Samstag, 20. April 2024

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Die Zeit am Handgelenk

"Die Zeit", hat mal ein Schlagersänger getextet, "die Zeit macht nur vor dem Teufel halt." Zeit bestimmt unser Leben, strukturiert unseren Tagesablauf und wird oft als Diktat empfunden: Entweder man hat sie oder man hat sie nicht. Und viele fühlen sich beim Blick auf die Uhr permanent unter Druck gesetzt - die Zeit läuft einem davon, heißt es. Im Schweizer Jura, in Le Locle, in Le Brassus, in Le Sentier oder in La-Chaux-de-Fonds spielt die Zeit eine ganz besondere Rolle: Dort wird sie quasi hergestellt. Denn dort, bis hinunter nach Genf, sitzen sie: Die Uhrmacher, die großen und kleinen Uhrenhersteller, die Tüftler und die Großkonzerne. Alles hat seine Zeit, alles hat einen Anfang, alles hat ein Ende. Der Anfang der Armbanduhr liegt in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Die Landwirte im Jura, die in den Wintermonaten zum langen Nichtstun gezwungen waren, bauten sich Uhren zusammen, in Feinarbeit. Inzwischen ist die Zeit am Handgelenk Prestigeobjekt und Kunstgegenstand, Statussymbol und Alltagsschmuck - und bisweilen sehr, sehr teuer. "Watch-Valley" nennt sich die Gegend inzwischen. Und in diesen Tälern dreht sich alles nur um eins: Um die Zeit. Und wie man sie an den Mann und an die Frau bringt. Zur Jahreswende oder wann sonst.

Eine Sendung von Knut Benzner | 27.12.2008
    Mehr als 28 Millionen Uhren bauen Schweizer Unternehmen im Jahresdurchschnitt. Bis heute blüht vor allem das Geschäft mit edlen Uhren, 93 Prozent aller Schweizer Uhren kommen aus den Kantonen Neuchatel, Waadt und Genf. Einige der etwa 100 dort ansässigen Firmen sind längst nicht mehr in Familienbesitz, sondern Teil großer Konzerne.

    Ein Schweizer Uhrenhändler aus Neuchatel über Uhrenkäufer, Kunden und Sammler:

    "Man hat spezielle Käufer- und Sammlergruppen:
    US-Amerikaner und Chinesen, denen an der Schweizer
    Qualität liegt. Männer aus der Schweiz kaufen gerne
    mechanische Uhren. Und es gibt immer mehr Frauen, die an den technischen Finessen interessiert sind."

    Und ein Uhrenkonstrukteur über Zeitmessung und Zeitempfinden:

    "Zeit spielt immer eine Rolle, ja. Entweder man hat sie, oder man hat sie nicht, wahrscheinlich, oder man fühlt sich so, als hätte man sie oder man hätte sie nicht."

    Alles hat seine Zeit. Alles hat einen Anfang und ein Ende. Das ist ein großes Thema der Kulturgeschichte, das jede Epoche auf die eine oder andere Weise beschäftigt und geprägt hat. Dass die Zeit endlich ist – das gehört zu den fundamentalen Erkenntnissen der Menschheit. Anders als in asiatischen Kulturen etwa ist das christliche Weltbild geprägt von diesem linearen Zeitverständnis zwischen Anfang und Ende, Alpha und Omega. Da liegt die Frage nach dem Umgang mit der Lebenszeit nahe, ob sie bisher nützlich und sinnvoll verbracht wurde und wie viel noch davon übrig bleibt. Das Bedürfnis, Zeit einzuteilen, zu ordnen und zu messen, hat eine lange Geschichte. 5500 Jahre Menschheitsentwicklung und Technikgeschichte liegen zwischen der Zeitmessung der Sonnenuhr und der ersten Armbanduhr.

    Sie wurde Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden. Durchgesetzt hat sie sich erst im Ersten Weltkrieg. Seither schlägt die Stunde gewissermaßen am Handgelenk, immer sichtbar und präsent. Immer mehr hat die Uhr hat den Rhythmus des täglichen Lebens verändert, revolutioniert, diktiert. Schlagworte wie Eile, Tempo, Stress und Zeitdruck sind Begriffe aus der Jetztzeit und haben ihren Ursprung in der Industriekultur. Sie sind eine Reaktion auf den anhaltenden Versuch, die Lebenszeit immer genauer einzuteilen, Tagesabläufe und Arbeitsprozesse aufeinander abzustimmen und effizienter zu gestalten.

    Und doch haben Uhren eine geradezu magnetische Wirkung, wegen ihrer Technik oder ihrer Ästhetik. Sie sind ein Stück Kunst im Alltag. Armbanduhren sind Prestigeobjekte und Statussymbole gleichermaßen, besonders wenn sie aus der Schweiz kommen. Die Suche nach Qualität, Perfektion und Zuverlässigkeit führt in die Uhrentäler des Schweizer Jura, ins "Watch Valley", wie es heute heißt: 200 Kilometer Uhrmacherkunst im Landschaftsbogen zwischen Delémont, Biel, La Chaux-de-Fonds bis hinunter nach Genf. Mittendrin: Neuchatel, Hauptstadt des gleichnamigen Kantons, mit Atomuhr, Observatorium und 32.000 Einwohnern. Jeder zweite Arbeitsplatz hängt später am Handgelenk. Besuch in einem Fachgeschäft.



