Samstag, 20. April 2024

Archiv


"Diese Heilsfigur will heute keiner mehr spielen"

Joseph Beuys, der heute 90 Jahre alt geworden wäre, sprach mit toten Hasen, pflanzte Bäume und baute Honigpumpen. Solche Typen wie Beuys gibt es im heutigen Kunstbetrieb nicht mehr, sagt der Journalist und Kunstkritiker Hanno Rauterberg.

Hanno Rauterberg im Gespräch mit Katja Lückert | 12.05.2011
    Katja Lückert: Wärme und Kälte als polare Grundprinzipien, da treffen sich Horst Ademeit, von dem gleich noch die Rede sein wird, und Joseph Beuys. Beuys ordnete diesen Prinzipien Materialien wie Fett, Honig oder Filz zu, er sprach mit toten Hasen, er pflanzte Bäume und baute Honigpumpen, er machte überhaupt eine Menge Dinge, die die Frage, "ist das Kunst?", rechtfertigen, und trotzdem revolutionierte er die Kunst, sicher auch durch seine ungebrochene mediale Mitteilungsfreude. An den Kunstkritiker Hanno Rauterberg geht die Frage nach ähnlichen Figuren im heutigen Kunstbetrieb. Gibt es sie?

    Hanno Rauterberg: Nein. Ich sehe sie, so weit ich sehe, nicht. Es gab Christoph Schlingensief, der letztes Jahr gestorben ist, der dieses Jahr auf der Biennale in Venedig noch mal groß gewürdigt wird, der auch so diesen Hang zum Missionarischen hatte, vielleicht auch zum Schamanischen, auf jeden Fall auch einen stark esoterischen Anteil hatte, aber vielleicht doch immer etwas gebrochener, etwas selbstironischer auch mit der Kunst und den eigenen Heilsversprechen umgehen konnte als Joseph Beuys. Aber ansonsten sind es eher Figuren, wie Damien Hirst zum Beispiel oder Jeff Kuhns oder der aus Japan stammende Maler Marocami, die sehr viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, allerdings viel weniger in einem politischen Sinne, oder in einem verheißenden Sinne, sondern mit ihren ökonomischen Themen, die sie umtreiben.

    Lückert: Und woran liegt das? Weil es keine Künstler mit Beuys religiösem Absolutheitsanspruch gibt?

    Rauterberg: Ja, es stimmt bestimmt, dass es so einer gewissen Aura bedarf, und das hat nicht jeder und das kann man auch nicht erzwingen. Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass unsere Gesellschaft sich verwandelt hat. Wir haben es ja heute gehört: Der erste Grüne ist Ministerpräsident geworden in Baden-Württemberg, und das ist natürlich etwas, für das Joseph Beuys immer auch eingestanden hat - er war ja Mitbegründer der Grünen-Partei -, also bestimmte Inhalte auch in politische Arbeit umzusetzen. Damals war das noch etwas sehr fremdes. Wir alle kennen die kuriosen Bilder von den bärtigen Männern und den Strickpullis und all das, und ähnlich muss man sich, glaube ich, auch die Situation für viele Künstler jener Zeit vorstellen, die tatsächlich Außenseiter waren, die provozierten, die immer wieder auch von den Boulevard-Medien geschmäht werden. Heute ist das ganz anders. Heute hat sich die Gesellschaft tatsächlich liberalisiert. Und das, was wir eben gehört haben, dass jeder Mensch ein Künstler sei, das ist fast schon Common Sense geworden. Jedenfalls gilt ja heute die kreative Klasse als große Wirtschaftsmacht, als das große Potenzial, und ganze Städte setzen darauf, diese creative industries für sich nutzbar zu machen anstelle der klassischen Industrien. Also in gewisser Weise könnte man sagen, die Avantgarde hat gesiegt, Joseph Beuys hat recht behalten mit bestimmten Dingen, auch wenn er sich heute wahrscheinlich unwohler fühlen würde denn je im Kunstbetrieb.

    Lückert: Würden Sie denn auch folgern, dass wir heute im Museum mehr Tröstung als Aufregung suchen?

    Rauterberg: Ja, wobei er ja nie dafür stand, jetzt vordergründig Skandale provozieren zu wollen. Das unterscheidet ihn auch von Künstlern wie Santiago Sierra zum Beispiel, der heute eher dafür steht, große Schlachten schlagen zu wollen und den Leuten mal eins auswischen zu wollen, sondern er war ja eher jemand, der das Politische verband mit einer starken Sinnlichkeit und auch durchaus eben mit der Verheißung, dass die Kunst so etwas wie Heilung, gesellschaftliche Heilung vollbringen kann. Ich glaube, das, dieses missionarische Element, das ist heute kaum noch in der Kunst vorhanden. Die Leute gehen weniger ins Museum, um nach Sinn zu suchen, oder sich davon Heilung zu erhoffen, sondern weil sie mit dabei sein wollen. Die Kunst ist vielmehr etwas, was so dem Unterhaltungssektor heute zugehört, als das vielleicht vor 20, 30 Jahren der Fall war.

    Lückert: Zeremonien für Körper und Geist und die ewige Sinnsuche waren Beuys Themen, und dazu dieser Schuss Rätselhaftigkeit. Was bleibt heute von der oft vergänglichen Kunst eines Joseph Beuys?

    Rauterberg: Das ist eine Frage, die bei jeder Beuys-Ausstellung gestellt wird.

    Lückert: Einmal mehr!

    Rauterberg: Gibt es Beuys eigentlich ohne Beuys? – Es zeigt sich aber, dass in den verschiedenen Ausstellungen, die es ja in den letzten Jahren immer wieder gegeben hat, es ein großes Interesse gibt daran, also auch gerade bei den jüngeren gibt, ohne dass diese allerdings in diesen Gestus verfielen. Das merkt man schon, dass es eine Sensibilität gibt, ein Interesse gibt auch an den Materialien, wie er mit Materialien umgegangen ist, auch für die politische Arbeit. Aber diese Heilsfigur, die will heute, glaube ich, keiner mehr spielen, und ich glaube, das ist auch ganz gut so, denn das ist eine Überschätzung der Kunst und die Kunst mutet sich etwas zu, was sie am Ende dann nicht erfüllen kann. Dieses Moment der Enttäuschung ist, glaube ich, für alle Seiten nicht besonders erfreulich.

    Lückert: Er ist also fast ein wenig überflüssig geworden, ein Künstler wie Beuys?

    Rauterberg: Ich glaube, dass diese Starfigur nicht mehr so funktioniert, aber das ist etwas, was nicht nur in der Kunst so ist, sondern in allen Sparten, glaube ich, dass dieser Übervater sich offensichtlich erübrigt hat, was auch damit zu tun hat, dass die Szenen innerhalb der jeweiligen Genres sich stark verkleinert haben und sich stark aufeinander beziehen. Dieses Führerprinzip, das er ja in gewisser Weise durchaus mit großer Ambivalenz auch für sich verkörpert hat, das ist etwas, was heute, glaube ich, auch nicht mehr so groß gefragt wird, dafür gibt es halt viel stärker diese Art von Massenkreativität, und wenn wir an YouTube denken beispielsweise, an die unterschiedlichsten Plattformen, auf denen heute Leute ihre Ideen ausleben und öffentlich machen, dann ist das etwas, was man durchaus als das Erbe von Joseph Beuys bezeichnen könnte.

    Lückert: Das war der Kunstkritiker der Zeit, Hanno Rauterberg, über Joseph Beuys, der heute 90 Jahre alt geworden wäre.