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Die zornigste, lustigste und schärfste Rezension des Jahres

In London wurde erstmals ein Preis für die besten Verrisse des Jahres vergeben. Der Literaturkritiker und Feuilletonist Adam Mars-Jones hat ihn gewonnen. Es geht auch darum, ein vernachlässigtes und schlecht bezahltes Genre zu ehren: die Buchkritik.

Von Matthias Thibaut |
    Die besten Verrisse - oder Hackbeil-Jobs - werden mit Präzision und Wucht versetzt, so Jurysprecher Sam Leith bei der Preisverleihung im Horse and Coach, einem Pub in Soho, das als Ort eines Comics der Satirezeitschrift Private Eye literarische Berühmtheit erlangte. Der Gewinner Adam Mars Jones habe genau dies getan, dazu noch mit "mörderischer Fairness und lasterhaftem Witz". Gewürdigt wird er für seine Rezension - beziehungsweise den Verriss - von Michael Cunninghams Roman "By Nightfall" - auf Deutsch erschienen unter dem Titel "In die Nacht hinein", in der sich Mars-Jones über die prätentiösen literarischen Anspielungen mokiert, mit denen das Buch vollgepackt ist: In seinem Pulitzer-Preis-Gewinner "The Hours" habe Cunningham auf Virginia Woolfs Mrs. Dalloway angespielt. Nun mache er sich gar an James Joyce. "Hätte er schlappere Vorbilder genommen, würde er eine bessere Figur machen, der Kontrast wäre geringer", schreibt der Preisgewinner. Joyce hätte mit seiner wegen seiner Augenkrankheit beschränkten Lesezeit die Lektüre dieses Buches bestimmt bereut. Aber das vernichtendste Urteil fällt im Resümee:

    Das Buch ist eigentlich nicht wirklich schrecklich - es ist einfach nur so durchschnittlich.

    Der Preis ehrt aber nicht nur einen Verriss, sondern das Genre im Allgemeinen und den Berufsstand des Kritikers im Besonderen: So schreiben die Organisatoren - es handelt sich um die Betreiber der Website Omnivore, das wie in Deutschland Perlentaucher etwa Kritiken zusammenstellt - im Manifest für den Preis:

    Die Lebenszeit der Literaturseiten geht dem Ende zu, die Leserschaft schwindet, Platz für Rezensionen schrumpft und Rezensenten werden nur halb so gut bezahlt wie vor 20 Jahren.

    Noch hätten Buchkritiker nicht den letzten Atemzug getan, aber das Todesröcheln sei nicht zu überhören. Denn nur noch 15 Prozent der Leser werden durch richtige Buchkritiker auf Bücher aufmerksam - man holt sich heute Buchtipps von den Laienkritiken bei Amazon oder auf Blogs und Twitter. Deshalb der Kampfruf dieses Preises: Wir brauchen professionelle Rezensenten, Leute, die wissen, wovon sie reden.

    Wir brauchen auch, könnte man hinzufügen, mehr Verrisse. Denn liest man sich durch die Shortlist der sechs gewählten Verrisse des Jahres - merkt man, was für ein literarisches Vergnügen ein Verriss ist. Man wird erst zum Mitwisser gemacht, dann, wie beim Ansehen eines alten Slapstick Films à la Laurel und Hardy oder Dick und Doof - in sadistischer Lust zum Mittäter - und muss sich nicht einmal schämen. Seltsamer noch: Man wird von einem eigenartigen Verlangen gepackt, die verrissenen Bücher auch zu lesen. Man will die so lustvoll mokante Empörung sozusagen im Original nachempfinden und die Fallhöhe des Verrisses nachprüfen.

    Literaturprofessorin Mary Bead ist voll ehrlicher Bewunderung für Robert Huges, den berühmten Kunstkritiker. Aber über seine Geschichte Roms schreibt sie im "Guardian":

    Leser, sei gewarnt, überschlage die ersten 200 Seiten und fange mit Kapitel sechs - Die Renaissance - an. Wenn Hughes diesen Punkt erreicht hat, weiß er wenigstens, wovon er spricht.

    Oder Geoff Dyer, der in der "New York Times" Julian Barnes "Das Ende einer Geschichte" bespricht - immerhin ein Booker Preis Gewinner - und mit einem Bekenntnis beginnt:

    Ich habe das Buch nicht kapiert, als ich es das erste Mal las,

    schreibt er.

    Ich habe es auch nicht kapiert, als ich es ein zweites Mal las, nachdem Barnes den Booker Preis gewann und die Juryvorsitzende sagte, man habe bei jedem Wiederlesen mehr davon. Mir schien im Gegenteil, wenn es das gibt, dass ich es beim zweiten Lesen noch mehr nicht kapierte, als ich es beim ersten Mal nicht kapierte.

    Auch eine materielle Belohnung erhält der Gewinner des Hatchet Job of the Year: Potted Shrimps, eingemachte Garnelen nach dem Lancaster Rezept, von dem Fischversand, der den Preis sponsert. Und zwar genug für ein ganzes Jahr. Potted Shrimps darf man in diesem Fall wohl auch als Wortspiel verstehen - Schlechte Bücher, eingemacht.