    Schweizer Uhren - nicht nur eine Frage des Geldbeutels

    Nicht in irgendeinem Uhrengeschäft. Mahagony, matter Stahl, eine runde Glastheke mit samtenen Kissen, direktes und indirektes Licht, Vitrinen, Kunst aus der Zeit. Bei Michaud. Das erste Uhrengeschäft in Neuchatel, eines der Uhrengeschäfte überhaupt.

    Jean-Nicolas Michaud (31), sein Haus ist hier seit 1904, hier an dieser Stelle, am Place Pury in der Altstadt, er selbst ist seit Beginn 2004 im Geschäft, in vierter Generation.

    Eine Kundin kommt herein. Ob sie bereits eine Idee habe, fragt Michaud, nein, antwortet sie, die seien ja alle ziemlich schön, na, meint Monsieur Michaud, vielleicht nach der Farbe. Und natürlich seien alle Modelle aus der Schweiz, sagt Michaud.

    Er hat in Lausanne eine Hotelfachschule absolviert, dann eine Uhrenfachschule, und dann ins Geschäft seiner Eltern respektive Ur-ur-Großeltern.
    Seine Marken:

    "Rolex, et Corum."

    Jeder Händler hat mit der jeweiligen Herstellerfirma einen Vertrag - oder eben nicht. Nur die, die unter Vertrag sind, darf er verkaufen.

    "Die preisgünstigste Uhr, die ich habe und die etwas taugt, ist eine Damenuhr für 1200 Schweizer Franken."

    Billige Uhren hat er nicht, nur teure. Aber eine teuerste, meint Michaud, die gibt es nicht. Wenn Du eine Franck Muller mit einigen Diamanten an einen Chinesen verkaufst, na ja, was war der Preis?" Wir haben eine Franck-Muller-Tourbillon für 500 und etwas abgegeben." 500.000 und etwas natürlich. Eine halbe Million.

    Der Mann im Maßanzug und dunklen Teint beschäftigt drei Verkäuferinnen, eine Bürokraft und einen Uhrmacher. Der beugt sich über ein offenes Uhrwerk - am Uhrmachertisch von Michauds Großvaters

    Einen speziellen Uhrenkäufer oder Sammler, sagt Michaud, gibt es eigentlich nicht. Man hat spezielle Käufer- oder Sammler-Gruppen: US-Amerikaner und Chinesen, denen an Qualität liegt. Und Schweizer Männer, die Freude an mechanischen Uhren haben. Und immer mehr Frauen, die sich für technische Finessen interessieren. Die kaufen ihre Uhren dann in der Tat selbst.

    Manche kommen viele Male im Jahr, andere kaufen eine Uhr pro Jahr. Echte natürlich. Keine Kopien, keine Fälschungen, keine Plagiate

    "Ja, ja natürlich ist das ein Problem. Ein großes, für alle Hersteller. Ein böses Problem. Und gleichzeitig ein Zeichen des Erfolgs. Denn wenn sich Plagiate verkaufen, heißt das auch, dass die echten gut sind und das Image ebenso - da alle Erfindungen von unseren Marken kommen. Doch die schweizerische Vereinigung der Uhrenhersteller muss diesen Parallelmarkt bekämpfen. Und zwar langfristig."

    Die Masse der Qualitätsplagiate komme aus Asien, sagt Michaud. Und den Unterschied?

    "Nun, ob man den Unterschied feststellen kann, hängt natürlich von der Uhr ab. Es gibt hochpreisige Kopien, da können Sie den Unterschied nicht mehr feststellen. Das sind ganz außerordentliche Kopien. Kopien, deren Original-Teile teilweise aus der Schweiz kommen. Wie auch immer, vielleicht gestohlen. Das macht meine Arbeit schwierig."

    Eine echte Uhr für, sagen wir 10.000 Franken ist als Fälschung in Mailand für 25 zu haben. Oder anderswo für 10.000. Das, was sich generell verändert habe, sagt Michaud, sei das Bild, die Idee, das Sinnbild, die Metapher, die sich ein Hersteller gebe. Er habe 300, 350 Uhren in seinem Haus, im Moment. Das Haus, das exquisit eingerichtet ist, nebenbei. Uhren der erwähnten Marken. Echte, klar. Manchmal komme niemand am Tag, manchmal sei der Laden gerammelt voll, mehr als 50 gehen nicht hinein. Michauds Uhr?

    "Ich trage eine IWC, aus Schaffhausen. Eine Marke, die wir nicht führen. Aber ich mag ihr Design. Keine deutsche Uhr, aber vom Typ her eine Art deutscher Uhr. Aus sentimentalen Gründen."


    Es gibt ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis", schrieb der Schriftsteller Michael Ende. "Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken je darüber nach. Die meisten Leute nehmen es einfach so hin und wundern sich kein bisschen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit."

