Es gibt eine Konjunktur der Misere. In ihr laufen das demographische Defizit und die welt-weite Wirtschaftskrise zusammen und erschüttern eine der tragenden Säulen der staatlichen Ordnung in der Bundesrepublik, nämlich das Sozialstaatsprinzip. Als unveränderbar in Artikel 2o und 28 Grundgesetz verankert, wird um seine Reform und Ausgestaltung immer heftiger gestritten.
Ein Sammelband mit 5o Beiträgen wichtiger Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kirche will die Debatte versachlichen und vertiefen. Diesem Ziel der Herausgeber Konrad Deufel und Manfred Wolff werden die aktiven Politikerinnen und Politiker mit ihren Beiträgen allerdings kaum gerecht. Konkrete Aussagen wagen noch am ehesten Politikerinnen und Politiker, die ihre aktive Zeit bereits hinter sich haben. Heiner Geißler zum Beispiel schreibt:
Das Durcheinander in der sozialpolitischen Diskussion hat vor allem darin seinen Grund, dass ethische Grundsätze nicht mehr beachtet oder aus dem Bewusstsein verdrängt werden. Kostengesichtspunkte drängen sich dann in den Vordergrund - die Gesundheitsministerin fragt nicht mehr, welche Gesundheitspolitik dient dem Patienten und seiner ausreichenden Versorgung mit guten Medikamenten und ärztlicher Hilfe, sondern danach:
Was darf das Ganze kosten? Es ist pervers, die gesundheitliche Versorgung des Menschen dem Diktat des Geldes zu unterwerfen, ohne ein hinreichendes Konzept für eine humane ärztliche und medikamentöse Betreuung des Menschen zu haben - ein Konzept, in dem klargestellt wird, dass für jeden, der krank wird, ärztliche und krankenhausärztliche Hilfe erreichbar sein muss.
Mit der Feststellung, dass das Grundgesetz in seinem Kernbestand Tabu sei und es bleiben müsse, betont Bundespräsident Johannes Rau in seinem Beitrag eine Selbstverständlichkeit, die oft vergessen wird. Rau wörtlich:
Das Sozialstaatsgebot wiederum ist kein Anhängsel des Grundgesetzes, sondern gehört zum Kernbestand unserer gesellschaftlichen Ordnung.
Die in dem Buch reichlich vertretenen Politikerinnen und Politiker wie Gerhard Schröder, Angela Merkel, Wolfgang Schäuble, Erwin Teufel, Kurt Beck und Renate Schmidt bleiben auch hier - leider! - bei den allseits kritisierten Gemeinplätzen. Sie formulieren Sätze, die jeder gern unterschreiben würde, wahrscheinlich aber darunter nicht immer dasselbe
versteht.
Konkretere Aussagen zum Thema des Buches treffen dagegen die Wissenschaftler. Ihre Aufsätze machen das Buch lesenswert. Nach Ansicht des katholischen Wirtschaftsethikers Friedhelm Hengsbach liegt die Zukunft der Erwerbsarbeit in der Arbeit am Menschen. Sie finde schwerpunktartig im medizinischen, pflegerischen, therapeutischen, pädagogischen und sozialen Sektor statt. Dazu gehören Helfen, Pflegen, Beraten und Begleiten. Hengsbach erläutert die Merkmale der Arbeit am Menschen so:
Sie wird nicht zu verschiedenen Zeitpunkten geleistet und verbraucht, sondern im selben Augenblick angeboten und nachgefragt, kann also nicht gespeichert werden. Für den Erfolg der Arbeit am Menschen ist die Kooperation zwischen Lehrenden und Lernenden, Ärzten und Patienten, Anwälten und Mandanten nötig. Arbeit am Menschen ist sprachlich vermittelte, verständigungsorientierte Beziehungsarbeit, die auf Gegenseitigkeit beruht. Im Dialog werden Handlungsorientierungen und Lebensentwürfe geändert, Menschen zu guten und richtigen Entscheidungen ermächtigt, psychosoziale, politische und moralische Lernprozesse angestoßen. Die Perspektive des konkreten Anderen, der Respekt vor dessen autonomer Lebenswelt sowie das Einfühlungsvermögen sind für die Arbeit am Menschen charakteristisch. "
Es gebe auch gute ökonomische Gründe dafür, Gesundheits- und Bildungsgüter öffentlich bereitzustellen. Darüber hinaus entspricht es dem Grundsatz demokratischer Beteiligung, diese Güter als verfassungsfeste Grundrechte anzuerkennen. Der Staat sei berechtigt,
einen angemessenen Teil des Volkseinkommens zu beanspruchen, um jene Ausgaben zu finanzieren, die für die Bereitstellung der Arbeit am Menschen wie der Bildungs- und Gesundheitsgüter notwendig sind.
