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Diesel - und dann?

Wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig ist das Transportgewerbe auf Öl angewiesen: 96 Prozent des Verkehrs laufen mit Diesel, Benzin oder Kerosin. Immer mehr Forscher sind jedoch überzeugt, dass sich die Förderung des Rohstoffs nicht mehr steigern lässt. Damit drängt die Zeit für eine Entscheidung: Soll man einen Ersatz für Diesel entwickeln - oder die Logistik auf alternative Verkehrsträger umstellen ? Beides dürfte Jahrzehnte dauern.

Von Sönke Gäthke | 26.02.2012
    96 Prozent des Verkehrs in Europa hängen vom Öl ab

    Claudia Kemfert: "Ich denke, 2032 wird es nicht mehr genügend Öl geben, schon lange nicht mehr."

    Axel Friedrich: "Wo ist die Vision im Bereich Verkehr?"

    Kemfert: "Energietechniken brauchen von der Erforschung bis zur Markteinführung, mindestens 20 Jahre."

    Friedrich: "Wenn man keine Visionen hat, kann man auch nicht loslaufen."

    Der LKW – Lastkraftwagen. Der LKW macht Logistikern die Arbeit sehr einfach. Er fährt auf schlechten wie auf guten Wegen, und zur Not sogar querfeldein. Die meisten treibt ein Dieselmotor an. Den Treibstoff gibt es selbst im entlegensten Winkel. In den vergangenen Jahren hat der LKW sich daher zum Universal-Arbeitspferd der Logistik entwickelt: 70 Prozent aller Güter werden mit ihm gefahren.

    Dieser Erfolg ist auf lange Sicht jedoch gefährlich. Denn die Lastwagen haben eine schwache Stelle: Den Treibstoff. Diesel. Der Grundstoff, das Öl, neigt sich irgendwann dem Ende zu. Was übrigens nicht nur LKW treffen wird, sondern auch Schiffe, Flugzeuge und Diesel-Loks. Insgesamt hängen 96 Prozent des Verkehrs in Europa vom Öl ab. Laut EU-Statistik. Kemfert:

    "Ich denke, 2032 wird es nicht mehr genügend Öl geben, schon lange nicht mehr, 2020 wird der Punkt schon erreicht sein, wo das globale Ölangebot nicht mehr ausreicht, um die immer weiter steigende Nachfrage zu decken. Man muss sehen: Energietechniken brauchen von der Erforschung bis zur Markteinführung, bis hin, dass sie auch wirklich in den Markt hineinkommen und sich weltweit etablieren, mindestens 20 Jahre, wenn nicht sogar länger. Das heißt, die Energietechniken, die wir in 20 Jahren hätten, müssten wir heute sozusagen erforschen, an den Markt bringen und auch schon wissen, was das sein kann."

    Es ist also höchste Zeit, einen Ersatz zu finden. Gelingt das den Technikern, dann können die Logistiker ihre heutigen Strukturen beibehalten – wenn nicht, muss man die Logistik ändern. Die Suche nach einem Ersatzstoff für Diesel läuft intensiv. Beinahe jede Woche veröffentlichen Forscher neue Ideen für oder Versuche mit Substituten. Man könnte sogar sagen: Sie sind zu emsig. Man stelle sich vor, wie viele Schläuche eine Zapfsäule morgen haben müsste, wenn all die Ideen auf den Markt kämen:

    Benjamin Schiebler: "Wir nehmen das durchschnittliche Substitutionsverhältnis, 80 Prozent Methan, 20 Prozent Diesel, also Zündkerze. Das bedeutet…"

    Schlauch eins: Methan. Erdgas. Aber tiefgekühlt!

    Stefan Pischinger: "Ich tippe darauf, dass hier Biokraftstoffe in einem Zeitalter nach Erdöl zum tragen kommen. Da bin ich fest von überzeugt."

    Natürlich. Schlauch zwei.

    Lars Rathgeber: "Wir reden hier an der Stelle über ein Dual Fuel auf LPG-Basis, also Liquified Petroleum Gas, das ist das, was bei einer Raffinieranlage entsprechend übrig bleibt."