    Diesem Geheimnis hat Michael Ende sechs Jahre seiner Lebenszeit gewidmet – so lange brauchte er, um sein Buch "Momo" zu schreiben. Momo ist ein Waisenmädchen, das sich viel Zeit nimmt für seine Freunde. Damit macht sie sich zum Feind der Grauen Herren. Sie wollen die Welt erobern, indem sie die Menschen dazu nötigen, Zeit zu sparen. Die Zeitdiebe werden immer bedrohlicher für Meister Hora, den geheimnisvollen Menschenzeitverwalter. Er läst Momo in sein so genanntes Nirgendhaus voller Uhren kommen, um sie in das Geheimnis der Zeit einzuweihen.

    Meister Sekundus Minutius Hora, der Herr über die Zeit, wird sie erst anhalten müssen, um die Zeitdiebe zu besiegen. Ein Alptraum für die Uhrmacher im Schweizerischen Jura – arbeiten sie doch daran, dass ihre Uhren zuverlässig weiterlaufen. Das Handwerk hat dort seit Jahrhunderten Tradition. Die Historiker machen den asketischen Reformator Calvin dafür verantwortlich – auf der Flucht vor der katholischen Kirche in Frankreich ließ er sich 1541 in Genf nieder und predigte nicht nur Enthaltsamkeit, sondern machte Juwelieren und Goldschmieden am Ort das Leben schwer. Die gaben schließlich klein bei, ließen von ihrem glänzenden Gewerbe ab und stellten ihre handwerklichen Fähigkeiten in den Dienst der Uhrmacherkunst.

    Bis heute blüht dort das Geschäft mit edlen Uhren – 93 Prozent aller Schweizer Uhren kommen aus den Kantonen Neuchatel, Waadt und Genf. Einige der etwa 100 dort ansässigen Firmen sind längst nicht mehr in Familienbesitz, sondern Teil großer Konzerne. Die Swatch AG des Nikolaus Hajek zum Beispiel - Hersteller industrieller Massenware - besitzt inzwischen 10 Markenfirmen. Doch andere haben es geschafft, haben die Krise aus den 70er Jahren überlebt, als die Erfindung der Quartz-Uhr zum Massensterben auch schweizerischer Qualitätsmarken führte. Sie haben ihre Nischen gefunden, und haben Karriere gemacht.

    Die Firma Chopard etwa. Der Pforzheimer Unternehmer Karl-Friedrich Scheufele kaufte sie 1996 und machte sie zu einer von neun Uhrenmanufakturen, die ihre Werke noch selbst herstellen - Rädchen für Rädchen.



    Die Manufaktur Chopard und ihr Verständnis vom Lauf der Zeit

    "Ja, also ich heiße Sie herzlich in Fleurier willkommen, und hoffe, dass wir Ihnen ein paar interessante, ...""

    Karl-Friedrich Scheufele, 46, lebt seit seinem 17. Lebensjahr in der Schweiz. Inzwischen besitzt er die Schweizer Nationalität, der Vizepräsident der Firma.

    "Von Beruf bin eigentlich Goldschmied und habe später zur Uhrmacherei gefunden, sagen wir mal."

    Nach dem Internat in Genf die Goldschmiedelehre. Hier in Fleurier hat Chopard 70 Angestellte, weltweit als Familienfirma 1.100.

    "Ja, das ist eine Menge, aber wir produzieren auch die meisten Bestandteile unserer Uhren und Schmuckstücke selbst und beschäftigen 45 verschiedene Berufsgruppen in unserer Firma, also es geht von Uhrmacher bis zum Goldschmied über den Edelsteinfasser, Feinmechaniker und Graveur und so weiter und so fort."

    Und das ist eben das Besondere. Denn Chopard ist eine Manufaktur.

    ""Eine Manufaktur ist eine Firma, die die so genannten Rohteile eines Uhrwerkes von A bis Z herstellt, und konzipiert schon mal und dann auch fertigt, und das ist effektiv heute eine große Seltenheit."

    Scheufele, 1,70 Meter groß, glatt rasiert, die dunklen Haare seitlich nach hinten gekämmt. Breite Schultern hat er. Die brauchte er wahrscheinlich auch, bei soviel Wagemut.

    "Ich war damals schon überzeugt, dass es eigentlich nur auf diese Weise geht, sich eben von all den anderen hundert, hunderten Uhrenfirmen langfristig abzusetzen, und dass diese Tradition, die es früher mal gab, in der Schweiz, dass es gilt, diese Tradition aufrechtzuerhalten. Also in diesem Gebäude, wo wir heute sind, da wurden vor 100 Jahren auch schon so genannte Rohwerke hergestellt, und dann in den 70er Jahren, spätestens also um 1970, als die Quartzwerke aufkamen, da verschwanden dann die mechanischen Werkhersteller einer nach dem anderen, und es war also die so genannte Uhrenkrise in der Schweiz, und da hatte man schon geglaubt, also das mechanische Werk ist tot, es lebe das Quartzwerk. Und das hat sich inzwischen umgekehrt. Und heute ist also derjenige, der eigene Uhrwerke herstellt, wirklich im Kommen und wird von Kennern auch geschätzt, weil: Es interessiert heute mehr Leute zu wissen, was steckt in meiner Uhr und wer hat das Werk hergestellt? Und das hat früher eigentlich auch niemanden interessiert."

