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Die Zeitungspresse als NS-Machtinstrument

Die Berliner "Topographie des Terrors zeigt die Ausstellung "Zwischen den Zeilen?". Thematisiert wird, wie die Nationalsozialisten Denk- und Handlungsspielräume von Verlegern, Journalisten und Lesern einschränkten.

Von Cornelius Wüllenkemper | 21.05.2013
    Bereits kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten konnte auch für die deutsche Zeitungslandschaft kein Zweifel mehr daran sein, dass die neue Machtelite im Begriff war, ein diktatorisch-totalitäres Regime zu installieren. Die bis dato von unabhängigen Berliner Journalisten geleitete Reichspressekonferenz wurde bereits im März 1933 gleichgeschaltet und vom Propagandaministerium übernommen.

    Wenige Monate später entzog das Ministerium solchen Journalisten die Berufserlaubnis, die rassenideologisch nicht genehm waren. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels begründete den Schritt damit, dass Journalisten "Beauftragte und Vertrauensleute des Ministers" sein und nun die "Umwandlung der Presse in ein öffentliches Organ und ihre rechtliche und geistige Eingliederung in den Staat" erfolge. Wurde dennoch "zwischen den Zeilen" Kritik oder zumindest eine eigene Meinung vertreten? So lautet die zentrale Frage der Sonderausstellung in der Topografie des Terrors in Berlin, und sie wird, soviel gleich zu Anfang, nicht oder zumindest nur äußerst ambivalent beantwortet.

    "Gerade 1933, 1934, 1935, als das System sich noch nicht so etabliert hatte, hätte es noch viele Möglichkeiten gegeben, Kritik zu äußern, auch gegen die Gleichschaltung der Berufsverbände viel stärker zu protestieren. Und da hat es sicher eine ganz große Rolle gespielt, dass sehr sehr viele Journalisten im vorauseilenden Gehorsam, sei es aus Vernunftentscheidung, sei es aus Angst vor Verfolgung, sich auf die eine oder andere Weise dem System unterworfen oder sogar angedient."

    Meint die Kuratorin Judith Prokasky. Zugleich weist sie darauf hin, dass bei 2500 verschiedenen Zeitungstiteln im Jahre 1935 eine durchgängige Kontrolle durch das Propagandaministerium nicht möglich gewesen sei. Die Selbstkontrolle der Presse sei hier womöglich wirkungsmächtiger gewesen als die von Goebbels täglich herausgegebenen schriftlichen Anweisungen zu Themenauswahl und Sprachgebrauch.
    Die Schau "Zwischen den Zeilen" ist zeitlich in zwei grobe Abschnitte unterteilt: den Reichsparteitag in Nürnberg 1935 und die Niederlage in Stalingrad 1943. Auf zwei
    Stellwandreihen sind Bild- und Textausschnitte aus Tageszeitungen und Illustrierten abgedruckt, kommentiert durch kurze erklärende Texte. Am Ende der Stellwandreihen werden Ausschnitte aus Wochenschau und dem Radioprogramm präsentiert. Inmitten des Raumes liegen auf großen schwarzen Tischen 13 historische Tageszeitungen zur Selbstlektüre aus. Das Konzept der Schau wird dabei nicht ganz klar. Im Mittelpunkt, so die Kuratorin, stünden nicht - wie der Titel "Zwischen den Zeilen" doch insinuiert – die Freiräume der Berichterstattung, und auch nicht deren Glaubwürdigkeit, sondern, ob die Darstellung der Ereignisse von der Volksgemeinschaft angenommen wurde.

    "Es gibt die Vorstellung von der antisemitischen Hetze in der NS-Presse, und die hat es bestimmt auch gegeben, aber das viel Erschreckendere ist eigentlich, dass das einfach totgeschwiegen wurde. Auch gerade die sogenannten Nürnberger Gesetze, die wir alle im Geschichtsunterricht mal haben lernen müssen, da ist es eigentlich das Interessante beim Reichsparteitag 1935, dass die in der Presse eigentlich kaum thematisiert werden."

    So sei über Ereignisse wie die Reichspogromnacht, über brennende Synagogen und Gewaltexzesse in der Presse nur beiläufig auf den hinteren Seiten berichtet worden. Dass in der Bevölkerung die gefilterte Berichterstattung andererseits auch kritisch rezipiert wurde, zeigen in der Schau Tagebuchausschnitte nicht nur von Intellektuellen wie Viktor Klemperer oder Erich Kästner, sondern auch von einfachen Arbeitern.

    "Das finde ich eigentlich das Erschreckende, das eben der Wunsch der Leser, dass Normalität herrscht, der Wunsch der Leser, dass der Alltag funktioniert, so groß war, dass eben auch das Verschweigen und das Verfälschen hingenommen wurde. "


    Die Ausstellung schneidet zahlreiche hochinteressante Themenstränge an, hinterlässt den Besucher nach dem Blick auf die Stellwände aber ratlos. Stückchenweise werden hier Andeutungen gemacht, über die erschreckende Normalität von "Heil Hitler"-Propaganda bei der Morgengymnastik im Radio, oder über einzelne Journalisten-Biografien wie die vom Nazi-Propagandisten und SS-Mann Giselher Wirsing, der später in der BRD Mitbegründer und Chefredakteur der evangelischen Wochenzeitung Christ und Welt wurde. Von der legendären Frankfurter Zeitung, die noch bis 1943 bürgerlich-konservative Kommentare druckte, bevor sie verboten wurde. Und vom Bedeutungsverlust der Presse gegenüber dem Volksempfänger. Die Ausstellung "Zwischen den Zeilen" regt zu vielem an und erklärt dabei wenig.