Manchem mag die Idee der Menschenwürde altehrwürdig und theologisch oder philosophisch begründet erscheinen - dass sie das keineswegs ist, sondern bewusst gegen kirchliche Lehren und metaphysische Vorstellungen entwickelt wurde und so erst seit dem Ende des Krieges ihre verfassungsrechtliche Verankerung weltweit gefunden hat, darauf verwies der Würzburger Rechtsphilosoph Horst Dreier im Tutzinger Dialog. Nur verhalten optimistisch blickt Dreier drein, wenn es um die Zukunft der Menschenwürde geht. Heute schon würde dieser Begriff häufig überstrapaziert und in zu vielen gesellschaftspolitischen Debatten instrumentalisiert.
"Vom Genmais-Anbau über die Rentenfrage bis hin zur Schulpflicht - wenn jede auch noch so gerechtfertigte Gesellschafts- oder Zivilisationskritik als Menschenwürde-Verletzung ausgeflaggt wird, dann ist es mit der absoluten Geltung und dem normativen Höchstrang des Artikel 1 rasch vorbei. Auf die ein wie andere Weise, durch Trivialisierung wie durch Überbeanspruchung als Mega-Topos für Kultur und Zivilisation schlechthin wird der Satz von der Menschenwürde geschwächt. Denn Inflationierung, das wissen wir alle, bedeutet immer Entwertung."
Als Beispiel nannte der Jurist Dreier das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge das Luftsicherheitsgesetz einen "Verstoß gegen die Menschenwürde" darstellt. Eine Entscheidung, auch der 82-jährigen Robert Spaemann kritisiert.
"Diese Geschichte, die auch entschieden wurde vom Bundesverfassungsgericht, mit dem Flugzeug, das auf ein Atomkraftwerk fliegt: Darf man das abschießen, dieses Passagierflugzeug? Das Bundesverfassungsgericht sagt nein, man darf nicht Menschen töten zum Zweck der Rettung von anderen. Ich kann dem Urteil nicht zustimmen. Da scheint es mir so zu sein, dass es Fälle gibt, wo man sagen muss: 'Ja, gut, da stehen zwei riesige Unglücke gegeneinander, und ich muss das kleinere hinnehmen und es als Kollateralschaden betrachten.' Das ist aber kein Menschenwürde-Konflikt, denn es wird meine Würde nicht verletzt, wenn mir etwas angetan wird, was man mir vernünftig erklären kann, so dass man billigerweise erwarten kann, dass ich dem zustimme. Dann ist meine Würde gewahrt, auch wenn mein Leben nicht gewahrt ist."
Einigkeit zwischen Spaemann und Dreier herrschte nicht nur hier, sondern auch in der Frage des menschenwürdigen Sterbens, das für Dreier wie Spaemann "ein von Menschen begleitetes, und vor großen Schmerzen bewahrtes Sterben" ist.
"Es ist ebenso menschenunwürdig, das Leben des Menschen durch medizinische Maßnahmen - zum Beispiel künstliche Ernährung - über jedes vernünftige Maß hinaus zu verlängern wie es menschenunwürdig ist, den Tod absichtlich herbeizuführen. In beiden Fällen ist der Patient nicht mehr wirklich Selbstzweck. Darauf aber kommt es bei der Menschenwürde an."
Ein Disput zwischen Spaemann und Dreier freilich konnte auch in Tutzing nur angesprochen, aber nicht beigelegt werden: Der Streit darüber, ab wann ein Leben menschenwürdebegabt ist. Für Spaemann ist das schon bei der befruchteten Eizelle im Mutterleib der Fall, für Dreier ist erst das geborene Leben menschenwürdebegabt.
"Meine Position ist, dass das Menschenwürdekonzept, das dem Grundgesetz zugrunde liegt, auf Interaktionsbeziehungen im Sinne des gleichen Respekts und der gleichen Würde aller in ihrer wechselseitigen Anerkennung beruht. - Ja, Herr Dreier, Sie sagten, die Würde gründet in Interaktionsverhältnissen und dort, wo Anerkennung gegenseitig ist. Aber das würde ja bedeuten, dass auch Säuglinge nicht dazugehören, weil es da keine gegenseitige Form von Anerkennung gibt, schwer Debile sowieso nicht, Altersdemente auch nicht, also der Kreis derer, von denen man sagen kann, ist sehr eingeschränkt - mehr, als Sie das beabsichtigen. - Es sind nicht bestimmte Qualitäten und Merkmale, aufgrund derer wir dann sagen: Okay, da ist jemand debil, der fällt nicht drunter oder ein Schwacher, ein Schlafender, all diese Argumente. Da bin ich ganz bei Ihnen und sage. Nein, das ist eben ein normativer Achtungsanspruch, den wir jedem entgegenbringen, egal, ob er das jetzt in seiner Person realisieren kann oder nicht, aber da muss uns jemand gegenüberstehen."