Das besondere Merkmal dieses Buches ist zweifellos die Vielfalt der vertretenen
Autorinnen und Autoren aus den großen Bereichen der Gesellschaft. Gerade deshalb durfte man auch mehr Tiefgang erwarten, zum Beispiel über die Schlüsselressource der Zukunft, das Humanvermögen. Es wird nur hier und da gestreift. Für den Diskurs der Sozial-Elite über das vermutlich wichtigste Thema der nächsten Jahrzehnte reicht das nicht aus.
"Ende der Solidarität? - Die Zukunft des Sozialstaats,"
herausgegeben von Konrad Deufel und Manfred Wolf, erschienen im Herder-Verlag in Freiburg. Der Band hat 336 Seiten und kostet 14 Euro 90.
Und an dieser Stelle ein Buchtipp. Wer sich mit der komplexen juristischen Materie des Sozialstaats auseinandersetzen will oder muss, der wird ohne das Sozialrechtshandbuch nicht auskommen. Es ist jetzt in dritter Auflage erschienen, und zwar im Nomos-Verlag in Baden-Baden. Herausgegeben wird es von den Experten Bernd Baron von Maydell und Franz Ruland. Es hat 1.65o Seiten und kostet 128 Euro - angesichts der Fülle und der unglaublichen Sammelarbeit, die dahinter steht, ein wohl angemessener Preis.
Ein Sammelband mit 5o Beiträgen wichtiger Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kirche will die Debatte versachlichen und vertiefen. Diesem Ziel der Herausgeber Konrad Deufel und Manfred Wolff werden die aktiven Politikerinnen und Politiker mit ihren Beiträgen allerdings kaum gerecht. Konkrete Aussagen wagen noch am ehesten Politikerinnen und Politiker, die ihre aktive Zeit bereits hinter sich haben. Heiner Geißler zum Beispiel schreibt:
Das Durcheinander in der sozialpolitischen Diskussion hat vor allem darin seinen Grund, dass ethische Grundsätze nicht mehr beachtet oder aus dem Bewusstsein verdrängt werden. Kostengesichtspunkte drängen sich dann in den Vordergrund - die Gesundheitsministerin fragt nicht mehr, welche Gesundheitspolitik dient dem Patienten und seiner ausreichenden Versorgung mit guten Medikamenten und ärztlicher Hilfe, sondern danach:
Was darf das Ganze kosten? Es ist pervers, die gesundheitliche Versorgung des Menschen dem Diktat des Geldes zu unterwerfen, ohne ein hinreichendes Konzept für eine humane ärztliche und medikamentöse Betreuung des Menschen zu haben - ein Konzept, in dem klargestellt wird, dass für jeden, der krank wird, ärztliche und krankenhausärztliche Hilfe erreichbar sein muss.
Mit der Feststellung, dass das Grundgesetz in seinem Kernbestand Tabu sei und es bleiben müsse, betont Bundespräsident Johannes Rau in seinem Beitrag eine Selbstverständlichkeit, die oft vergessen wird. Rau wörtlich:
Das Sozialstaatsgebot wiederum ist kein Anhängsel des Grundgesetzes, sondern gehört zum Kernbestand unserer gesellschaftlichen Ordnung.