    LPG-Gas. Und Schlauch vier: Dimethylesther, kurz: DME

    Benjamin Schiebler: "DME wird aus Schwarzlauge gewonnen. Und Volvotrucks sieht hier sehr großes Potential, weil es bei sehr niedrigem Druck flüssig ist und sehr, sehr sauber verbrennt. Und wir können nach wie vor normale Dieselmotoren damit betreiben."

    Die Nummer fünf.

    Stefan Pischinger: "Erdgas ist ja auch eine Möglichkeit, wo man ja auch überlegen kann, Erdgas aus Strom zu erzeugen, ja, also zum Beispiel aus Strom Wasserstoff zu machen, über Elektrolyse, und dann Wasserstoff zu methanisieren…"

    Lutz Eckstein: "Oder eben weiterverarbeiten zu anderen Kraftstoffen, Propan, Butan, Alkohole."

    Das wären dann die Schläuche sechs, sieben und acht. Acht verschiedene Schläuche, acht verschieden Zapfpistolen, für acht verschiedene Treibstoffe. Propagiert von Volvo, MAN, Iveco und Forschern. Eckstein:

    "Ja, aus meiner Sicht ist die Zukunft sehr stark durch Vielfalt geprägt, durch eine Vielfalt, die heute auch im Rahmen des Aachener Kolloquiums schon als technologisches Chaos bezeichnet wurde."

    Experten wie Lutz Eckstein vom Institut für Kraftfahrzeuge der RWTH Aachen rechnen damit, dass dieses "technologische Chaos" nicht nur Folgen für den Güterverkehr haben wird, sondern auch für den Individualverkehr.

    "In dem Moment, wo gerade der Güterfernverkehr uns diese Kraftstoffentwicklung treibt, stehen diese Kraftstoffe natürlich dann auch für die Personenkraftwagen zur Verfügung, und man wird sie auch dort dann einsetzen, in weiter entwickelten Verbrennungskraftmaschinen, die hoch effizient sind, um eben längere Distanzen zu fahren."

    Eckstein: "Technologisches Chaos"

    Kemfert: "Ich denke, 2032 wird es nicht mehr genügend Öl geben."

    Friedrich: "Wo ist die Vision im Bereich Verkehr?"

    Eine Vision? Vielleicht hier: Im "Weißbuch Verkehr" der Europäschen Kommission. Hier steht, wie sich die EU-Bürokratie Verkehr und Logistik im Jahr 2050 vorstellt. Und was sie dafür tun will. Alles unter der Maxime "Die Entscheidungen, die wir heute treffen, sind für den Verkehr im Jahr 2050 ausschlaggebend." Man kann das als Vision deuten. Gemäß Weißbuch soll der Verkehr 2050 mit sehr viel weniger Öl auskommen als heute. Der Treibstoff Diesel soll an vielen Stellen durch Strom ersetzt werden. Der Verkehr in Städten bis 2050 ganz ohne fossile Brennstoffe, also ohne Diesel auskommen. Der Fernverkehr soll vom LKW verlagert werden, neue Umschlagtechniken sollen das erleichtern. In der Sprache der Bürokraten klingt das dann so:

    Die schrittweise Verringerung der Zahl mit konventionellem Kraftstoff betriebener Fahrzeuge in Städten ist ein wesentlicher Beitrag zur maßgeblichen Verringerung der Ölabhängigkeit.

    Kein Diesel, keine dieselbetriebenen LKW. Das läßt Platz für Elektro-Laster, aber auch für ganz neue Güterverkehrskonzepte:

    Potentiell neue oder unkonventionelle Verkehrssysteme (...) für die Warenverteilung.


    Wie etwa eine automatische Güter-U-Bahn, das Cargo-Cap aus Bochum zum Beispiel: Cargo Cap ist zunächst erst einmal die Idee, Güter unterirdisch in Kapseln durch Röhren zu fahren. Dietrich Stein:

    "Wir sind hier in einer Halle der RWE Power AG, wir haben hier unsere Modellstrecke, Maßstab 1:2, aufgebaut. Auf dieser Modellstrecke wollen wir die technischen Fragestellungen erproben und testen."

    In diese Kapseln passen zwei Europaletten rein, Europaletten, weil so zwei Drittel aller Güter in Deutschland auf Europaletten gefahren werden. Und diese Kapseln sollen dann diese Europaletten mit so 36 Kilometern pro Stunde durch die Gegend fahren. Martin Schmidt:

    "So, was sie jetzt hier sehen, sind die Spurführungsrollen, die sich jetzt seitlich an der Schiene abstützen."

    Zum ersten Mal werden die Kapseln schneller als der LKW und sie werden auch zuverlässiger. Dazu kommt: Die Kapseln fahren elektrisch, sie brauchen also keinen Diesel, sie erzeugen keine Stickoxide und auch keinen Feinstaub. Und wie viel CO2 sie erzeugen, das hängt dann vom Strommix ab. Schmidt:

    "Das ist eine große Leiterschleife und um diese weißen Leiter entsteht ein Magnetfeld, in dem der Übertragerkopf, den Sie hier am Fahrzeug sehen,…"

    Die Wirtschaftlichkeit wird das Problem werden bei diesem System. Es ist einfach teuer, solche Tunnel unter der Straße zu bohren. Und es ist auch teuer, völlig neue Bahnhöfe zu bauen. Das rechnet sich für ein Unternehmen so nach zwölf Jahren ungefähr. Auch andere Wissenschaftler in Japan oder der Schweiz entwickeln unterirdische Transportsysteme. Keine Projekt ist jedoch so weit gediehen wie das von Dietrich Stein. Dennoch hat sich bis jetzt niemand gefunden, der im Ruhrgebiet eine erste Cargo-Cap Strecke bauen wollte. Die große Hürde für Stein und seine Forscher: Wenn man - wie die Autoren des Weißbuchs Verkehr – auf Diesel in der Stadt verzichten will, geht das auch einfacher, ohne ein neues Röhrensystem unter den Straßen: Mit Elektro-LKW. Lösungen für das Stadtgebiet gibt es durchaus: 70, 80 Kilometer halten Batterien heute durch, mehr fahren kleine LKW in der Stadt kaum. Das bedeutet aber: Die Fracht muss von den großen LKW umgeladen werden, die Transporte gebrochen werden. Einen Transport brechen ist die Bezeichnung der Informatiker für das Umladen von einem Fahrzeug auf ein anderes. Der Ort für diesen Prozess kann ein Bahnhof sein, ein Hafen, ein Flughafen – kurz: ein Güterverkehrszentrum.

    "Das Güterverteilzentrum oder Güterverkehrszentrum GVZ war ja ein Begriff, der insbesondere in den 80er-, 90er-Jahren sehr im Schwange war, und man hat sich einiges davon versprochen, man hat allerdings häufig etwas Falsches darunter verstanden, man hat ein paar Speditionen auf der grünen Wiese angesiedelt, und vielleicht auch noch einen Gleisanschluss, als Alibi, und hat dann gesagt, das ist unser Güterverteilzentrum. Das ist natürlich Unsinn."

    Martin Henke ist der Geschäftsführer der Güterverkehrssparte des VDV, des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen. Kenner der Güterbahnen – und ein Lobbyist. Für den Güterverkehr auf der Bahn.

    "Man muss dort eine möglichst intensive Vernetzung der Verkehrsträger haben, das ideale Güterverteilzentrum hat eine Wasserstraßenanbindung, eine Schienenanbindung und eine Straßenanbindung und vielleicht sogar noch einen Flughafen in der Nähe. Es ist also multimodal, und es hat sehr leistungsfähige Umschlaganlagen. Außerdem ist in der Zwischenzeit, in den letzten 20 Jahren die Logistikwissenschaft wesentlich weiter gekommen..."

    Uwe Clausen: "Ja, das Effizienzcluster Logistik Ruhr ist das vielleicht größte aktuelle Forschungsvorhaben..."

    Henke: "Man ist heute viel effizienter im Bündeln und Wiederaufteilen von Gütern..."