So gegenüberstehen, wie das Horst Dreier Robert Spaemann in der spannenden wie geistreichen Diskussion am Starnberger See gestern tat.
"Vom Genmais-Anbau über die Rentenfrage bis hin zur Schulpflicht - wenn jede auch noch so gerechtfertigte Gesellschafts- oder Zivilisationskritik als Menschenwürde-Verletzung ausgeflaggt wird, dann ist es mit der absoluten Geltung und dem normativen Höchstrang des Artikel 1 rasch vorbei. Auf die ein wie andere Weise, durch Trivialisierung wie durch Überbeanspruchung als Mega-Topos für Kultur und Zivilisation schlechthin wird der Satz von der Menschenwürde geschwächt. Denn Inflationierung, das wissen wir alle, bedeutet immer Entwertung."
Als Beispiel nannte der Jurist Dreier das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge das Luftsicherheitsgesetz einen "Verstoß gegen die Menschenwürde" darstellt. Eine Entscheidung, auch der 82-jährigen Robert Spaemann kritisiert.
"Diese Geschichte, die auch entschieden wurde vom Bundesverfassungsgericht, mit dem Flugzeug, das auf ein Atomkraftwerk fliegt: Darf man das abschießen, dieses Passagierflugzeug? Das Bundesverfassungsgericht sagt nein, man darf nicht Menschen töten zum Zweck der Rettung von anderen. Ich kann dem Urteil nicht zustimmen. Da scheint es mir so zu sein, dass es Fälle gibt, wo man sagen muss: 'Ja, gut, da stehen zwei riesige Unglücke gegeneinander, und ich muss das kleinere hinnehmen und es als Kollateralschaden betrachten.' Das ist aber kein Menschenwürde-Konflikt, denn es wird meine Würde nicht verletzt, wenn mir etwas angetan wird, was man mir vernünftig erklären kann, so dass man billigerweise erwarten kann, dass ich dem zustimme. Dann ist meine Würde gewahrt, auch wenn mein Leben nicht gewahrt ist."
Einigkeit zwischen Spaemann und Dreier herrschte nicht nur hier, sondern auch in der Frage des menschenwürdigen Sterbens, das für Dreier wie Spaemann "ein von Menschen begleitetes, und vor großen Schmerzen bewahrtes Sterben" ist.
"Es ist ebenso menschenunwürdig, das Leben des Menschen durch medizinische Maßnahmen - zum Beispiel künstliche Ernährung - über jedes vernünftige Maß hinaus zu verlängern wie es menschenunwürdig ist, den Tod absichtlich herbeizuführen. In beiden Fällen ist der Patient nicht mehr wirklich Selbstzweck. Darauf aber kommt es bei der Menschenwürde an."
Ein Disput zwischen Spaemann und Dreier freilich konnte auch in Tutzing nur angesprochen, aber nicht beigelegt werden: Der Streit darüber, ab wann ein Leben menschenwürdebegabt ist. Für Spaemann ist das schon bei der befruchteten Eizelle im Mutterleib der Fall, für Dreier ist erst das geborene Leben menschenwürdebegabt.
"Meine Position ist, dass das Menschenwürdekonzept, das dem Grundgesetz zugrunde liegt, auf Interaktionsbeziehungen im Sinne des gleichen Respekts und der gleichen Würde aller in ihrer wechselseitigen Anerkennung beruht. - Ja, Herr Dreier, Sie sagten, die Würde gründet in Interaktionsverhältnissen und dort, wo Anerkennung gegenseitig ist. Aber das würde ja bedeuten, dass auch Säuglinge nicht dazugehören, weil es da keine gegenseitige Form von Anerkennung gibt, schwer Debile sowieso nicht, Altersdemente auch nicht, also der Kreis derer, von denen man sagen kann, ist sehr eingeschränkt - mehr, als Sie das beabsichtigen. - Es sind nicht bestimmte Qualitäten und Merkmale, aufgrund derer wir dann sagen: Okay, da ist jemand debil, der fällt nicht drunter oder ein Schwacher, ein Schlafender, all diese Argumente. Da bin ich ganz bei Ihnen und sage. Nein, das ist eben ein normativer Achtungsanspruch, den wir jedem entgegenbringen, egal, ob er das jetzt in seiner Person realisieren kann oder nicht, aber da muss uns jemand gegenüberstehen."
So gegenüberstehen, wie das Horst Dreier Robert Spaemann in der spannenden wie geistreichen Diskussion am Starnberger See gestern tat.