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"Die Zeit der Besessenen"

Mit der richtrungsweisenden "Dämonen"-Inszenierung von Frank Castorf kann sich Kornél Mundruczó nicht messen. Seine Inszenierung bleibt als Ganzes kaum zu fassen. Da helfen auch gelegentliche Ausbrüche von Spielwut nicht weiter.

Von Michael Laages | 21.03.2011
    Natürlich hinkt jeder Vergleich; und fair ist das auch nicht – trotzdem muss jede neuerliche Auseinandersetzung mit diesem gewaltigen (und gewalttätigen) Roman sich der Erinnerung an die richtungweisende Inszenierung stellen, die Frank Castorf Ende der 90er-Jahre an der Berliner Volksbühne erarbeitete.

    Der Regisseur war auf einem der Gipfel innovativer Fantasie angelangt, und die Geschichte von Dostojewskis 'Dämonen', angesiedelt in einer lauschigen Villa im Wald, mit allerhand Überwachungskameras drinnen und Pool vor der Tür, zeigte gerade durch diese forciert-pointierte Gemütlichkeit die Schlangengruben der Bürgerlichkeit, in denen schlimmstenfalls Terror nistet, beseelt und besessen von Beschwörungen der Erlösung für gequälte und sich und einander quälende Kreaturen. Dostojewskis Schmerzensmenschenpersonal war plötzlich mitten in Berlin zu Hause, oder auf der Datsche an der Ostsee.

    Auch Kornél Mundruczó hat sich vom Bühnenbilder Marton Agh einen geschlossenen Raum bauen für "Die Zeit der Besessenen": eine Art verrotteten Kontrollraum irgendwo in weißer Wüste, von dem aus womöglich mal Flugbewegungen koordiniert worden sein mögen; jetzt bröckelt am Tower der Putz, und drinnen wohnt (offenkundig nur gelegentlich) der Sonderling Stawrogin. Ihn suchen gerade zwei Männer, die (wie es scheint) einen nie näher beschriebenen Terror- und/oder Attentatsplan verfolgen, für dessen Verwirklichung sie letzten Schliff bekommen sollen in der Kunst, ein Flugzeug zu steuern – dies sind dann aber auch schon die einzigen Hinweise auf konkretes Geschehen; sie erinnern an Mohammed Atta und die um ihn versammelten Gotteskrieger, die ja im Zielland Amerika noch eine Weile Flugstunden nahmen kurz vor 9/11 anno 2001.

    Ob allerdings dies hier nun wirklich texanische Wüste sein soll? Eigentlich sieht alles eher russisch aus, und klingt auch so – mit Pelzmützen, Wladimir Wissotskys Gesängen und dem Ikonenbild vor der Bediensteten-Hütte gleich nebenan; Mundruczó montiert zielstrebig einen Unort zwischen den einst so verfeindeten Welten. Und die vermeintlichen Russen in Amerika haben auch eher kauzige Probleme ...

    Auch jenseits der Schwierigkeiten in der Cocktailbar sind die Herren Werchowenski und Schatow eher mit privaten Sticheleien beschäftigt als mit Terror Weltrevolution, mit der schmucken Fluglehrerin etwa und deren etwas weniger aufregender, dafür aber herzensguter Schwester. Eher fahrig als konzentriert driftet das Thalia-Ensemble durch die Hamburger Fassung des großen Romans – dass da womöglich große, die Welt erschütternde Theorien über den Zwang der Welt zum Bösen und zum Untergang gewälzt würden, ist nicht ernstlich auszumachen. Der Schrecken kommt eher von außen – vom betenden Hausverwalter Fedjka und seiner schreienden Tochter.

    An diesem Kind sollen sich auch noch die Folgen einer atomaren Katastrophe zeigen – da der ungarische Regisseur Andrzej Tarkowski "Stalker"-Fabel unter Dostojewskis 'Dämonen'. Ob's wirklich nützt, muss offen bleiben.

    Und was immer Mundruczó da auch zusammen mixt – als Ganzes bleibt es schwer, ach was: eigentlich gar nicht zu fassen. Und weil kaum auszumachen, wo sich die Fabel, die erzählte Geschichte, gerade befindet, macht sich zunehmend Langeweile breit; da helfen auch gelegentliche Ausbrüche von Spielwut nicht weiter. Wie in Eis gefroren sieht die Szene aus, mit ganz viel Weiß um den verrottenden Kontrollbunker herum. Wie in den Kühlschrank gestellt und dann dort vergessen sieht schließlich der ganze Abend aus. Kann sein, dass mit dem an sich ziemlich starken Ensemble ein Film möglich wäre, eine Art "Making of Dämonen" – ein aufregender Theater-Abend ist das nie und nimmer.