    Clausen: "das vielleicht größte aktuelle Forschungsvorhaben mit knapp 30 Verbundprojekten,…"

    Henke: "Dieses Bündeln spielt der Eisenbahn massiv in die Hände…"

    Clausen: "Und wir beschäftigen uns in meinem Bereich unter anderem mit dem Thema Multi-Modal-Promotion, so heißt dieses Schlagwort, das ist die Entwicklung von IT-Systemen, um die Verbindung der Verkehrsträger zu verbessern, die informatorische Verknüpfung und damit auch die Integration von Bahn- und Binnenschiffsverkehre in solche Transportketten zu verbessern."

    Uwe Clausen ist Leiter des Fraunhofer Instituts für Materialfluss und Logistik. Er hat sich auf die Fahnen geschrieben, alle Verkehrsträger – LKW, Schiff, Bahn – besser zu verzahnen.

    "Was wir uns vorstellen, ist hier einen zusätzlichen Informationszugang zum Markt zu schaffen, die Möglichkeiten, die die traditionellen Partner der Spediteure haben, zu erweitern. Und dann würde in der Tat für einzelne Transporte ein Container, der auf einem Schiff gebucht wird, was im nächsten Donnerstag in Rotterdam eintrifft, zusätzlich ein Hinterlandverkehr gebucht und reserviert wird, wo man eben neben den traditionellen Informationsquellen, die man im eigenen Hause hat, auch einen solchen Web-basierten Service integriert."

    Die Absicht der Europäischen Union, Verbrennungsmotoren aus den Städten zu verbannen, dürfte im Transportgewerbe zwei Trends auslösen: Ferntransport und Verteilung werden getrennt. In die Stadt werden die Waren mit kleinen, emissionsfreien Transportern oder LKW gefahren. Wobei es denkbar ist, dass ein Teil der Fahrten in unterirdischen Systemen stattfindet. An der Stadtgrenze werden die Waren künftig umgeladen, auf Langstrecken-Transporter. Jetzt stellt sich die Frage: Was soll zwischen den Städten die Fracht fahren. Ein Blick ins Weißbuch zeigt: Die Autoren denken hier an zweierlei. An die Bahn, und das Schiff. Vor allem das Binnenschiff.

    Udo Wulf: "Wir wollen bei möglichst wenig Tiefgang möglichst viel Verdrängung erreichen..."
    30 Prozent des Straßengüterverkehrs über 300 Kilometer sollten bis 2030 auf Eisenbahn- und Schiffsverkehr verlagert werden, mehr als 50 Prozent bis 2050.

    Wulf: "Wir wollen möglichst leicht bauen und..."

    Binnenwasserstraßen müssen eine größere Rolle erhalten

    Wulf: "Wir wollen eine möglichst hohe Manövrierfähigkeit haben, und das insbesondere bei geringen Wassertiefen."

    Das Binnenschiff? Das Binnen-Schiff zeichnet sich derzeit nicht durch Innovationen aus. Das Durchschnittsalter der Binnenschiffe in Deutschland liegt bei 50 Jahren. Binnenschiffer gelten als extrem konservativ. Außerdem haben Binnenschiffe ein schlechtes Image: Ihre ungefilterten Dieselabgase tragen am Rhein erheblich zur Feinstaubbelastung bei. Flüsse werden ihretwegen mit Staustufen gezähmt, Kanäle durchschneiden bisweilen geschützte Landschaften. Dazu kommt: Meteorologen rechnen damit, dass infolge des Klimawandels Europa trockener wird. Setzt die EU auf Binnenschiffe, müssen entweder die Flüsse und Kanäle ausgebaut werden, oder: die Schiffe sich ändern. Dafür hat der Steuerzahler, also Sie, sogar schon Geld bezahlt – 2006: Der Futura Carrier soll die Binnenschifffahrt revolutionieren. Das wollen seine Entwickler. Die Entwickler verzichteten auf die schwere Schiffsschraube. Stattdessen sollen vier kleine Propeller das Schiff antreiben, zwei am Bug, und zwei am Heck.