    Das eigene Movement, das eigene Uhrwerk, ist Sache des Prestiges.

    "Bei besonders hochwertigen Uhren, also zum Beispiel bei einem so genannten Turbillon-Werk..."

    Eine der kompliziertesten uhrmacherischen Herausforderungen: Eine Unruhe in einem Käfig, der sich, um die Erdanziehungskraft zu kompensieren, um sich selbst dreht. Und zwar einmal in der Minute.

    An einem Arbeitstisch sitzt eine Frau vor einem Mikroskop und poliert fingernagelklein eine Stahlbrücke, das Fundament eines Turbillon. An einer Brücke poliert sie sechs Stunden am Tag.

    "Bei besonders hochwertigen Uhren, also zum Beispiel bei einem so genannten Turbillon-Werk, da kann man auch schon zurückverfolgen, wer effektiv das Uhrwerk montiert hat und wer es eingestellt hat. Also das wird dann schon ganz romantisch."

    Chopard schmelzt das Gold selbst. Nach langer Lehrzeit allerdings, wie Scheufele erzählt.

    60.000 Uhren haben sie im letzten Jahr produziert. Die Hälfte dieser 60.000 mit einem mechanischen, und wiederum 3000 davon mit einem eigenen Werk.
    "Ja gut, wir bewegen uns in einem relativ hochwertigen Bereich, also deswegen ist es schwierig, zu vergleichen. Wenn einer 60.000 Golduhren verkauft, ist das nicht das gleiche wie 60.000 Stahluhren, aber wir nehmen heute schon einen, einen sehr guten Platz ein in der Schweizer Uhrenindustrie. Aber natürlich gibt es einige andere Firmen, die einige hunderttausend Uhren verkaufen."

    Jetzt kommt das Aber:

    "Aber nicht im gleichen Preisgefüge."

    Ab 6000, 7000 Schweizer Franken aufwärts.

    Einige Firmen produzieren nicht 100.000, sondern eine Million und mehr. Andere nur ein paar Dutzend mit einem einzigen Mitarbeiter. Jeder sucht sich seine Nische: Eine spezielle Linie, das Design, den Ausdruck. Eine Uhr ist klein - die Variationsmöglichkeiten umso größer.

    "Was kann man in 250 Jahren Uhrengeschichte, also neueren Uhrengeschichte noch alles erfinden? Also es gibt immer wieder was Neues."

    In seinem Haus zum Beispiel die erste Uhr mit vier Federhäusern, Gangreserve neuneinhalb Tage – länger als viele andere. Die Präzision einer Uhr liegt heute bei einem tausendstel Millimeter.

    "Eine Addition von Präzision ergibt Präzision. Es erscheint logisch, aber die Summe aller Teile muss auch präzise sein."


    Was ist Zeit? Darüber machen sich nicht nur Physiker Gedanken, die sie auf den kleinsten Wimpernschlag genau berechnet haben. Eine Sekunde, das sind 9.192.631.770 Schwingungen des Cäsium Atoms. Und schon längst wieder vorbei.

    Was ist Zeit? Darüber machen sich auch die Uhrmacher Gedanken, die auf der Suche nach immer neuen Komplikationen sind - das sind komplizierte Zusatzmechanismen und -funktionen wie Chronographen, Kalendarien oder Repetitionsschlagwerke.

    Was ist Zeit? Darüber machen sich auch Zeitforscher Gedanken, Sozialwissenschaftler, Psychologen, Philosophen, die das Zeitgefühl für viel interessanter halten als die Zeitmessung. Warum haben die einen nie Zeit, während die anderen davon im Überfluss zu haben scheinen? Warum müssen sich die einen viel mehr hetzen als die anderen? Warum passen Lebensrhythmen mitunter überhaupt nicht zusammen? Und warum sagt die innere Uhr manchmal etwas ganz anderes als die Uhrzeit?

    Michel Baeriswyl ist Sozialpsychologe und Kulturphilosoph. Er ist Zeitforscher in Zürich und Buchautor.



    Die Uhrzeit und die innere Uhr

    In Baeriswyls Wohnzimmer, auf einer Couch, vor der ein kleiner Glastisch steht, eingerahmt von zeitgeschichtlichen Büchern und umgeben von Schallplatten und CDs.

    "Also die schönste Definition, der ich bis jetzt begegnet bin, sagt eigentlich ´Zeit ist Veränderung`, oder Luhmann hat mal gesagt, ´die Tatsache, dass die Welt sich verändert, gebiert Zeit'."

    Baeriswyl (42) ist verheiratet, hat zwei Kinder und somit wenig Zeit. Aber da seine Frau ebenfalls berufstätig ist, wird die Zeit geteilt.

    "Zeit, das Wesen der Zeit ist Veränderung, und weil es eine Tatsache ist, dass sich die Welt laufend verändert, gibt es Zeit."

    Zeit sei universell, sagt er. Jeder Mensch auf der Welt habe, wie auch immer, eine Vorstellung von Zeit - und die wiederum könne, nach klimatischen Zonen zum Beispiel, kulturell interpretiert werden. Baeriswyl trägt eine randlose Brille und kurzes Haar - weil es lang nicht mehr wachse. Wann die Zeit anfing, gezählt zu werden, scheint datiert.

    "Also es gibt Anthropologen und Evolutionsbiologen, die sagen, dass eigentlich die Existenz des Menschen an und für sich, so wie wir ihn kennen, also dass das Menschsein an und für sich mit der Entdeckung der Zeit, der Zeitigkeit der Welt direkt zusammenhängt. Also vor allen natürlich auch, die Entdeckung, dass man stirbt, also eine Entdeckung, die vermutlich die Tiere nicht haben, wenn ich das von den Evolutionsbiologen recht verstanden habe, aber die Entdeckung, dass wir sterben, dass wir gezeitete Wesen sind, ist eigentlich so die Grunderfahrung des Menschen, und die gebiert natürlich dann für uns die Zeitlichkeit."

    Sein Verhältnis zur Zeit?

    "Also um mal den Satz ´Das Sein bestimmt das Bewusstsein` aufzugreifen, bestimmt natürlich mein Sein auch mein Zeitbewusstsein, das heißt, ich bin als Freiberufler nicht eingespannt in diesen strengen Arbeitstakt, ich habe doch relativ viel Freiheit, gut zu selektionieren, so dass ich das Gefühl habe, ich fülle meine Lebenszeit sehr gut."

    Mit der Uhrzeit hat sich die Gesellschaft verändert, die Menschen klagen, zuweilen ächzen sie unter dem Diktat der Zeit. Albert Einstein, technischer Experte dritter Klasse beim Berner Patentamt, hat später dann behauptet, Zeit sei das, was die Uhr anzeigt. Das sei, so Baeriswyl, ein merkwürdig statischer Zeitbegriff.

    Zeit ist seit der industriellen Revolution Norm, die Uhr das Kontrollinstrument der immer gleichen Abläufe, der Standardisierung und der Effizienz. Das nie anhaltende Fließband und der Effizienzgedanke sind verbunden mit der Stechuhr. Das Wort "Pünktlichkeit", war es vorher ein Begriff? Die Zeit, die ich verbrauche oder nicht sinnvoll nutze, wird messbar.

    "Also erst einmal die Frage, gibt es eine Zeit oder mehrere? Und wenn Sie jetzt sagen, physikalisch vorgegeben, biologisch vorgegeben, ich unterscheide zwischen Systemzeiten, in biologische Systemzeiten, physikalische Systemzeiten, soziale Systemzeiten, und man kann sagen, je weiter man Richtung sozial geht, je weiter man sich entfernt von biologischen oder physikalischen Zeiten, desto mehr Freiheitsgrade haben wir - aber wir haben nicht so viele Freiheitsgrade, uns dagegen zu widersetzen Wir sind nicht so frei, uns dagegen aufzulehnen, also wir können nicht die Nacht zum Tage machen, wir haben zwar die Freiheit, aber das nicht kostenlos."

    Baeriswyl bezieht das auf Arbeit - nicht auf Freizeit.
    Ist die Zeit im Watch Valley, im Schweizer Jura, in der französich-sprachigen Schweiz, dort, wo die Uhren herkommen, eine spezielle?

    "Also wenn ich in den Jura gehe und in Freiberge, dann stelle ich einfach fest: Es ist viel ruhiger, es ist abgelegen, es sind Täler irgendwo abseits der großen Verkehrsströme, ob es sonst eine andere Zeit gibt, habe ich keine Ahnung."

    Seine Großeltern väterlicherseits hatten die vielleicht. Die waren dort Uhrmacher. Baeriswyl sagt, er sei pünktlich.

    "Ich bin schon ein pünktlicher Mensch, und ich hasse es eigentlich sehr, wenn man mich warten lässt. Ich empfinde das als einen Übergriff über meine Zeit ... 321 Aber sonst, die Uhrzeit ist für mich absolut nicht wichtig."

    Und die Schweizer Uhr, die er trägt?

    "Das ist eine Swatch, einfach weil sie billig ist."


    Der Minutenwalzer von Frederic Chopin. Krystian Zimerman spielt ihn in 1 Minute und 49 Sekunden. Er folgt seinem inneren Rhythmus und nicht dem Schlag des Metronoms. Zeit ist relativ, sagte Albert Einstein: Wenn man mit einem netten Mädchen zwei Stunden zusammensitze, habe man das Gefühl, es seien zwei Minuten. Wenn man zwei Minuten auf einem heißen Ofen sitze, habe man das Gefühl, es seien zwei Stunden. Die Frage nach der Zeit: Momo findet die Antwort im Niemand-Haus von Meister Hora.

