"Es geht mir darum, dass die Menschen Afrikas in erster Linie, und die Menschheit überhaupt zu verstehen anfängt, dass die Sprache nicht etwas Überflüssiges ist. Dass Sprache und Sprachpolitik im Grunde über das Leben und die Lebenschancen von Menschen tatsächlich entscheiden. ... und natürlich geht es mir darum, wie wir Strategien ausarbeiten können, damit wir den elitären Folgen der neokolonialistischen Sprachenpolitik der afrikanischen Staaten ... entgegenwirken."
Neville Alexander von der Universität Kapstadt, einst Kämpfer gegen das rassistische Apartheid-Regime in seiner Heimat, ist seit den 80er-Jahren auf dem Feld der Sprach- und Bildungspolitik in Südafrika aktiv. Dass die Afrikanisten ihn zum Eröffnungsvortrag beim ihrem Weltkongress nach Köln eingeladen haben, ist ein klares Signal. Die Erforschung der afrikanischen Sprachen kann noch weniger eine rein akademische Angelegenheit darstellen als irgendein anderes wissenschaftliches Unternehmen: "Afrikanische Sprachwissenschaft für Verständigung und Fortschritt" lautet deshalb das Generalthema und zugleich das Motto des 6. Weltkongresses, so der Soziolinguist Matthias Brenzinger, der an der Universität Köln Afrikanistik lehrt und den Kongress leitet.
"Das Thema soll uns den gesellschaftlichen Rahmen, in dem wir arbeiten, veranschaulichen und bewusst machen, ... wir als Afrikanisten haben da eine besondere Verantwortung, weil wir auf einem Kontinent arbeiten, der ganz extrem noch Unterstützung erfordert, der zum Teil durch unsere westliche Vergangenheit, durch Ausbeutung, durch Kolonialismus in diese Situation geraten ist, und ich denke, dass wir durch unsere Arbeit helfen müssen und können, das eben zu verändern."
Dazu gehört auch, das Bild der afrikanischen Sprachen in der Öffentlichkeit gerade zu rücken, und endlich jenes Klischee von den vermeintlich primitiven Stammesdialekten aus der Welt zu schaffen.
"Diese Sprachen sind komplexe Sprachen, da wird immer wieder volkstümlich immer gedacht, das sind einfache Sprachen, weil die nicht verschriftet sind, aber das ist nicht der Fall, und diese über 2000 Sprachen sind Gegenstand der Afrikanistik, das heißt die Untersuchung, Dokumentation, auch die Unterstützung von Gemeinschaften, die ihre Sprachen verschriften wollen, ... um muttersprachlichen Unterricht zu machen, das sind Aufgaben, wo Sprachwissenschaftler gefordert sind, das heißt ihre theoretischen Arbeiten - Grammatiken, Lexika, die sie erstellen - müssen auch der Bevölkerung zugänglich gemacht und in einer Form präsentiert werden, dass sie praktisch einsetzbar sind."
Seit den willkürlichen Grenzziehungen der Kolonialmächte herrscht in weiten Teilen Afrikas eine sogenannte Triglossie, ein seltsames Dreisprachengemisch. Da gibt es erstens die einheimischen Sprachen der Volksgruppen, das sind die eigentlichen Muttersprachen, die aber politisch wenig respektiert sind, daneben gibt es zweitens weitverbreitete afrikanische Verkehrssprachen wie Kisuaheli in Ostafrika oder Haussa und Fulfulde im Westen. Und drittens die Kolonialsprachen, die auch nach der Unabhängigkeit in den meisten Ländern weiterhin als Amts-, Gerichts- und auch als Unterrichtssprache verwendet werden.
Hier setzt die Kritik von Neville Alexander konkret an. Die Schulsprachenpolitik sei ein fataler Fehler.
"In den meisten Ländern wird die Muttersprache, wenn überhaupt, nur für zwei, drei Jahre, höchstens vier als Unterrichtssprache benutzt, und dann sollen die Kinder auf die europäische Sprache, hauptsächlich Englisch oder Französisch und natürlich auch Portugiesisch in den ehemaligen portugiesischen Kolonien übergehen, wo diese europäischen Sprachen als Unterrichtssprachen benutzt werden.
Die Folgen sind ganz klar: Die ganzen Bildungssysteme sind untauglich geworden, die meisten Kinder erreichen nicht mal die Sekundarstufe, geschweige denn die tertiäre Bildung, also Universitätsausbildung, ... und das müssen wir ändern."
