Archiv


Die Zeit drängt

Umweltschützer jubelten, als vor wenigen Wochen Nicholas Stern, einst Chefökonom der Weltbank, seinen Report zu den drastischen ökologischen und ökonomischen Folgen einer ungebremsten Erderwärmung der Öffentlichkeit präsentierte. Etliche Aspekte seiner Forderungen enthält auch die Studie eines deutschen Autorenteams, die Britta Fecke gelesen hat.

Von Britta Fecke |
    Nun ist die Weltklimakonferenz in Nairobi vorbei. Die Vertragsstaaten knusperten lustlos am Kyoto-Protokoll und vertagten sich ergebnislos aufs nächste Jahr. Nur zur Erinnerung: das Kyoto-Protokoll läuft im Jahr 2012 aus. Ein Folge-Abkommen gibt es noch nicht. Und jetzt? Jetzt kommt Kyoto Plus! Ein Report von Lutz Wicke, Peter Spiegel und Inga Wicke-Thüs. Das Autorenteam findet zu recht, dass die Zeit drängt, wenn von den Gletschern noch etwas mehr als Spuckeflecken bleiben sollen:
    "Deshalb muss eine Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls so konzipiert werden, dass das Klimaziel mit geringst möglichen Kosten und ohne wesentliche wirtschaftliche Erschütterung erreicht werden kann. Dazu sind im Prinzip die bereits im Kyoto-Protokoll enthaltenen flexiblen Mechanismen mit Emissionsrechten und Emissionshandel am besten geeignet."

    Die Betonung liegt hier auf "im Prinzip", denn zwischen den 235 Zeilen lässt sich deutlich lesen, dass sie von der bisherigen Umsetzung des Klimaprotokolls keine Wirkung erwarten. Hermann Ott, Klimaexperte beim Wuppertal Institut:

    "Lutz Wicke hat sein Buch Kyoto Plus genannt aufgrund seiner Kritik - für die er aber hart kritisiert wurde - an früheren Entwürfen, die immer eine Gegenposition zu Kyoto waren. Nach dem Motto lass uns Kyoto mal vergessen und was neues machen. Und das ist gefährlich, denn es ist nicht mal gesichert, dass das besser ist. "

    Gesichert sind aber die Zahlen der Internationalen Energieagentur, die belegen, dass trotz des Kyoto-Protokolls die Kohlendioxidemissionen im Jahresdurchschnitt um 500 Millionen Tonnen steigen. In den letzten beiden Jahren sogar um eine Milliarde Tonnen! Die völkerrechtlich so bedeutsame Vereinbarung von Kyoto ist in der Wirkung also vernachlässigbar. Vor allem weil die größten Klimasünder - die USA und in ihrem Fahrwasser Australien das Abkommen nicht ratifiziert haben. Das liefert den Schwellenländern, deren CO2-Emmissionen rasant ansteigen - ein unschlagbares Argument:
    "Wieso sollen die Entwicklungsländer ihren Treibhausgasausstoß und damit ihre wirtschaftliche Entwicklung einschränken, wenn die Industrieländer ihren CO2-Ausstoß nicht mal konstant halten?"

    Eine berechtigte Frage auf die der Autorenkreis prompt eine Lösung weiß, denn schließlich heißt es im Titel: Kyoto Plus - So gelingt die Klimawende:

    "Das Einräumen gleicher oder ähnlich großer Rechte pro Kopf am Treibhausgasausstoß in die Atmosphäre würde bedeuten, dass Klimaemissionsrechte von Entwicklung- und Schwellenländern verkaufbares Eigentum sind. Erstmalig erhielten die Entwicklungsländer eine gerechte Prämie dafür, dass sie zur Minderung des Klimawandels beitragen."

    Allerdings tragen die Entwicklungsländer nicht zur "Minderung des Klimawandels" bei, sondern sie erhöhen den Ausstoß von Klimagasen nicht, was ein großer Unterschied ist - doch sprachliche Differenzierung ist der Autoren Anliegen nicht; was zählt ist der Gedanke und der lautet: Jedem Menschen steht, egal ob im Tschad oder in Tennessee, das gleiche Recht auf die unverkäufliche Atmosphäre zu oder anders gesagt: Der Himmel ist für alle da. Und wenn wir ihn schon mit Emissionen verdunkeln, dann gilt: Gleiches Recht für alle! Wicke, Spiegel und Wicke-Thüs haben das mal schnell durchgerechnet und kamen auf ein Verschmutzungsrecht von rund fünf Tonnen CO2 pro Jahr und Mensch. In den Entwicklungsländern gibt es zwar viele Menschen aber noch (!) relativ wenig Kohlekraftwerke, so dass sie ihre Emissionsrechte verkaufen können. Geschätzter Wert 25 Milliarden US-Dollar im Jahr. Hermann Ott, Klimaexperte beim Wuppertal Institut:

    " "Wicke hat insofern recht, als das er sagt: ohne Gerechtigkeit ist das Klimaproblem nicht lösbar. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis, die viele Diplomaten aus der westlichen Welt nicht so realisiert haben wie es notwendig ist."

    Weltweite Gerechtigkeit klingt gut, aber so wenig...

    "Ja das ist vielleicht die Hauptkritik, die man an dem Buch von Wicke haben kann, dass er sehr wenig auf die reale Umsetzung schaut."

    Denn die Geschichte der Klimadebatte macht keine Hoffnung, konnten sich doch nicht mal wohlhabende Industrienationen im Angesicht von Sturmfluten und Ernteschäden darauf einigen, ihre Emissionen wirklich zu drosseln.

    "Das globale Klimazertifikatsystem führt zu höheren Preisen der fossilen CO2 emissionsbelasteten Brenn- und Rohstoffe weltweit."

    Das kommt bestimmt riesig an und all die kurzfristigen, wirtschaftlichen Interessen, die geostrategischen Gründe, die einen wirksamen Klimaschutz bisher verhinderten, werden durch die Aussicht auf höhere Preise für ÖL/Gas und Kohle bestimmt zerstreut! Kyoto Plus beschreibt in den ersten Kapiteln des Buches auf naturwissenschaftlicher Basis warum wir schwungvoll in die Klimakatastrophe rasen, sofern nicht der Ausstoß von Kohlendioxid, Methan und CO2 drastisch reduziert wird. Aber noch geht es den führenden Industrienationen doch viel zu gut! Noch haben wir doch die Mittel die Deiche höher zu ziehen, den Ernteausfall zu begleichen und Kunstschnee auf das Geröllfeld zu kippen. Hermann Ott vom Wuppertal Institut:

    "Ja man könnte Herr Wicke raten das Buch in 20 Jahren noch mal auf den Markt zu bringen. Aber es ist dann auch nicht klar, ob sein Weg dann beschritten wird."

    Tatsache ist: Kyoto 1 zeigt bisher keine Wirkung die Fortschreibung des Protokolls - also Kyoto 2 - ist noch nicht einmal gesichert und jeder neue Ansatz kann die notwendige Debatte nur bereichern. Ethisch ist die Idee des Autorenteams unschlagbar und praktisch ist sie auch - zumindest im Buch. Da kann der Lesende auf die ersten 227 Seiten verzichten, denn unter der Rubrik: Zehn gute Argumente für die internationale Durchsetzbarkeit von Kyoto Plus, steht alles noch mal in kurz was in lang doch Mühe macht.

    Das war Britta Fecke über Lutz Wicke, Peter Spiegel, Inga Wicke-Thüs: Kyoto Plus. So gelingt die Klimawende. Verlag C.H.Beck München 2006, 252 S. 19,90 Euro.