    Meister Hora ist Uhrenliebhaber. Er nimmt sie als Zeichen der Ruhe und der Regelmäßigkeit. Das war wohl auch für die Paysans Horlogers, die bäuerlichen Uhrmacher, in der Abgeschiedenheit des Schweizer Jura nicht anders. Jahrhundertelang entwarfen, konstruierten und bauten sie ihre Uhren und Teile mit einfachsten Mitteln und Werkzeugen, aber nur in den Wintermonaten, wenn es auf den Feldern nichts zu tun gab und die Tage kurz waren. Dann gossen und gravierten sie, schliffen und schraubten. Zeit für Präzisionsarbeit. Erfindungsgeist, Handwerkskunst, Tüftelei: Die Grenze zum Genie war bei denen, die sich mit Uhren beschäftigten, oft nicht weit. Galileo Galilei entdeckte die Eigenschaften des Pendels. Der Mathematiker Christian Huygens entwickelte die erste Pendeluhr. Abraham Louis Breguet erfand das Tourbillon, jenen kleinen, runden Metallkäfig, in dem die Unruh eingebaut ist und der die Wirkung der Schwerkraft reduziert.

    Und Professor Ludwig Oechslin hat den ewigen Kalender perfektioniert. Das von ihm entwickelte Kalendarium weiß, wie viele Tage ein Monat hat und wann Schaltjahr ist. Es ist nur aus Rädern aufgebaut und verzichtet gebrauchsfreundlich auf jegliche Hebel. Oechslin gilt als Leonardo da Vinci der modernen Uhrmacherkunst. Er lebt und arbeitet in La Chaux de Fonds. Er ist der Direktor des dortigen Internationalen Uhrenmuseums und Jahrgang 1952.



    Der Leonardo Da Vinci der zeitgenössischen Uhren

    "Eine kleine Rechnung darüber überlass ich dann den anderen."

    Das ist nicht sehr schwer, wenn er 52 geboren ist.

    Vorbei an Akten, Fachbüchern und Mitarbeitern in einen Konferenzraum im ersten Stockwerk des Museums. So sieht also ein Genie aus. Aus Luzern kommt er ursprünglich. Und sein eigentlicher Beruf?

    "Also mein Beruf, ich habe verschiedene Ausbildungen gemacht, also ich hab eine akademische Ausbildung, zunächst bin ich lizensierter Archäologe mit Griechisch und Alter Geschichte in den Nebenfächern, und ich habe dann nach dem Studium, habe ich noch eine Uhrmacherausbildung gemacht, die habe ich abgeschlossen mit dem äh, also mit der Meisterprüfung schlussendlich, nachdem ich Geselle war eine Zeit lang, und ich habe aber in dem akademischen Bereich weiter studiert und weiter geforscht und bin auch Privatdozent an der ETH."

    Oechslin fragte sich, wovon er leben solle – und absolvierte sicherheitshalber eine Uhrmacherlehre.

    "Und ich bin dann, dass ich immer gerne gebastelt habe und immer manuell gearbeitet habe gerne, dass es entweder Goldschmied oder Uhrmacherei sein könnte, aber in der Uhrmacherei habe ich dann auch einen Meister gefunden, der bereit war, mich nach einem Studium noch auszubilden."

    Lichtes Haar, keinen Drei-, sondern einen Zweitage- Bart - wahrscheinlich fehlt im die Zeit, sich zu rasieren - , Kneifer auf der Nase, Jeans, Ledersandalen, Baumwollhemd, Janker mit Stickereien, ein Medaillon um den Hals - in dem Medaillon verbirgt er eine Spieluhr -, große Ringe mit Carneolen am Mittel- und Zeigefinger der linken Hand.

    Und dann war Oechslin in erwähntem Nachbarort Le Locle bei Ulysse Nardin. Als Konstrukteur. Braucht man, als Konstrukteur, besondere Hände?

    "Nein, man braucht nicht besondere Hände, aber ich denke, wenn man das Metier liebt, dann wird man sich auf jeden so lange üben, auch mit zwei linken Händen, bis man zwei rechte hat."

    Er hat zum Beispiel die Trilogie entworfen.

    "Also die Trilogie von Ulysse Nardin, die habe ich entworfen, ja."

    Die Trilogie der Zeit: Die erste war die Astrolabium Galileo Galilei, eine mechanische Wiedergabe der Sternenzeit, der Bewegung der näheren Milchstraße. Dann die Planetarium Copernicus, die dasselbe für die Planeten leistet, und die dritte, die Tellurium Kepler.
    All das sind Armbanduhren. Professor Dr. Ludwig Oechslin, der es bis in die Literatur schaffte. Steffen Kopetzy nennt ihn in seinem Roman "Grand Tour oder die Nacht der Großen Complication" tatsächlich ein Genie. Oechslin hatte angefangen, ihn zu lesen, sagt er.

    "Aber ich bin dann nicht extrem weit gekommen."

    Was für eine Uhr trägt er?

