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Dienstreise ins Tauwetter

Nicht umsonst hat Bundeskanzlerin Angela Merkel Grönland einen Informationsbesuch abgestattet. In nur wenig anderen Gebieten der Erde können die Folgen des Klimawandels so deutlich beobachtet werden: Steigende Temperaturen und wegbrechende Eismassen machen Einwohnern wie Forschern zu schaffen. Monika Seynsche war in Ilulissat auf Grönland und hat dort Fischer und Wissenschaftler getroffen.

    Das Meer schimmert dunkelblau, fast schwarz zwischen tausenden fußballgroßer Eisbrocken. Der Rumpf des kleinen Fischkutters stößt sie aus dem Weg, während er an hochaufragenden, blau-weiss glitzernden Eisbergen vorbei tuckert – einige von ihnen so hoch wie zehnstöckige Häuser. Edvard Samuelsen Magnussen stoppt den Motor. Im Hauptberuf Fischer bringt der Kapitän der "Katak" jeden Abend Touristen von Ilulissat aus zu den Eisbergen des Jakobshavn Gletscher – zur Eisfjord-Tour in der Mitternachtssonne:

    "Hier, in der Mitte des Fjords, ist das Wasser etwa 1100 Meter tief. Am Ende des Fjords brechen die Eisberge vom Gletscher ab und brauchen dann etwa ein Jahr, bis sie hier an der Mündung ankommen. Dann treiben sie Richtung Norden nach Kanada, bevor die Strömung sie wieder nach Süden an Neufundland vorbei in den Atlantik bringt. Aber seit einigen Jahren schaffen sie es nicht mehr bis nach Neufundland – sie schmelzen schon vorher."

    Ilulissat ist ein kleiner Ort an der Westküste Grönlands, auf 69 Grad nördlicher Breite. Wie Kapitän Magnussen sind die meisten Einwohner Inuit und leben vom Fischfang. Früher hätte man von hier aus jeden Winter auf dem Meereis bis zum Nordpol laufen können, sagt Magnussen:

    "Aber in den letzten acht Jahren haben wir kein Meereis mehr gehabt. Es ist einfach zu warm. Anfang der Neunziger sind die Temperaturen im Winter noch bis auf minus 35 Grad gefallen. Jetzt schaffen sie es gerade mal bis minus 20 Grad. Es fällt kaum noch Schnee und wenn welcher fällt, taut er viel schneller weg als früher."

    Darunter leiden besonders die etwa 6000 Schlittenhunde, die in Ilulissat leben. Sie kommen kaum noch zum Einsatz und viele Besitzer sparen sich das Futter für die überflüssig gewordenen Tiere. Wenige Kilometer landeinwärts von Ilulissat entfernt beginnt der grönländische Eispanzer. Der Hubschrauber fliegt eine halbe Stunde über das weiße Nichts, bis eine Handvoll roter und gelber Zelte mitten im Schnee auftauchen.

    Swiss Camp: der Arbeitsplatz von Konrad Steffen. Dort verbringt der Klimatologe von der Universität von Colorado in Boulder jedes Frühjahr mehrere Wochen. Seit 17 Jahren untersuchen er und seine Kollegen hier das Klima und die Bewegungen des Eispanzers. Der verhält sich wie ein Sandhaufen, der unter seinem eigenen Gewicht immer mehr in die Breite geht. Die Eismassen schieben sich zum Rand und brechen in Form von Eisbergen ins Meer. Das ist vollkommen normal, aber in den letzten Jahren haben einige Eisströme an Tempo zugelegt, ohne dass die Forscher verstehen, warum:

    "Der Jakobshavn Isbrae war schon damals der schnellste Eisstrom: Sieben Kilometer 1989 und dann 1990 war dieselbe Geschwindigkeit, 1995 hat er sich ein bisschen beschleunigt, 1996 und die folgenden Jahre hat er plötzlich die Geschwindigkeit verdoppelt auf 14 km und wenn man diese ganze Eismasse nimmt, die dort in den Ozean hineinfließt, abbricht als Eisberge, das sind etwa 50 km³im Jahr."

    50 Kubikkilometer Wasser: Das ist mehr als der Jahresverbrauch der Bundesrepublik Deutschland. Und der Jakobshavn-Gletscher ist nur einer von vielen in Grönland, die Konrad Steffen und seinen Kollegen zunehmend Kopfzerbrechen bereiten. Denn urspünglich waren die Klimaforscher davon ausgegangen, dass durch die steigenden Temperaturen einfach nur die Oberfläche des Eispanzers stärker schmelzen würde. Aber vor einem Jahr haben neue Satellitenmessungen auf einmal gezeigt, dass Grönland jedes Jahr viel größere Mengen Eis verliert, als sich mit diesem Schmelzen allein erklären lässt:

    "Wir wissen, dass beim Jakobshavn Isbrae, bei diesem Gletscher, der sich in der Nähe vom Swiss Camp befindet, ist ein Gletscher, der sehr schnell fließt, aber es muss einige andere Gletscher geben, die wir nicht mal kennen, nicht mal beim Namen kennen wahrscheinlich, die jetzt durch die Erwärmung und andere Phänomene, die wir zum Teil noch nicht recht verstehen, schneller in den Ozean fließen und dadurch den großen Eisverlust verursachen."

    Konrad Steffen und seine Kollegen versuchen nun herauszufinden, warum die Gletscher auf einmal schneller fließen. Denn eines ist sicher: Die schmelzenden Eismassen Grönlands werden den weltweiten Meeresspiegel in die Höhe treiben. Die Frage ist nur: wie weit?