
TV-Reportage WM-Finale 2014 Deutschland – Argentinien:
"Schürrle, der kommt an, mach ihn, mach ihn, er macht ihn, Mario Götze. Das ist doch Wahnsinn. Und da ist gekommen, dieser eine Moment für Mario Götze, da ist alles andere egal. Irre!"
Gänsehaut, Tränen, wildes Jubeln: Fast 35 Millionen Deutsche haben den WM-Sieg unserer Nationalmannschaft vor dem Fernseher verfolgt. Das Finale live im Stadion in Brasilien zu sehen – das Glück hatten nur die Wenigsten. Die besten Plätze haben bis zu 750 Euro gekostet und das Stadion war zehntausend Kilometer entfernt. Christian Weissig und seine Kollegen vom Fraunhofer Institut kennen das Problem und haben und deswegen das Projekt "TIME Lab" ins Leben gerufen.
"Generell ist Fußball eine Veranstaltung, wo oftmals die Sitze alle verkauft sind, wo es kein Platz mehr gibt, und gerade die Premiumplätze...da ist es attraktiv, die mehrfach zu verkaufen. Das war die Idee dahinter: die besten Plätze nochmal zu verkaufen."
Zehn Jahre haben die Techniker geforscht und eine Millionen Euro investiert. Herausgekommen ist ein unscheinbarer Raum mit Wohnzimmer-Größe, im fünften Stock des Fraunhofer Instituts. Auf den ersten Blick sieht das hier nicht so aus, als ob es sich gleich in ein Stadion verwandelt. Zwei kleine Tische, ein Drehstuhl und ein paar Computer. Aber als die Technik anspringt, wird mir so langsam klar, was jetzt auf mich zukommt.
Die kleine Kino-Leinwand fängt an zu flimmern. Sie ist im Halbkreis um mich herum gebogen. Ich stehe genau in der Mitte und sehe überall nur Leinwand. 14 HD-Beamer projizieren das Bild. Gerade beginnt das Qualifikationsspiel Deutschland – Irland.
"Ich habe wirklich das Gefühl, dass ich im Stadion sitze. Ich könnte meinem Sitznachbarn hier einfach kurz die Kapuze über den Kopf ziehen, der sitzt nur einen Meter von mir entfernt. Die Spieler laufen gerade ein, formieren sich am Mittelkreis. Und das Irre ist, Thomas Müller, hier mit der Nummer 13, steht am Mittelkreis ganz vorne und wartet, dass der Schiedsrichter anpfeift und ich habe das Gefühl, ich könnte ihm auf den Kopf spucken."
Das Bild ist gestochen scharf, und wenn ich mich auf die Situation einlasse, also nicht nach unten auf den Boden oder hinten schaue, habe ich das Gefühl, live mit dabei zu sein. Auch der Sound aus 128 kleinen Lautsprechern trägt seinen Teil dazu bei, sagt Christian Weissig.
"Und damit haben wir für alle Zuhörer im Raum perfekte akustische Verhältnisse und wir können diesen perfekten Bild-Ton-Bezug herstellen. Ich sehe die Objekte genau da, wo ich sie höre und habe nicht Konflikte bei der Wahrnehmung."
Heißt: Wenn mein rechter Sitznachbar im Stadion mit der Chipstüte raschelt, dann höre ich das auch genau aus dieser Richtung. Die Lautsprecher, Leinwand und Beamer sind aber nur ein Teil der modernen Technik. Der andere wichtige ist die 360-Grad-Kamera im Stadion. Nur wenn ein Spiel mit ihr aufgezeichnet wird, kann es später in diesem Kino so gezeigt werden. Die Kamera besteht aus zehn HD-Linsen, die das komplette menschliche Sichtfeld abdecken. Christian Weissig startet das nächste Spiel. Das WM-Finale Deutschland – Argentinien. Auch hier haben die Techniker mit der Kamera gefilmt. Wir tauchen wieder ins Stadion ein, gucken uns gerade die Fans neben uns an und merken, dass wir fast eine dicke Torchance für Argentinien verpasst haben.
"Das ist das gleiche Problem wie auch im Stadion, ich muss selber Regie führen, ich muss selber gucken, dass ich das Geschehen verfolgen kann und nicht woanders hinschaue, und bei der nächsten Ecke fällt gerade das Tor."
Christian Weissig sagt: da wo die Kamera steht, stehen wir auch. Und steht die Kamera direkt auf Höhe der Mittellinie und ganz nah am Feld, dann haben wir hier im Kino das Gefühl, dass wir auf den besten Stadionplätzen sitzen. Ungefähr in einem Jahr soll die Technik so weit sein, dass sie an den Mann gebracht werden kann. Bis wir aber Fußball-Spiele bei Veranstaltungen oder beim Public Viewing sehen können, wird es noch dauern. A, weil die Technik teuer ist und B: weil die Situation bei Lizenzen und Übertragungsrechten beim Fußball ziemlich kompliziert ist. Wer wirklich hautnah dabei sein und Gänsehaut haben will, muss also erstmal weiter ins Stadion gehen.