Ensminger: Gleichzeitig gab es Proteste der Leser. Wie sahen die denn aus?
Klotzek: Am Samstag gab es eine Demonstration in der Münchener Innenstadt. Es haben verschieden Leser und User von jetzt.de sich zusammengeschlossen und Protestwebseiten gegründet, und sie haben eine Unterschriftenaktion ins Leben gerufen, jetztundfuerimmer.de, weil diese User und Leser wie wir sich sehr ungern damit abfinden wollen, dass Jetzt abgeschafft wird. Diese Petition wurde einem Verlagssprecher überreicht, und dann gab es ein Benefizkonzert, und das war am Samstag.
Ensminger: Die Leser haben viele Protestbriefe geschrieben. Die heutige Ausgabe sieht anders aus. Da steht: 3657 Gründe, warum es sich zu leben lohnt. Das hat etwas Besonderes auf sich, was wir vielleicht unseren Hörern nochmals erklären müssen, die die Ausgabe nicht vor sich vorliegen haben, aber lebenswert, das war ein Markenzeichen der Zeitschrift Jetzt.
Klotzek: Ja, lebenswert war eine feste Rubrik, eigentlich die einzige Rubrik, die es auch geschafft hat, in den neun Jahren niemals ausgewechselt oder geändert zu werden. Das Prinzip ist ganz einfach: Leser vervollständigen den Satz, Lebenswert ist diese Woche..., und schicken uns Postkarten oder per Email, was sie lebenswert finden. Und wir haben für die allerletzte Ausgabe eigentlich alle möglichen Freunde des Heftes und natürlich auch die Leser gefragt, ob sie nicht einen generellen Lebenswert-Punkt schreiben wollen, und da sind viele zusammengekommen. Wir haben es geschafft, etwas mehr als 3.600 in das heutige Abschiedsheft zu quetschen.
Ensminger: Daran merkt man, dass es doch ein wenig anders war als viele andere Magazine und Beilagen von Zeitungen. Was geht denn jetzt dem deutschen Zeitungsmarkt verloren?
Klotzek: Ach, das ist schwierig, wenn jetzt ausgerechnet der Redaktionsleiter von Jetzt sagt, was abgeschafft wird. Aber grundsätzlich kann ich nur sagen, was wir probiert haben, und das war ganz klar, die Leser ernst zu nehmen. Ich weiß nicht, welche anderen Jugendzeitschriften das auch machen. Wir glauben, dass ernsthafter Jugendjournalismus eben nicht darin besteht, nur Popstarhoroskope zu veröffentlichen oder Starposter, und dass Jugend auch sehr viel mehr ist als das, was in anderen Medien über Jugendliche geschrieben wird, die meistens in einem sehr skandalisierenden Zusammenhang erscheinen, entweder wenn sie ein Massaker verursacht haben, oder wenn sie S-Bahn surfen oder Drogen nehmen. Aber das ist natürlich nicht das, was ein normaler Jugendlicher vom Jugendjournalismus erwartet, sondern er möchte einerseits mit vielen politischen Themen oder mit Themen aus der Berufswelt, natürlich auch mit Pop und Musik konfrontiert wird. Aber was Jetzt, glaube ich, gemacht hat, ist, über den Alltag der Leser selbst zu schreiben, und das hat eine sehr starke emotionale Bindung mit unseren Lesern verschafft, die es, glaube ich, in keinem anderen Magazin gibt.
Ensminger: Nun ist es also klar: Jetzt wird eben verschwinden. Wenn man sich das so anguckt, was Sie beschrieben haben, und eben auch, dass es vergleichbares im Zeitungsmarkt nicht gibt, gab es keine andere Möglichkeit, als ausgerechnet bei Jetzt die Sparmaßnahmen einzusetzen?
Klotzek: Es ist schwierig, weil ich ja nicht diese Entscheidung getroffen habe, sondern letztlich der Verlag. Ich bin schon der Meinung, dass es wichtig ist, dass man ein Jugendangebot hat, oder dass man Jugendmarketing für eine Zeitung betreibt. Aber da gibt es unterschiedliche Meinungen, und letztlich hat sich nicht das durchgesetzt, was ich für richtig halte.
Ensminger: Das war eine wirtschaftliche Entscheidung, für die Leser wahrscheinlich nicht ganz nachvollziehbar. Haben Sie Hoffnungen, dass es irgendwann doch wieder eine Beilage Jetzt gibt?
Klotzek: Das ist schwierig, weil man, glaube ich, so ein Heft nicht einfach so abschaffen und dann wieder anschaffen kann, so wie man einen Lichtschalter an- und ausknipst. Ich glaube, dass die Glaubwürdigkeit von Jetzt und die Leserblattbindung in den letzen neun Jahren behutsam aufgebaut worden sind, und ich möchte nicht ausschließen, dass so etwas nie wieder funktioniert, aber ich glaube schon, dass es leider eine Entscheidung für sehr lange Zeit sein wird.
Ensminger: Was wird denn aus den Redakteuren des Magazins?
Klotzek: Wir stehen in dieser Woche vor der für uns neuen Situation, dass wir diese Abfindungsverhandlung führen werden, sozusagen ein Schnellkurs im wahren Leben und Arbeitsrecht, und ich denke, dass es sehr bald zu den ohnehin jetzt schon sehr vielen jungen und guten arbeitslosen Journalisten noch ein paar mehr geben wird.
Ensminger: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio