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"Diese Länder müssen wieder auf eine gesunde Basis kommen"

Die Hilfe für Irland ist in den Augen des Finanzexperten Thomas Straubhaar zwiespältig, kurzfristig aber alternativlos. Da Irland kein Einzelfall sei, müssten mittel- und längerfristig klare Auflagen gelten und Sanktionen drohen, fordert der Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts.

Thomas Straubhaar im Gespräch mit Martin Zagatta | 22.11.2010
    Martin Zagatta: Der irische Premierminister Brian Cowen mit der Mitteilung gestern Abend, dass sich seine Regierung nun doch noch entschieden hat, EU-Finanzhilfen anzufordern. Die Finanzminister Europas haben das Rettungspaket für Irland prinzipiell auch schon beschlossen. Über die Bedingungen wird noch verhandelt, aber bei dem Rettungsplan geht es offenbar um mehr als 100 Milliarden Euro.

    Verbunden sind wir jetzt mit Thomas Straubhaar, dem Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts. Guten Tag, Herr Straubhaar.

    Thomas Straubhaar: Guten Tag, Herr Zagatta.

    Zagatta: Herr Straubhaar, wir haben es in dem Bericht gerade gehört: Die Zinsen für Irland-Anleihen sind etwas gefallen. Für die deutschen Anleihen dagegen sind sie nach oben gegangen. Ist das der Beleg dafür, dass diese Hilfe sehr zweischneidig ist?

    Straubhaar: Natürlich ist diese Hilfe sehr zweischneidig, weil es ist letztlich ein Bail-out, also ein Rauskaufen eines Problems eines einzelnen Staates, in diesem Falle Irlands, durch die anderen Euro-Länder. Das war ursprünglich so beim Euro nicht geplant gewesen, das hätte eigentlich nicht geschehen dürfen, und deshalb ist es zweischneidig. Auf der anderen Seite blieb in der heutigen Situation, denke ich, nichts anderes übrig, als eben diesen Bail-out, dieses Rauskaufen aus der Verantwortung für Irland zu übernehmen.

    Zagatta: Ist das aber mehr als kurzfristig? Bringt das den Euro nicht wieder in Gefahr?

    Straubhaar: Es ist eine sehr kurzfristige Maßnahme, völlig richtig. Es wird kurzfristig helfen, den Euro zu stabilisieren, wobei das ja eigentlich gar nicht das Ziel einer solchen Aktion sein darf, sondern das Ziel muss ja sein, mittel- und längerfristig verhindern zu können, dass eben einzelne Länder dann andere in einer Art Domino-Effekt mit in eine Krise ziehen, wenn diese einzelnen Länder ihre Staatshaushalte nicht in Ordnung kriegen. Von daher gesehen ist es jetzt kurzfristig sozusagen alternativlos, aber mittel- und längerfristig wird kein Weg daran vorbei führen, erstens den einzelnen Ländern klarere Auflagen zu machen, was sie mit ihren Staatshaushalten tun sollen, und zweitens daneben auch entsprechende Sanktionen einzusetzen.

    Zagatta: Das dürfte aber jetzt schon selbst im Fall Irland schwer werden. Während wir jetzt aus Brüssel hören, dass man Druck ausüben müssen auf die irische Regierung, die Steuern möglicherweise zu erhöhen – aus Berlin sind ähnliche Töne zu hören -, sagt die irische Regierung, so zumindest berichtet unser Korrespondent aus Irland, dass eine Anhebung der Unternehmenssteuern nach wie vor überhaupt nicht zur Debatte stehe.

    Straubhaar: Das kann ich auch gut verstehen, weil letztlich eben diese Probleme der maroden Staatshaushalte in den peripheren europäischen Ländern gar nicht kurzfristig gelöst werden können. Kurzfristig gibt es keine einfache Lösung, deshalb, weil wenn sie jetzt beispielsweise wie berichtet Steuern anheben sollten, dann heißt das ja nichts anderes, als dass sie dann doch wiederum Investitionen verteuern. Wenn Investitionen teuerer werden, aus diesem Grunde als Folge höherer Unternehmensbesteuerung, dann wird weniger investiert. Wenn weniger investiert wird, werden weniger neue Arbeitsplätze dann auch geschaffen werden können, die wettbewerbsfähig sind, und das ist so wie ein Teufelskreis.

    Genau dasselbe ist, wenn der Staat seine Ausgaben zurücknehmen würde. Das würde kurzfristig auch konjunkturelle negative Wirkungen auslösen.

    Das heißt, mittel- und langfristig wird nur Wachstum helfen. Diese Länder müssen wieder auf eine gesunde Basis kommen, um langfristig wachsen zu können, und dafür, denke ich, muss jetzt die Voraussetzung geschaffen werden. Und so leid es mir tut, so schwer das ist zu akzeptieren: Dieser Rettungsschirm ist ein erster Schritt auf einem langen Weg.

    Zagatta: Wie dramatisch sehen Sie das, auch angesichts der Diskussion um diesen Weg? Der EU-Ratspräsident van Rompuy hat ja gesagt, die Euro-Zone, die EU kämpfe gar ums Überleben.

    Straubhaar: Das ist deshalb nicht völlig von der Hand zu weisen, weil ja Irland nicht das einzige Sorgenland ist. Griechenland hatten wir in diesem Frühjahr. Die Verflochtenheit zwischen Schuldnern und Gläubigern innerhalb der Euro-Zone ist jedoch so stark, dass natürlich mit Irland auch andere Länder wie beispielsweise Großbritannien, obschon nicht Euro-Land, jetzt involviert sein wird. Es werden Frankreich, Deutschland ganz genau hinschauen müssen, aber dann auch Portugal, Spanien, vielleicht sogar Italien haben im nächsten, übernächsten Jahr ähnliche Probleme der Refinanzierung ihrer Staatshaushalte.

    Allerdings noch einmal: Ich denke, an einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone kann niemand Interesse haben. Was es letztlich bedeutet, wenn ein Land sich selber nicht mehr refinanzieren kann, wissen wir gerade in Deutschland. Ostdeutschland mit der DDR ist ein Beispiel, was es heißt, wenn eben ein Staat bankrott ist, wie er dann sozusagen seinen Niedergang nicht mehr aufhalten kann. Das können wir nicht wollen und deshalb ist es richtig, einzelnen Ländern im Übergang zu helfen.

    Zagatta: Was heißt das mittelfristig auf europäischer Ebene? Muss da der Stabilitätspakt verschärft werden, oder wie kann man aus dieser Situation überhaupt mittelfristig herauskommen?

    Straubhaar: Ja, wobei wir natürlich gesehen haben, dass selbst dieser Stabilitätspakt, den wir ja hatten – es ist ja nicht so, dass wir keine Sanktionen und Lösungen und Vorschriften gehabt hätten ...

    Zagatta: Aber der wurde ja fast nie umgesetzt. An den hat sich ja nie jemand richtig gehalten.

    Straubhaar: Eben, genau! Ganz genau, und das ist ja das Problem, das wir so was hatten und es wird nicht in der Realität umgesetzt, und das zeigt, dass alleine Worte nicht helfen. Andererseits natürlich: Jetzt ist völlig klar, ist auch für die einzelnen Regierungen in Irland oder Griechenland es ein Tick einfacher, ihren Wählerinnen und Wählern bittere Medizin zu verschreiben, weil sie dann immer sagen können, es sind nicht wir in Dublin oder in Athen, sondern es sind jene in Brüssel oder in Frankfurt, die uns dazu zwingen, und das hilft dann vielleicht eher, notwendige Strukturreformen anzuschieben. Aber Sie haben recht, das Papier ist das eine, Papier ist geduldig. Jetzt, denke ich, wird der Tatbeweis dann sichtbar werden, wenn jetzt mit neuen Stabilitätskriterien dann wirklich der Lackmustest ist, werden sie angewandt, wenn dann wiederum ein Land in Probleme kommen sollte.

    Zagatta: Sind Sie denn da optimistisch, denn da wird ja der deutschen Bundeskanzlerin gerade vorgeworfen, als es um den Stabilitätspakt ging, in diesen Verhandlungen mit Frankreich, in diesen vorbereitenden Verhandlungen für diesen Stabilitätspakt, da einen Rückzieher gemacht zu haben?

    Straubhaar: Ja, wobei man darf es sich eben auch nicht allzu einfach machen. Gerade diejenigen, die jetzt auch sehr schnell mit Kritik zur Hand sind, müssen einfach ganz klar erkennen, dass hier die Verflochtenheit in erstens einem europäischen Binnenmarkt und zweitens innerhalb der Euro-Zone derart gravierend, derart stark ist, was uns ja auch die letzten zehn, 15 Jahre enorm geholfen hat und Wachstum in Deutschland produziert hat und Arbeitsplätze geschaffen und gesichert hat, dass es eben nicht so einfach ist, jetzt zu sagen, wir lassen uns bei Verhandlungen nicht über den Tisch ziehen, da muss es zu einem Kompromiss kommen. Kompromisse sind immer ein Optimum und nicht ein Maximum für einzelne Regierungen. Deshalb denke ich, es ist ein unglaublich schwieriger Weg auf einem sehr, sehr schmalen Grat, der aber, denke ich, alles in allem von den Regierungschefs und auch von Frau Merkel mit der notwendigen Entschlossenheit und auch dem Bewusstsein, dass man scheitern kann, jetzt gegangen worden ist.

    Zagatta: Das war Thomas Straubhaar, der Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts. Herr Straubhaar, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Straubhaar: Gerne geschehen.