    Wulf: "Es war hier erforderlich ein Bugkonzept, also eine Geometrie zu finden, die uns erlaubt, mit nahezu gleichen Wirkungsgraden vorne und hinten zu fahren."

    Der Bug hat nichts mehr mit einem konventionellen Schiff gemein: Kufen sollen das Wasser teilen, das flache Mittelstück das Wasser unter das Schiff pressen. Der Rest strömt weiter unter das Schiff, vorbei an der Luftfilm-Schmierung.

    Wulf: "Das, was Sie dort sehen, ist die noch nicht endgültig eingebaute Luftblasenschmieranlage."

    Das Schiff soll weniger Diesel verbrauchen.Wären es zehn Prozent, wäre Wulf zufrieden. Vier Jahre und vier Schiffe später Ernüchterung. Wulf:

    "Also, wir hatten in den vier Schiffen, die wir gebaut haben, mit der ursprünglichen Bugkonfiguration einen deutlichen hydrodynamischen Fehler, dass heißt, die Kufen vorne, diese Semi-Katamaranform in Verbindung mit den Antriebsschächten haben ein Eigenleben entwickelt, das heißt, die Heckwelle dieser Bugkufen fiel zusammen mit der Hauptwelle des Rumpfes, und wir hatten deshalb eine extrem ungünstige Wellenbildung, was sich auch wieder ausgewirkt hat auf den Energiebedarf, den wir zum Vortrieb gebraucht haben."

    Der Einsatz zeigte: Der Futura Carrier verbraucht mehr Treibstoff als konventionelle Schiffe. Udo Wulff arbeitet heute mit der DST, dem Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme in Duisburg zusammen. Mit Cornell Thill präsentiert er ein Modell eines besseren Bugs. Aus Holz, kieloben, liegt es in der Konstruktionshalle – statt der großen, katamaranartigen Kufen hat dieses Modell links und rechts kleine Stummel, die ins Wasser ragen. Sie sollen den Fehler von einst beheben. Thill:

    "Diese kurzen Kufen erzeugen jetzt eine Welle, die mit der vom Bug erzeugten Welle so interferiert, das heißt, wechselwirkt, dass nach dieser Wechselwirkung die Wellenhöhe um 80 Prozent reduziert war. Von diesen 80 Prozent reduzierter Wellenhöhe sind dann in der Leistung des Schiffes noch 27 Prozent Energieeinsparung übrig geblieben, was ein Riesenwert ist, dafür, dass ich nur am Bug eines Schiffes gebaut habe, und die Antriebsleistungen mit diesem neuen Bug um 21 Prozent verbessert habe."

    Damit hätten Udo Wulff und Cornell Thill ein Schiff, das gut zur Strategie des Weißbuch passen würde: Mehr Verkehr auf Schiffen. Und kämen dabei ohne Ausbau von Flüssen und Seen aus, weil das neue Schiff weniger Tiefgang hätte und weniger Platz unter dem Kiel für die Schraube bräuchte. Aber: Schiffe fahren mit Diesel. Thill:

    "Es gibt viele andere Ideen, es gibt Ideen von ernstzunehmenden Wissenschaftlern, die das Treideln wieder einführen wollen. Ich kann daran denken, dass ich Tal fahrende Schiffe über eine Umlenkung tatsächlich zu Berg fahrende Schiffe ziehen lasse, indem ich den Tal-Fahrer mit Extra-Widerstand versehe, so dass er die Strömungsenergie des Gewässers ausnutzt, um wirklich energieneutral zu fahren."

    Schiffe ohne Diesel sind noch Zukunftsmusik. Aber immerhin: Viele Binnenschiffe werden heute mit Diesel-elektrischen Antrieben ausgerüstet: Der Dieselmotor erzeugt Strom, ein Elektromotor dreht die Schraube. Wird Diesel knapp, kann der Dieselgenerator leicht ausgebaut und gegen eine andere Stromquelle ausgetauscht werden. Thill:

    "Sei es eine Brennstoffzelle, oder ein Gasmotor, was weiß ich."