    "Also ich trage hier eine Sonata von Ulysse Nardin, das ist auch eine Kreation von mir, das ist ein Wecker mit einer minutengenauen Anzeige, stunden-minuten- genauen Anzeige über zwei kleine Zifferblätter, wobei der Wecker selber auf 24 Stunden hin funktioniert, nicht ein 12-Stunden-Repetitionsmechanismus hat, sondern 24 Stunden. Auf dem einen kleinen Zifferblättchen ist die Anzeige dessen, wann ich geweckt werden will, also die Weckzeit, und auf der anderen Seite ist ein Timer, der mir sagt, wie lange es noch geht. Also ich hab auch zwei Möglichkeiten, hier einzustellen, erstens mal die Zeit, wann ein Ereignis geschehen soll, oder auf dem anderen Zifferblättchen, was 24 Stunden ist, wie lange es dauern soll, bis ein Ereignis eintritt, unberücksichtigt dessen, wann die Zeit präzise ist, plus ist an diesem Wecker ein Großdatum und insbesondere funktioniert auch die GMT-Anzeige, also das Verrücken des Stundenzeigers über Knöpfe auf beiden Seiten in Stundenstritten, die funktioniert direkt mit den Anzeigen und mit dem Wecker zusammen und ein kleines 24-Stunden-Zifferblättchen zeigt einfach immer an, wo die Hometime ist."

    Den schlichten Silberarmreif, den er trägt, hat er mal in Igomenitza gegen einen griechischen Teppich getauscht.

    "Und, eine Kappe, die ich heute noch trage."

    Um viertel vor Zwölf will er zu Hause sein. Dann geht ein prüfender Blick Professor Oechslins auf seine Uhr.

    "Zeit spielt immer eine Rolle, ja. Entweder man hat sie oder hat sie nicht, wahrscheinlich, oder man fühlt sich so, als hätte man sie oder hätte man sie nicht."


    Der Konstrukteur, Erfinder und Museumsdirektor Ludwig Oechslin über Uhren, Zeit und Zeitempfinden. Er nähert sich diesem unerschöpflichen Thema eher mit dem technischen Blick des Mechanikers. Michael Ende hingegen philosophisch-literarisch. Natürlich geht sein Märchenroman von den Zeit-Dieben gut aus. Natürlich wird Momo die Zeitdiebe besiegen und den Menschen die gestohlene Zeit zurückbringen, mit Meister Horas Hilfe. Zuvor weiht er sie aber in sein Geheimnis ein. Und so kommt Momo dahin, wo die Zeit herkommt. In eine runde Kuppel, unter der ein riesiges Pendel über schwarzes Wasser schwingt und am Ufer Stundenblumen zum Blühen bringt.

    Die Zeit ist nicht nur Herzenssache. Uhren sind ein Geschäft. Die Schweizer Uhrenindustrie und die verbliebenen Manufakturen setzen wieder auf Wachstum. Mehr als 28 Millionen Uhren bauen die Schweizer Unternehmen im Jahresdurchschnitt. Bereits mitgezählt die Quarzuhren aus dem Hause Swatch. Über drei Viertel der Produktion gehen ins Ausland. Der Wert: etwa acht Milliarden Euro.

    "Wohlstand ist, wenn man mehr Uhren hat als Zeit", sagt ein altes Schweizer Sprichwort. So gesehen müsste das Juragebirge die reichste Region der Schweiz sein und das Vallée de Joux das reichste Tal. Es wird auch das Tal der Tüftler genannt. Seit gut zwei Jahrhunderten geben hier die Väter ihr Wissen an ihre Kinder weiter. Die Uhrmacher aus dieser Gegend heißen Aubert, Audemar, Rochat oder Piguet. Und auch dort weiß man, dass eine Uhr nicht nur eine Frage der Ästhetik und Zeit nicht nur eine physikalische Größe ist. Die korrekte Uhrzeit ist vor allem eine Sache des Präzisionshandwerks. Bei Piguet gibt es einen so genannten Uhrenkommunikator. Er heißt Christoph Guhl.



    Eine Uhr in vier Monaten

    Ein Uhrenkommunikator ist jemand, der eine Uhr kommuniziert. Der zuständig ist für das Aussehen. Die Proportionen. Das Gesamtbild.

    "61 Höhe hat sie, also über die Achse zwölf Uhr, sechs Uhr. Und das Produkt ist aus Titan."

    Es ging gerade um die T3, die Terminator 3 für Arnold Schwarzenegger, die hat Audemar Piguet kreiert. Und weil sie aus Titan ist, ist die T3 so leicht. Wenn sie schwerer gewesen wäre, hätte Schwarzenegger den Arm womöglich nicht mehr hoch bekommen.

    "Ja er schon, aber die anderen Kunden nicht, die ja die gleiche Uhr tragen, wenn der kleine Japaner dann die Uhr angelegt hätte."

    Im Fall von Christophe Guhl bedeutet Uhrenkommunikator auch das Scharnier zwischen Management und Produktion. Guhl (43) ist seit 21 Jahren bei Audemar Piguet, seit 1995 in Le Brassus mit seinen 300 Einwohnern, und kommt eigentlich aus dem Raum Zürich. Er ist Uhrmacher und als Rabieur ein Spezialist. Nach vier Jahren Ausbildungszeit, der längsten in dem Bereich der Uhrmacherei, sollte er im Prinzip in der Lage sein, eine Uhr komplett herzustellen und sie restaurieren und zu reparieren, sagt er.

    In einem Raum, der ebenso in einem physikalisch-technischen Institut wie auch bei einem Automobilkonzern stehen könnte. Bei Audemar-Piguet ist dieser Raum allerdings klinisch rein.

