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Die Zeit im Blick

Deutsche schauen immer auf die Uhr, Lateinamerikaner kommen nie pünktlich, Chinesen sind die Ruhe selbst und Spanier lieben ihre Siesta - den unterschiedlichen Umgang mit Zeit haben Studierende vom Institut für rurale Entwicklung der Uni Göttingen erforscht. Für ihre Arbeit bekommen sie sogar einen Preis: den Studienpreis der Körberstiftung. Die Stiftung prämiert morgen in Berlin 50 von mehr als 300 eingereichten Beiträgen zum Thema ''Tempo! - die beschleunigte Welt''.

25.06.2003
    Wir haben hier nicht soviel Zeit, weil wir müssen Deutsch lernen und dann eine Prüfung machen.

    Ich habe eher zuwenig Zeit und bin total gestresst. Ich habe vor, meine Regelstudienzeit einzuhalten und gehe gewissenhaft an die Sache ran.

    Ich finde, die Leute haben hier wenig Zeit: ist schon alles geplant: jeder hat Stress.

    Ich mache zuviel und dann fehlt mir Zeit!

    Ich genieße meine Zeit, weil ich vorher gearbeitet habe und jetzt kann ich meine Zeit selber einteilen. Das ist der größte Luxus, es ist nicht so: ich gehe morgens aus dem Haus, komme abends zurück und der Tag ist weg.

    Ich habe weniger Zeit hier, immer wieder Termine einhalten, das macht Druck.

    Am Institut für rurale Entwicklung an der Uni Göttingen studieren Menschen aus mehreren Kontinenten. Daher die Idee, zu erforschen, wie Studenten aus verschiedenen Kulturen mit Zeit umgehen und dabei eigene Vorurteile zu überprüfen, erklärt Julia Johannsen das Ziel ihrer Arbeitsgruppe.

    Die Vorstellung, dass Spanier Siesta machen, dass nur in Nordeuropa der Zug pünktlich kommt, dass Chinesen relaxter sind, Latinos tanzen gerne, haben immer Spaß und gehen lascher mit der Zeit um.

    Die Vorstellung, dass das olympische Motto ''höher schneller weiter'' bei uns überall eingeflossen ist, ließ uns nachgucken: wer benutzt eigentlich Terminkalender. Und da kam schon bei der ersten Gesprächsrunde bei raus: die Latinos hatten nur ein vorgedrucktes Blatt, wo man nichts schreiben kann, nur ablesen welches Datum ist. Während die Deutschen gleich ihr dickes Buch rausholten und jeder Tag durchgeplant war.

    Die Studierenden zogen los und befragten Kommilitonen aus anderen Ländern. Diese qualitative Umfrage ist nicht repräsentativ, gibt jedoch Einblicke in unterschiedliche Zeitwelten.

    Das war bei unseren Latino-Interviews sehr spannend zu sehen, da hatten wir eben den Studenten, der sagte: ich mache alles spontan und flexibel bei der Zeitgestaltung und versuche, nicht immer etwas zu Ende zu führen, wenn die Lebensqualität auf der Strecke bleibt. Während er meinte, die Deutschen leben nach einem Zack-zack-Prinzip. Zack-zack - schaffen, was noch zu schaffen ist, in der Arbeit effektiv sein und dann Freizeit haben.

    Erst die Arbeit, dann das Vergnügen - Für Deutsche und Nordeuropäer ist es typisch, Arbeit und Freizeit strickt zu trennen, so ein erstes Ergebnis. Latinos und Afrikaner dagegen lassen sich bei der Arbeit mehr Zeit, sie verbinden Arbeit und Spaß - auch wenn sich dabei der Bürotag auf 12 Stunden ausdehnt.

    Latinos und Afrikaner sind schon bei der Arbeit entspannter: sie leben mehr bei der Arbeit und wir arbeiten fürs Leben. Die Latinos haben erzählt: wir sitzen viel länger im Büro, das heißt aber nicht, dass wir auch effizienter arbeiten, wir trinken Kaffee, unterhalten uns es wird getanzt, das gehört mit zur Arbeitszeit, während die Deutschen die gleiche Arbeit in 2 Drittel der Zeit schaffen, aber eben zack-zack.

    Allerdings haben sich viele ausländische Studierende der deutschen Zeitdisziplin angepasst: sie trinken viel Kaffee, um bis spät in die Nacht zu pauken, und sie haben einen dicken Terminkalender, um pünktlich bei der Arbeit sein, so wie Jean Bosco M' Bom aus Kamerun.

    Die Deutschen sind präziser, das heißt dass man versucht, Zeit besser zu organisieren, ich denke man sollte das lernen.

    Darin waren sich ausländische Studierende einig: Deutsche Pünktlichkeit und Strebsamkeit sind vorbildlich - allerdings nur bei der Arbeit - nicht im Privatleben. Da stört der Termindruck enorm, sagt José aus Peru.

    Es gibt keine freie Zeit für Freunde: wenn jemand unangemeldet kommt, ist es schwierig. In Peru haben die Menschen immer Zeit für Freunde.

    Doch nicht allein die Kultur prägt das Zeitempfinden. Wer aus einer armen Familie kommt und sein Studium mit Jobben finanzieren muss, der hat mehr Stress und weniger Zeit. Auch das Geschlecht spielt eine Rolle bei der Zeitgestaltung. Die Studierenden haben nämlich in der Mensa beobachtet, dass sich Frauen mehr Zeit zum Essen nehmen als Männer.

    Dass Männer durchschnittlich 13 Minuten brauchen, Frauen dagegen 18 Minuten. Frauen essen langsamer als Männer und Gruppen essen langsamer als Einzelpersonen: Frauengruppen 29 Minuten, damit fünf Minuten länger als Männergruppen. Es war einfach zu beobachten, dass Frauen länger zusammen sitzen, schnattern und einen Kaffee trinken.

    Eine mögliche Erklärung: wer schnell und effizient arbeitet, sucht um so intensiver nach Zeitoasen der Ruhe und Entspannung - und beides finden Frauen beim Essen.

    Fazit der Göttinger Studie zum Thema ''Tempo! - die beschleunigte Welt'': Wäre die Welt ein Hochgeschwindigkeitszug, dann sind die Deutschen eine Lokomotive.

    Doch die Deutschen könnten einiges dazu lernen, was Gelassenheit und Lebensfreude angeht, sagt Jean aus Kamerun.

    Ich meine, man sollte beide mischen von Deutschland und Afrika: ein bisschen Spontaneität, nicht so ganz rigide sein, Flexibilität und Spontaneität, das braucht man auch.

    Autorin: Elke Drewes

    Links zum Thema:

    Körber-Stiftung verleiht Deutschen Studienpreis zum Thema Tempo! - Die beschleunigte Welt