Die Bevorzugung der Kolonialsprachen sei ein Desaster - kultur- und sozialpolitisch, weil es die europäisierten Eliten bevorzugt, die breite Bevölkerung jedoch von der Bildung ausschließt; aber auch ökonomisch ein Desaster, weil ein beträchtlicher Anteil der Staatsausgaben für Lehrergehälter uneffizient verpufft. Dass es auch anders geht, so Neville Alexander, zeige die Förderung seiner eigenen Muttersprache Afrikaans.
"in Südafrika haben wir das Beispiel von Afrikaans ... innerhalb von 50 Jahren ist diese Sprache, die überhaupt keinen Status hatte, zu einer Universitäts- und zu einer Wissenschaftssprache entwickelt worden.
Und wir sehen das auch bei Kisuaheli, das ist durchaus möglich, und ich glaube, ... dass in Ländern wie Tansania und Kenia auch tatsächlich ganz wichtige Bewegungen in diese Richtung entstanden sind."
Nicht nur im Bildungswesen, auch in der Entwicklung der Wirtschaft sei die Förderung der einheimischen Sprachen ein unabdingbarer Bestandteil.
"Wir sind dabei, in Südafrika zum Beispiel, ganz bestimmte Forschungen zu machen über die Beziehung zwischen Sprache und Ökonomie, und wir wollen beweisen, haben es teilweise schon bewiesen, dass eine Kombination, eine multilinguale Sprachenpolitik, am Arbeitsplatz ... viel effizienter ist, dass es Produktivität steigern kann, als eine Sprachenpolitik, wo nur Englisch oder nur Französisch oder nur Portugiesisch benutzt wird."
Aus anderen Bereichen berichtet der amerikanische Wissenschaftler Jim Bennett. Ausgebildet in Germanistik, Politologie und Agrarwirtschaft, bewegt sich Bennett vor allem in der Praxis vor Ort, dort wo Sprache im sozialen Kontext steht. Bennett arbeitet in der Beratung und Durchführung von entwicklungspolitischen Projekten. Da geht es um Armutsbekämpfung, aber auch um Minderheitenschutz und die Sicherung der Menschenrechte.
Jim Bennett:
"Ich arbeite sehr viel in Guinea, das ist in Westafrika, ... die offizielle Sprache ist dort Französisch, es gibt auch viele andere Sprachen im Land, sodass die normalen Bürger des Landes gar nicht verstehen, welche Politik dort gemacht wird, weder im Bereich Armutsbekämpfung noch speziell im Bereich der Menschenrechte. Dort habe ich in einem Projekt der GTZ gearbeitet, wo es unter anderem darum ging, diese Politik zu übersetzen in die Nationalsprachen und auch in ein paar kleinere Sprachen, dort wurde von uns ein Glossar hergestellt, das die wichtigsten Begriffe dieser Politik so vermittelt, dass die Menschen verstehen konnten, welche Menschenrechte ihnen zustehen, und wie sie diese Menschenrechte unter Umständen einklagen können."
Freie persönliche Entfaltung, Teilnahme an der Gesellschaft, individuelle und kollektive Weiterentwicklung – das alles setzt sprachliche Integration voraus. Was uns Europäern lange Zeit selbstverständlich schien, und als Einsicht erst wieder mit dem Zustrom unzureichend integrierter Migranten bewusst wird, das ist in Afrika, wohin man auch schaut, als Problem allgegenwärtig.
Jim Bennett:
"Im Bereich Landwirtschaft zum Beispiel: Man versucht den Landwirten beizubringen, wie man besser ökologisch anbaut, dort kann man aber nur bestimmte Inhalte vermitteln, wenn man es in ihren Sprachen vermittelt, das sind selten die Hauptsprachen des Landes und ganz selten die europäischen Sprachen.
Zweitens im Bereich Gesundheit: wenn jemand ein Krankenhaus besucht und gar nicht erklären kann, was er für eine Krankheit hat, weil der Arzt die Sprache nicht spricht, dann hat man sehr wenig Aussicht auf Heilung."
Welche der vielen kleinen afrikanischen Sprachen werden gefördert? Wohin gehen die Forschungsgelder?
Auch das sind Fragen, die sich die Wissenschaftler stellen sollten.
Auf dem Weltkongress in Köln begegnet man nicht nur Europäern und Amerikanern unter den Afrikanisten, sondern auch vielen Afrikanern. Das ist ein Schritt auf dem weiten Weg zur Ebenbürtigkeit auch in der Wissenschaft, zumal dort, wo es um die Erforschung der eigenen Sprache und Kultur geht.
Denn wie Neville Alexander überzeugt erklärt:
"In der Geschichte der Menschheit hat jeder auf den Schultern der anderen gestanden. Nur so war Fortschritt möglich."
Neville Alexander von der Universität Kapstadt, einst Kämpfer gegen das rassistische Apartheid-Regime in seiner Heimat, ist seit den 80er-Jahren auf dem Feld der Sprach- und Bildungspolitik in Südafrika aktiv. Dass die Afrikanisten ihn zum Eröffnungsvortrag beim ihrem Weltkongress nach Köln eingeladen haben, ist ein klares Signal. Die Erforschung der afrikanischen Sprachen kann noch weniger eine rein akademische Angelegenheit darstellen als irgendein anderes wissenschaftliches Unternehmen: "Afrikanische Sprachwissenschaft für Verständigung und Fortschritt" lautet deshalb das Generalthema und zugleich das Motto des 6. Weltkongresses, so der Soziolinguist Matthias Brenzinger, der an der Universität Köln Afrikanistik lehrt und den Kongress leitet.
"Das Thema soll uns den gesellschaftlichen Rahmen, in dem wir arbeiten, veranschaulichen und bewusst machen, ... wir als Afrikanisten haben da eine besondere Verantwortung, weil wir auf einem Kontinent arbeiten, der ganz extrem noch Unterstützung erfordert, der zum Teil durch unsere westliche Vergangenheit, durch Ausbeutung, durch Kolonialismus in diese Situation geraten ist, und ich denke, dass wir durch unsere Arbeit helfen müssen und können, das eben zu verändern."
Dazu gehört auch, das Bild der afrikanischen Sprachen in der Öffentlichkeit gerade zu rücken, und endlich jenes Klischee von den vermeintlich primitiven Stammesdialekten aus der Welt zu schaffen.
"Diese Sprachen sind komplexe Sprachen, da wird immer wieder volkstümlich immer gedacht, das sind einfache Sprachen, weil die nicht verschriftet sind, aber das ist nicht der Fall, und diese über 2000 Sprachen sind Gegenstand der Afrikanistik, das heißt die Untersuchung, Dokumentation, auch die Unterstützung von Gemeinschaften, die ihre Sprachen verschriften wollen, ... um muttersprachlichen Unterricht zu machen, das sind Aufgaben, wo Sprachwissenschaftler gefordert sind, das heißt ihre theoretischen Arbeiten - Grammatiken, Lexika, die sie erstellen - müssen auch der Bevölkerung zugänglich gemacht und in einer Form präsentiert werden, dass sie praktisch einsetzbar sind."
Seit den willkürlichen Grenzziehungen der Kolonialmächte herrscht in weiten Teilen Afrikas eine sogenannte Triglossie, ein seltsames Dreisprachengemisch. Da gibt es erstens die einheimischen Sprachen der Volksgruppen, das sind die eigentlichen Muttersprachen, die aber politisch wenig respektiert sind, daneben gibt es zweitens weitverbreitete afrikanische Verkehrssprachen wie Kisuaheli in Ostafrika oder Haussa und Fulfulde im Westen. Und drittens die Kolonialsprachen, die auch nach der Unabhängigkeit in den meisten Ländern weiterhin als Amts-, Gerichts- und auch als Unterrichtssprache verwendet werden.
Hier setzt die Kritik von Neville Alexander konkret an. Die Schulsprachenpolitik sei ein fataler Fehler.
"In den meisten Ländern wird die Muttersprache, wenn überhaupt, nur für zwei, drei Jahre, höchstens vier als Unterrichtssprache benutzt, und dann sollen die Kinder auf die europäische Sprache, hauptsächlich Englisch oder Französisch und natürlich auch Portugiesisch in den ehemaligen portugiesischen Kolonien übergehen, wo diese europäischen Sprachen als Unterrichtssprachen benutzt werden.
Die Folgen sind ganz klar: Die ganzen Bildungssysteme sind untauglich geworden, die meisten Kinder erreichen nicht mal die Sekundarstufe, geschweige denn die tertiäre Bildung, also Universitätsausbildung, ... und das müssen wir ändern."
Die Bevorzugung der Kolonialsprachen sei ein Desaster - kultur- und sozialpolitisch, weil es die europäisierten Eliten bevorzugt, die breite Bevölkerung jedoch von der Bildung ausschließt; aber auch ökonomisch ein Desaster, weil ein beträchtlicher Anteil der Staatsausgaben für Lehrergehälter uneffizient verpufft. Dass es auch anders geht, so Neville Alexander, zeige die Förderung seiner eigenen Muttersprache Afrikaans.
