherlich das erste, dass man durchschaut, wo sind Geschäfte, die man mit Lehman Brothers oder anderen Banken tätigt, die in der Krise stehen.

    Heinemann: Wie bewerten Sie die Aussicht für die KFW, ihr Geld zurück zu bekommen?

    Faust: Hinter diesen 300 Millionen steckt natürlich ein rechtsgültiges Geschäft. Das heißt insofern wäre die Wahrscheinlichkeit auch sehr hoch gewesen, dass im Falle der Insolvenz man dann hätte später diese 300 Millionen zahlen müssen. Ein ganz einfaches Beispiel: Nehmen wir an, Sie hätten jetzt einen Kredit bei einer Bank aufgenommen und diese Bank geht jetzt insolvent, was sehr unwahrscheinlich ist. In dem Augenblick können Sie ja nicht einfach die Rückzahlung Ihres Kredites verweigern. Das heißt also, die KFW hat ein rechtsgültiges Geschäft abgeschlossen. Das heißt, sie ist zur Zahlung verpflichtet. Insofern wäre die Zahlung sicherlich dann zu einem späteren Zeitpunkt gekommen. Es ist so, dass Lehman Brothers ja auch Vermögenswerte hat. Man kann also davon ausgehen, dass nicht sämtliches Geld verloren ist. Man wird einen Teil dann quasi im Rahmen der Insolvenzquote zurück bekommen.

    Heinemann: Wessen Geld hat die KFW nach New York überwiesen? Wer zahlt die Zeche?

    Faust: Es ist so, dass die KFW zunächst mal ja eine eigenständige Bank ist. Das heißt, die KFW hat das aus eigenen Mitteln gemacht. Die Folge wird sicherlich sein, dass der Gewinn der KFW geringer wird oder die Verluste, die ja für dieses Jahr erwartet werden, dann sogar entsprechend größer. Das heißt, die Zahlungen, die die KFW zum Beispiel an den Bund leistet, nämlich die Gewinnausschüttungen, werden wegfallen. Insofern fehlt im Staatshaushalt entsprechendes Geld und das kann dazu führen, wenn die Eigenkapitalbasis der KFW zu gering wird, dass dann auch der Staat frisches Geld zuschießen muss.

    Heinemann: Und der Staat, das sind wir.

    Faust: Das sind wir, die Steuerzahler. Insofern geht hier durchaus Geld der Bürger verloren.

    Heinemann: Herr Faust, unsere Gesellschaftsordnung und auch das Wirtschaftssystem beruht auf dem Grundsatz des Freiheitsvertrauens. Sehr vereinfacht ausgedrückt ist das die Annahme, dass die Menschen sich anständig verhalten, oder jedenfalls die Mehrheit der Menschen. Könnte die gegenwärtige Bankenkrise den Anfang vom Ende dieses Optimismus im Finanzsektor bilden?

    Faust: Wenn es um Geld geht, dann hört der Spaß bekanntlich ja eh auf. Das heißt, gerade bei Gelddingen ist es ein sehr vertrauensempfindliches Gut. Daher ist dieses Vertrauen jetzt natürlich durch die Finanzkrise ganz massiv geschädigt, das Vertrauen auch in die Banken, in die Sicherheit der Banken. Insofern wird das sicherlich dramatische Folgen aus meiner Sicht haben. Das heißt, man kann sich einfach nicht mehr darauf verlassen, dass im Umgang hier tatsächlich nur redlich vorgegangen wird.

    Heinemann: Welche Folgen?

    Faust: Welche Folgen? - Dass man in dem Augenblick nicht davon ausgehen kann, dass zum Beispiel die Banken einem immer nur Produkte empfehlen, die einem selber Nutzen bringen, sondern unter Umständen auch nur der Bank einen Nutzen bringen, dass hier einzelne Mitarbeiter versuchen, ihre Provisionen, ihre Bonifikationen entsprechend hochzuschrauben, auch zu Lasten der gesamten Bank beziehungsweise dann der Kunden.

    Heinemann: Martin Faust, Professor für Bankbetriebslehre an der Frankfurt School of Finance & Management. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Faust: Gerne!