    "Das sind so meistens runde Stangen, die sind aus Gold oder Platin oder Stahl, und dieses Material wird da eingeschoben, und kontrolliert auf der anderen Seite wird das Ganze von einer computergesteuerten Drehbank. Gehen wirr mal rüber."

    Hier geht es nicht um Uhren, sondern um Manschettenknöpfe. Audemar Piguet stellt auch Manschettenknöpfe her.

    Eine Acheveur, as ist jemand, der den Anker und das Ankerrad abstimmt, und somit die Hemmung. In einem anderen Raum ein Angleur, jemand, der die Kanten diverser Teile auf 45 Grad bricht. Ein Skeletteur befreit die Uhr, die Rohteile, von allem überflüssigen Metall. Ein Envoiteur schalt die Uhr ins Gehäuse ein, ein Régleur justiert, und ein Remonteur setzt zusammen. Von Hand. Zwar manchmal mit Hilfe zierlicher Maschinen und außergewöhnlicher Apparate – aber sonst, arbeitsteilig, alles von Hand.

    Ein Mitarbeiter setzt per winziger Druckscheibe noch winzigere Punkte auf einen Platinring. Christophe Guhl:

    "Und das geht runter bis zwei zehntel Durchmesser. Wenn Sie dann Goldwerke haben, die verarbeiten wir ja auch, wir machen 14 Karat oder 18 Karat Goldwerke, dann ist eine andere Welt, da muss man höllisch aufpassen, weil das so weich ist, dass wir es nicht deformieren."

    Eine Uhr von Audemar Piguet zeigt Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Zeitgleichung an - die Equassion:, wenn in La Chaux-de-Fonds etwa um 12.20 Uhr die Sonne im Zenit steht, in Le Brassus um 12.25 Uhr.

    "Eine ruhige, eine stille Arbeit, ja, aber wir brauchen eine ruhige Hand und Konzentration."

    Domonique Burnet. Er macht die großen Komplikationen - vier Zusatzfunktionen über das normale Werk hinaus: Den Chronographen, den Schleppzeigerchronographen, den ewigen Kalender mit Wochenanzeige, Tag, Datum, Monat und Jahresanzeige und Minutenrepetitionsfunktion.

    Domonique Burnet ist seit 12 Jahren bei Audemar Piguet. 53 ist er - weißer Nylonkittel, keine Brille. Nur das monokelhaftes Vergrößerungsglas, den Migros, die Monolupe, das dritte Auge, das trägt er. Mal auf diesem, mal auf jenem.

    Auch Burnet ist Uhrmacher und Rabieur. Natürlich, sagt er, ist es nach wie vor eine Ehre, in einem renommierten Haus zu arbeiten, in einem Haus, das Wert auf Qualität legt, an Uhrenkultur. Die Qualität ist hoch, ich muss nicht rumpfuschen, die Dimensionen sind nahezu perfekt, ich habe drei bis vier Monate Arbeitszeit an einem Stück, 648 Einzelteile, und sechs Monate, wenn es die Skelettversion ist.

    Vier Monate. Vier Monate an einem Stück. Und sechs Monate, wenn es die Skelettversion ist. Eine Uhr braucht Zeit, und so wird jede Uhr zu einem kleinen Lebenswerk. Zu Zeit und, wenn es nicht so kitschig klänge, zu einem Teil von Burnet selbst.

    Die vorgegebenen Pausen während der Arbeitszeit werden strengstens befolgt. Die vorgegebenen Pausen? Mindestens eine Dreiviertelstunde, um bei Konzentration zu bleiben, um sich erholen zu können, um die Nerven bei dieser Arbeit nicht zu verlieren.

    Und dann ist da Staubfreiheitsstandard. Selbst wenn Burnet eine kurze Pause macht, wird die Uhr, die auf einem Porzellanring liegt, sofort mit einem Glasdeckel, der Käseglocke, abgedeckt. Wenn er seinen Werktisch verlässt, muss er in einer Schleuse den Kittel ausziehen, andere Schuhe trägt er dann sowieso, und während des Hineinkommens geht er automatisch über einen mit Folie beklebten Teppich, an dem das kleinste Staubkorn kleben bleibt. Staub ist der Feind der Zeit.

    "Wieviele Uhren ich mit diesen Komplikationen in meinem Leben zusammengesetzt habe? Ich weiß nicht genau. Hier bei Audemar Piguet?, 50 Uhren in den zwölf Jahren."

    Von einigen Uhren weiß Burnet tatsächlich, wer sie trägt.

    "Diese Uhr geht bis ins Jahr 2100 immer richtig, wenn sie immer läuft selbstverständlich, wenn der Kunde sie also immer aufrechterhält und pflegt, dass ist auch immer so ein Thema bei den Uhren, solche wertigen Uhren wie hier, wo Sie schnell in den 50-tausender Bereich kommen, müssen natürlich auch gepflegt werden, ich sag oft, das ist bei Uhren wie mit einer Beziehung zu einer Frau, die müssen wir auch pflegen."

    Eine Frau kann laufen gehen - eine Uhr nicht. Aber eine Uhr geht natürlich gewissermaßen auch - innerhalb von drei bis vier Jahren einmal um die Welt.