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"Diese Kinder, wenn die sich weigern mitzumachen, werden sie auf der Stelle erschossen"

Es ist das ewig gleiche Bild, ein "30-jähriger Krieg", wie der Autor Hans Christoph Buch sagt: Regierung gegen Milizen, zur Schusswaffe gezwungene Kinder im Kongo. Die Bemühungen der EU haben wohl nicht gefruchtet - der Konflikt eskaliert.

Hans Christoph Buch im Gespräch mit Karin Fischer | 01.11.2008
    Karin Fischer: Immer wieder neu schockierend und schrecklich sind die Nachrichten aus Kriegs- und Krisengebieten, wenn sie von Massakern an Unschuldigen oder Unbeteiligten handeln. Derzeit erreichen uns solche Nachrichten aus Ostkongo, wo der Warlord und Herrscher über eine Rebellenmiliz Laurent Nkunda gegen die Armee von Präsident Kabila kämpft. Das Schlachtfeld ist so kompliziert wie die Verhältnisse dort, denn Nkunda, der sich als Beschützer und Befreier der Tutsi-Minderheit in Ostkongo sieht, profitiert von der Unterstützung aus Ruanda genauso wie von den Bodenschätzen, die er im eigenen Land ausbeutet. Dennoch, und auch wenn die Waffenruhe dort seit gestern hält, lautet die Frage, warum unmenschliche Gewaltexzesse, Vergewaltigung oder das Abhacken von Köpfen und Händen auch im 21. Jahrhundert sozusagen zum Repertoire gehören. Vor der Sendung habe ich sie Hans Christoph Buch gestellt, dem weit gereisten Schriftsteller und Afrikaexperten.

    Hans Christoph Buch: Ja, ich würde zunächst mal sagen, dass dort eine Art 30-jähriger Krieg stattfindet. Nicht nur im Osten des Kongo, sondern in weiten Teilen Afrikas flammt dieser Krieg immer wieder auf mit Kindersoldaten, die zwangsrekrutiert wurden, Plünderungen, Vergewaltigungen und den von ihnen geschilderten Grausamkeiten, die wir auch im Simplicissimus beschrieben finden. Also gab es so was auch mal in Europa. Und die Armee des Kongo ist selbst nur eine Kriegspartei, sie unterscheidet sich nicht von den plündernden und mordenden Milizen, denn sie wird von der Zentralregierung entsandt irgendwohin und dann vergessen. Das heißt, sie wird nicht bezahlt, sie bekommt nicht regelmäßig ihren Sold, kein Wunder, dass dann gestohlen wird. Und ich habe selbst erlebt, wie Kinder gezwungen wurden, Lasten zu tragen von diesen Milizen. Und diese Kinder, wenn die sich weigern mitzumachen, werden sie auf der Stelle erschossen, sogar vor den Augen von Entwicklungshelfern, mit denen ich damals unterwegs war. Wir konnten nichts machen und auch die UNO-Truppe, die dort immerhin mit 17.000 Mann stationiert ist, greift nicht ein, sondern beschränkt sich darauf, Berichte zu schreiben und mehr Geld und Aufstockung ihrer Personalstärke zu verlangen.

    Fischer: Sie haben von einem 30-jährigen Krieg gesprochen. Vor zwei Jahren ziemlich genau wurde ja Ähnliches auch schon aus Ostkongo berichtet, und gerade ist bei uns der Film "Anonyma" angelaufen. Die Buchvorlage berichtet von den massiven Vergewaltigungen in Berlin nach Kriegsende. Das ist ja auch ein Hinweis darauf, dass es sich hier nicht um ein abstraktes Böses handelt, was sich Bahn bricht, sondern dass Terror und Traumatisierung nach wie vor Machtstrategie sind.

    Buch: Ja, aber das gehört zu Kriegen weltweit dazu. Es ist nur in Vergessenheit geraten. Sie erwähnten ja die "Anonyma", also gab das auch mal hierzulande.

    Fischer: Hans Christoph Buch, trotz der widersprüchlichen Anmutung sprechen Soziologen ja durchaus von einer Kultur der Gewalt. Ist das ein Begriff, mit dem die Prozesse in Afrika irgendwie plausibel zu fassen wären? Immerhin sind bei der Ausbeutung durch die Belgier zwischen 1888 und 1908 rund zehn Millionen Kongolesen getötet worden.

    Buch: Ja, der Kongo war immer ein extremes Beispiel dieser Gewalt. Stichwort "Herbst der Finsternis" von Joseph Conrad. Aber die Gewalt ist nicht den Menschen angeboren, die haben die nicht in ihren Genen. Es waren die Belgier, Sie haben es gesagt. Und heute sind es die hoch gerüsteten Nachbarländer, Ruanda und Uganda, und die plündern die Bodenschätze im Osten des Kongo aus. Man muss auch wissen, das ist ein zerfallender Staat, der Kongo, der sein eigenes Territorium nicht mehr kontrollieren kann. Die Regierung sitzt weit weg in Kinshasa und da geht nun dieser Krieg weiter, der im Übrigen mehr Tote gefordert hat von jetzt als der Völkermord in Ruanda, aber nicht richtig ins Bewusstsein dringt, weil er zu schwer zu verstehen und zu schwer zu erklären ist. Aber noch mal, es ist keine Ursache einer menschlichen Aggressivität, die den Menschen dort angeboren wäre.

    Fischer: Weil Sie gerade Ruanda ansprechen, heute weiß man ja, dass mit 3000 bis 5000 mehr Mann, zum Beispiel amerikanischen Soldaten, der Völkermord damals hätte verhindert werden können. Und es scheiterte an der Begrifflichkeit, nämlich dieses Geschehen als Völkermord zu bezeichnen. Ist das ein ähnlicher Fall hier?

    Buch: Ja, auch hier könnte durch Eingreifen von außen das Schlimmste verhindert werden. Aber dazu müsste man politisch umdenken und müsste aufhören, Ruanda, eine Militärdiktatur zu unterstützen. Und dieses Militärregime erpresst den Westen, insbesondere die USA bis heute immer wieder mit Hinblick auf den Völkermord, wo wir alle ein schlechtes Gewissen haben. Aber der Völkermord geht weiter. Und nach Schätzungen von Hilfsorganisationen sind im Kongo inzwischen diesen Kämpfen mehr Menschen zum Opfer gefallen als in Ruanda selbst damals. Das heißt jetzt nicht, den Kämpfen heute, sondern in den letzten zehn, zwölf Jahren. Und wir schauen wieder mal weg.

    Fischer: Hans Christoph Buch war das über die Gewalt im Kongo.