"in Südafrika haben wir das Beispiel von Afrikaans ... innerhalb von 50 Jahren ist diese Sprache, die überhaupt keinen Status hatte, zu einer Universitäts- und zu einer Wissenschaftssprache entwickelt worden.
Und wir sehen das auch bei Kisuaheli, das ist durchaus möglich, und ich glaube, ... dass in Ländern wie Tansania und Kenia auch tatsächlich ganz wichtige Bewegungen in diese Richtung entstanden sind."
Nicht nur im Bildungswesen, auch in der Entwicklung der Wirtschaft sei die Förderung der einheimischen Sprachen ein unabdingbarer Bestandteil.
"Wir sind dabei, in Südafrika zum Beispiel, ganz bestimmte Forschungen zu machen über die Beziehung zwischen Sprache und Ökonomie, und wir wollen beweisen, haben es teilweise schon bewiesen, dass eine Kombination, eine multilinguale Sprachenpolitik, am Arbeitsplatz ... viel effizienter ist, dass es Produktivität steigern kann, als eine Sprachenpolitik, wo nur Englisch oder nur Französisch oder nur Portugiesisch benutzt wird."
Aus anderen Bereichen berichtet der amerikanische Wissenschaftler Jim Bennett. Ausgebildet in Germanistik, Politologie und Agrarwirtschaft, bewegt sich Bennett vor allem in der Praxis vor Ort, dort wo Sprache im sozialen Kontext steht. Bennett arbeitet in der Beratung und Durchführung von entwicklungspolitischen Projekten. Da geht es um Armutsbekämpfung, aber auch um Minderheitenschutz und die Sicherung der Menschenrechte.
Jim Bennett:
"Ich arbeite sehr viel in Guinea, das ist in Westafrika, ... die offizielle Sprache ist dort Französisch, es gibt auch viele andere Sprachen im Land, sodass die normalen Bürger des Landes gar nicht verstehen, welche Politik dort gemacht wird, weder im Bereich Armutsbekämpfung noch speziell im Bereich der Menschenrechte. Dort habe ich in einem Projekt der GTZ gearbeitet, wo es unter anderem darum ging, diese Politik zu übersetzen in die Nationalsprachen und auch in ein paar kleinere Sprachen, dort wurde von uns ein Glossar hergestellt, das die wichtigsten Begriffe dieser Politik so vermittelt, dass die Menschen verstehen konnten, welche Menschenrechte ihnen zustehen, und wie sie diese Menschenrechte unter Umständen einklagen können."
Freie persönliche Entfaltung, Teilnahme an der Gesellschaft, individuelle und kollektive Weiterentwicklung – das alles setzt sprachliche Integration voraus. Was uns Europäern lange Zeit selbstverständlich schien, und als Einsicht erst wieder mit dem Zustrom unzureichend integrierter Migranten bewusst wird, das ist in Afrika, wohin man auch schaut, als Problem allgegenwärtig.
Jim Bennett:
"Im Bereich Landwirtschaft zum Beispiel: Man versucht den Landwirten beizubringen, wie man besser ökologisch anbaut, dort kann man aber nur bestimmte Inhalte vermitteln, wenn man es in ihren Sprachen vermittelt, das sind selten die Hauptsprachen des Landes und ganz selten die europäischen Sprachen.
Zweitens im Bereich Gesundheit: wenn jemand ein Krankenhaus besucht und gar nicht erklären kann, was er für eine Krankheit hat, weil der Arzt die Sprache nicht spricht, dann hat man sehr wenig Aussicht auf Heilung."
Welche der vielen kleinen afrikanischen Sprachen werden gefördert? Wohin gehen die Forschungsgelder?
Auch das sind Fragen, die sich die Wissenschaftler stellen sollten.
Auf dem Weltkongress in Köln begegnet man nicht nur Europäern und Amerikanern unter den Afrikanisten, sondern auch vielen Afrikanern. Das ist ein Schritt auf dem weiten Weg zur Ebenbürtigkeit auch in der Wissenschaft, zumal dort, wo es um die Erforschung der eigenen Sprache und Kultur geht.
Denn wie Neville Alexander überzeugt erklärt:
"In der Geschichte der Menschheit hat jeder auf den Schultern der anderen gestanden. Nur so war Fortschritt möglich."