    – Schraube und Elektromotor können bleiben. Dennoch gibt es ein Problem: Schiffe werden kaum LKW in Bayern oder Sachsen von den Autobahnen holen. Ein Blick auf die Karte zeigt, warum: Da gibt es keine großen Flüsse. Die meisten Binnenschiffe, 80 Prozent, fahren auf dem Rhein Udo Clausen:

    "Abseits des Rheins spielt die Binnenschifffahrt eine nicht so große Rolle, es gibt noch bestimmte Potentiale im deutschen Kanalnetz und anderen Flüssen und insbesondere auch auf der Donau, aber der Rhein ist schon sehr dominierend."

    Und das Schiff ist kein Konkurrent des LKW, sondern der Bahn! Axel Friedrich:

    "Das heißt, ich ziehe dann von der Bahn Verkehr ab, senke die Preise in beiden Bereichen, und bringe beide in die Bredouille. Das kann keine Lösung sein. Ob das der Kanal in Bayern war oder der Elbe-Seiten-Kanal, überall kann man das beobachten, dass dann die Frachtraten verfallen. Weil, logisch, der Verlader beispielsweise versucht, beide zu drücken. Und das bedeutet am Ende, kein Wohlfahrtsgewinn."

    Das Binnenschiff scheint also nicht sehr vielversprechend zu sein, wenn es darum geht, Waren ohne Öl oder Diesel zu verfrachten. Aber das Weißbuch Verkehr listet ja noch eine andere Technik für den Fernverkehr auf: Die Bahn.

    Die Entscheidungen, die wir heute treffen, sind für den Verkehr im Jahr 2050 ausschlaggebend.

    Die Bahn ist derzeit das einzige Transportmittel, das auch weite Strecken ohne Diesel zurücklegen kann. Sie fährt weitgehend elektrisch. Und sie kann LKW huckepack nehmen. Kleine Elektro-Lastwagen fahren dann nur noch vom und zum Umschlagpunkt, der Zug fährt die lange Strecke. Das passt perfekt zur EU-Vision im Weißbuch. Doch es gibt auch hier ein Problem. Die Eisenbahn wird, besonders im Güterverkehr, als unattraktiver Verkehrsträger angesehen. Michael Baier:

    "In einem konventionellen Terminal würde so ein Vorgang für einen kompletten Zug dann vier bis fünf Stunden dauern."

    Die Herausforderung besteht darin, einen strukturellen Wandel herbeizuführen...

    Baier: "Wir sprechen von 15 Minuten. Der gesamte Vorgang des Be- und Entladens von jeweils 36 Sattelaufliegern dauert 15 Minuten."

    …der Eisenbahn beim Güterverkehr über mittlere und große Entfernungen einen wesentlich größeren Anteil zu ermöglichen.

    Baier: "Nach diesen 15 Minuten würde jetzt ein Lademeister üblicherweise den Zug abschreiten, die Bremsen kontrollieren.."

    Die Autoren des Weißbuchs antworten im Stile von Radio Eriwan auf die Frage, ob die Bahn den LKW ablösen, die Dieselabhängigkeit im Transportgewerbe verkleinern kann: Im Prinzip ja – aber: heute noch nicht. Weil sie zu umständlich ist. Das Verladen von LKW auf die Bahn mit Kränen dauert lange. Zum Abschluss muss ein Lademeister zu Fuß alle Kupplungen und Bremsen einzeln überprüfen – an einem 750 Meter langen Zug. Das ist ein Fußmarsch von, hin und zurück, anderthalb Kilometern.

    Michael Baier: "Wir spendieren dem Lademeister einen Segway, der wird dann in einer halben Stunde den Zug komplett abgefertigt haben, so dass wir unter dem Strich eine Zugfrequenz von unter einer Stunde erreichen können."

    Der sich da so Gedanken macht und die Verladezeit von LKW so drastisch verkürzen will, ist Michael Baier. Er hat eine Verladetechnik entwickelt, bei der die LKW oder ihre Anhänger nicht nach und nach mit einem Kran auf die Waggons gewuchtet werden, sondern alle gleichzeitig von beiden Seiten geschoben werden. Er erprobt diese Technik in Leipzig, auf einem kleinen Terminal.