Die in dem Buch reichlich vertretenen Politikerinnen und Politiker wie Gerhard Schröder, Angela Merkel, Wolfgang Schäuble, Erwin Teufel, Kurt Beck und Renate Schmidt bleiben auch hier - leider! - bei den allseits kritisierten Gemeinplätzen. Sie formulieren Sätze, die jeder gern unterschreiben würde, wahrscheinlich aber darunter nicht immer dasselbe
versteht.
Konkretere Aussagen zum Thema des Buches treffen dagegen die Wissenschaftler. Ihre Aufsätze machen das Buch lesenswert. Nach Ansicht des katholischen Wirtschaftsethikers Friedhelm Hengsbach liegt die Zukunft der Erwerbsarbeit in der Arbeit am Menschen. Sie finde schwerpunktartig im medizinischen, pflegerischen, therapeutischen, pädagogischen und sozialen Sektor statt. Dazu gehören Helfen, Pflegen, Beraten und Begleiten. Hengsbach erläutert die Merkmale der Arbeit am Menschen so:
Sie wird nicht zu verschiedenen Zeitpunkten geleistet und verbraucht, sondern im selben Augenblick angeboten und nachgefragt, kann also nicht gespeichert werden. Für den Erfolg der Arbeit am Menschen ist die Kooperation zwischen Lehrenden und Lernenden, Ärzten und Patienten, Anwälten und Mandanten nötig. Arbeit am Menschen ist sprachlich vermittelte, verständigungsorientierte Beziehungsarbeit, die auf Gegenseitigkeit beruht. Im Dialog werden Handlungsorientierungen und Lebensentwürfe geändert, Menschen zu guten und richtigen Entscheidungen ermächtigt, psychosoziale, politische und moralische Lernprozesse angestoßen. Die Perspektive des konkreten Anderen, der Respekt vor dessen autonomer Lebenswelt sowie das Einfühlungsvermögen sind für die Arbeit am Menschen charakteristisch. "
Es gebe auch gute ökonomische Gründe dafür, Gesundheits- und Bildungsgüter öffentlich bereitzustellen. Darüber hinaus entspricht es dem Grundsatz demokratischer Beteiligung, diese Güter als verfassungsfeste Grundrechte anzuerkennen. Der Staat sei berechtigt,
einen angemessenen Teil des Volkseinkommens zu beanspruchen, um jene Ausgaben zu finanzieren, die für die Bereitstellung der Arbeit am Menschen wie der Bildungs- und Gesundheitsgüter notwendig sind.
Das besondere Merkmal dieses Buches ist zweifellos die Vielfalt der vertretenen
Autorinnen und Autoren aus den großen Bereichen der Gesellschaft. Gerade deshalb durfte man auch mehr Tiefgang erwarten, zum Beispiel über die Schlüsselressource der Zukunft, das Humanvermögen. Es wird nur hier und da gestreift. Für den Diskurs der Sozial-Elite über das vermutlich wichtigste Thema der nächsten Jahrzehnte reicht das nicht aus.
"Ende der Solidarität? - Die Zukunft des Sozialstaats,"
herausgegeben von Konrad Deufel und Manfred Wolf, erschienen im Herder-Verlag in Freiburg. Der Band hat 336 Seiten und kostet 14 Euro 90.
Und an dieser Stelle ein Buchtipp. Wer sich mit der komplexen juristischen Materie des Sozialstaats auseinandersetzen will oder muss, der wird ohne das Sozialrechtshandbuch nicht auskommen. Es ist jetzt in dritter Auflage erschienen, und zwar im Nomos-Verlag in Baden-Baden. Herausgegeben wird es von den Experten Bernd Baron von Maydell und Franz Ruland. Es hat 1.65o Seiten und kostet 128 Euro - angesichts der Fülle und der unglaublichen Sammelarbeit, die dahinter steht, ein wohl angemessener Preis.