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"Die Ziele an der Wirklichkeit ausrichten"

"Ohne Erfolge bei der Arbeit hält man es auf Dauer nicht aus", sagt Schulleiter Manfred Brodeßer. Seit 23 Jahren leitet er eine Grundschule im Kölner Stadtteil Vingst und in dieser Zeit hat er viel auf den Weg gebracht.

Von Andrea Lueg |
    "Alle Kinder holen bitte ihren Wochenplan raus und lassen ihn liegen! Nur rausholen."

    Dienstag morgen, 8 Uhr, Manfred Brodeßer gibt Matheunterricht. Im Raum sitzen Kinder aus Klasse 3 und 4, die vierer sollen auf den äußeren Plätzen still arbeiten, mit den dreiern übt Brodeßer im Stuhlkreis in der Mitte das Rechnen mit Stunden und Minuten.

    "Die dreier kommen mal bitte hier auf die Bank. Mir ist das ein bisschen zu laut."

    Ganze zwei Kinder im Raum haben keinen Migrationshintergrund, die Eltern der anderen kommen aus Polen, der Türkei, Thailand und einer Reihe weiterer Länder. Die Katholische Grundschule Heßhofstraße, die Manfred Brodeßer seit 23 Jahren leitet, liegt im sogenannten sozialen Brennpunkt. Und das er gerade hier Schulleiter ist, hat er sich genauso ausgesucht. Vor 34 Jahren nämlich begann er den Schuldienst an einer ganz ähnlichen Schule im Kölner Stadtteil Ehrenfeld: 37 Kinder aus 17 Nationen. Und da, sagt Brodeßer, hat er diese Kinder schätzen gelernt und will nichts anderes mehr.

    "Auch die Menschen hier haben ihre Begabungen, das ist also ganz wichtig auch für mein berufliches Ethos, die decken sich nicht mit denen in anderen Stadtteilen, aber sie sind da und die stütze ich, die fördere ich ..."

    Weniger soziale Kälte als in den leistungsbetonten Stadtteilen sieht Brodeßer hier, mehr Hilfsbereitschaft und durchaus auch Integrationswillen. Nur müssten die Menschen eben immer mal wieder kapitulieren vor den vielfältigen Problemen. Heute morgen zum Beispiel brachte eine Romafrau ihre Tochter in die Schule. Neun Jahre ist die, spricht aber kein Wort Deutsch und kann nicht lesen und schreiben. Für solche Fälle gibt es in der Heßhofstraße eine Seiteneinsteigerklasse, wo man versucht, die Kinder zu integrieren.

    Überhaupt gibt es vieles an der Grundschule: offenen Ganztag sowieso, ein Minifußballfeld im Hof, dass der DFB gesponsert hat, Klettergerüste, viele Fördermöglichkeiten für die Kinder, eine Sozialarbeiterin. Brodeßer tut viel für die Vernetzung der Schule im Stadtteil, pflegt Kontakte mit Kitas und Kirche. Die Kinder sollen davon profitieren. Wie man die Motivation in seinem Job so lange aufrecht hält, dafür hat er ein simpel klingendes Rezept:

    "Dass man die Ziele, die man sich steckt, auch an der Wirklichkeit ausrichten muss, man muss auch schauen, was ist tatsächlich machbar, ich muss hochgesteckte Ziele manchmal etwas tiefer hängen, denn ich halte es schon für wichtig, dass man auch Erfolge hat. Ohne Erfolge bei der Arbeit hält man das auf Dauer nicht aus.""

    Ein wichtiger Erfolg für ihn war zum Beispiel vor sechs Jahren die Umstellung auf den Jahrgangsübergreifenden Unterricht. Von dem pädagogischen Konzept ist Brodeßer überzeugt. Aber er liebt auch das Unterrichten, will nicht nur verwalten und organisieren.

    "Dazu gehört, dass einen die Kinder mögen, das halte ich für ganz wichtig, aber auch dass man in dem Umkreis in dem man arbeitet, hier bei uns in Köln natürlich in den Vierteln, das man da auch akzeptiert und anerkannt wird, sich auch mit den Gegebenheiten arrangiert, es sind viele Dinge, die wünschte ich mir anders, aber die Umstände sind eben so und dann habe ich mich mit denen auseinanderzusetzen."

    Und was denken die Kinder über den Schulleiter?

    "Der ist lustig, meistens nett. Wenn man nicht zuhört, nicht leise ist, dann fängt er an erst mal zu schreien und wenn man dann nicht aufhört, dann schimpft er schon ein bisschen mehr. Manchmal nimmt er das Lineal von der Tafel und klatscht auf den Tisch. Der macht viele Witze und das macht uns auch Spaß."

    Und dann hat Dominik da noch etwas beobachtet:

    "Letztens hatte der verschiedene Schuhe an, einen schwarzen und einen anderen schwarzen, keine Ahnung voll die komischen Schuhe, haben wir gesagt. Hat er gekuckt, waren verschiedene Schuhe! Ist den ganzen Tag damit durch die Schule gelaufen."

    Anstrengend findet der 62-Jährige die Schulverwaltung, die Raumnot und auch, dass er nur an zwei Vormittagen in der Woche eine Sekretärin hat. Das heißt, sagt er, er muss viele Dinge tun, die andere besser könnten. Und dann die fehlenden finanziellen Mittel. Die Stadt Köln will zehn Prozent an den Schulen einsparen. Das zu leisten, sagt Brodeßer, fällt schwer.
    "Das macht sicher ärgerlich, auch verzagt."

    Auf Dauer zu verzagen ist allerdings nicht Brodeßers Ding. Er ist einer der Position bezieht, auch wenn's ungemütlich wird. Zum Beispiel wenn ihm der Kölner Kardinal Meissner multireligiöse Gottesdienste an seiner Schule untersagen will. Dann wird Brodeßer streitbar.

    Den jungen Lehrerinnen und Lehrern wünscht er die Erfolge, die sie brauchen, denn die Arbeit sei hart. Und, wenn es geht, einen Mentor. Ob ein Lehrer mit soviel Engagement ein Vorbild ist für junge Pädagogen? Brodeßers Sekretärin Margret Müller sieht das zwiespältig:

    "Ich glaube, das ist nicht immer einfach, er erwartet sehr viel Engagement und naja, es fehlt ihm teilweise etwas bei den jungen Lehrern. Ich finde das bewundernswert, was er macht, aber man kann das eben nicht grundsätzlich voraussetzen.""

    In zwei Jahren hat Brodeßer sein 25-jähriges Dienstjubiläum als Schulleiter, die goldene Uhr quasi.

    "Das werde ich auf jeden Fall mehr feiern als meinen Abschied.""

    Aber vorher hat er natürlich noch allerhand vor, sonst wäre er nicht Manfred Brodeßer:

    "Gemeinsamer Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern. Also da haben wir uns auch schon informiert, das wird die nächste große Baustelle an unserer Schule sein."