    "Wir befinden uns jetzt auf dem Testgelände, dieser Sattelauflieger wird jetzt in einem horizontalen Verschiebeverfahren automatisch und parallel über den gesamten Zug auf den Zug verladen. Per einem Knopfdruck werden wir jetzt einen automatisierten Vorgang starten, der den kompletten Zug, also diese drei oder später die 36 Waggons parallel be- und entlädt."

    Michael Baier hat dafür einen neuen Waggon entwickelt. Der kann sich zerlegen: Der Boden mit den Wänden bildet eine Schale. Erst wird die vom Waggon herunter geschoben. Dann fährt ein LKW drauf. Der Fahrer kuppelt den Hänger ab, befestigt ihn, und gerade jetzt schieben Elektromotoren diese 20 Meter lange Ladeschale mitsamt Sattelauflieger wieder zurück auf den Waggon-Rahmen.

    "Alle bewegten Teile sind im Terminal eingebaut, im Zug ist keinerlei Elektrik verbaut, im Zug sind keinerlei Sensoren verbaut, der Waggon ist - lassen Sie es uns vereinfacht sagen - dumm. Das knarrt noch etwas, das sind noch nicht ganz perfekte Toleranzen, wir lernen aus diesem Prototyp ja noch. Sie hören leichte Klackgeräusche, diese Klackgeräusche deuten darauf hin, dass die Arretierung einerseits des Waggonaufsatzes, andererseits der Seitenwände einrücken."

    Ladeschale und Waggonrahmen sind fest miteinander verbunden, das Verladen zu Ende. Nach 15 Minuten. Kräne hätten vier Stunden dafür gebraucht. Würde Baiers Vision Wirklichkeit, dann blieben an den Terminals auch Ladeschalen zurück: Während auf der einen Seite eine Ladeschale auf den Waggon gleitet, rutsch zur anderen Seite eine beladene aufs Terminal hinüber. Die kann nun in Ruhe ent- und wieder neubeladen werden, bis ein neuer Zug kommt. Das Laden der Ladeschalen erfolgt damit unabhängig vom Zug. So denkt sich das zumindest Michael Baier. Einige Logistiker gießen etwas Wasser in den Wein. Udo Clausen:

    "Der sogenannte Horizontalumschlag wird seit langem erforscht und untersucht, da muss man immer wieder genau rechnen, wie viel Investitionen am Ort habe ich, und auf wie viel Umschlagvorgänge, Transportvorgänge muss ich diese Kosten umlegen."

    Aber nicht alle sind so vorsichtig. In Frankreich haben Techniker ein ähnliches System entwickelt, Modalohr. Und auch Schweden setzt mit dem Megaswing auf eine ähnliche Technik. Martin Henke:

    "Ich sehe das als eine attraktive Technik an, die es ermöglicht, auch dort, wo keine großartigen Umschlageinrichtungen bestehen, schnell auf den LKW zu kommen. Also umzuladen. Diese Schnittstelle zwischen dem Eisenbahnverkehr und dem Straßenverkehr kostengünstiger zu gestalten. Das auch in der Region. Da wo nicht der große Containerbahnhof existiert."

    Das wäre sehr schön, wenn denn das Schienennetz noch eng genug geknüpft wäre. Aber schon lange werden die Gleise (übrigens oft von Steuergeldern gebaute) mit Hilfe von Steuergeldern wieder von den Bahndämmen gerissen, vorzugsweise aus ländlichen Regionen, oft aber auch auf Strecken, die als Alternative zu überlasteten Hauptstrecken hätten genutzt werden können. Auf dem Restnetz stoßen die Bahnen an ihre Grenzen. Sollen in Zukunft mehr Züge fahren, dann – müssten wieder mehr Gleise gebaut werden.

    Axel Friedrich: "Dafür müsste man massiv investieren, müsste man die Gelder komplett umlagern, wie Frankreich, wo man gesagt hat, neunzig Prozent der Gelder für Neubau geht in die Schiene, damit kann ich auch eine Umsteuerung erzeugen. Dafür brauche ich auch Platz. Und die einzige Lösung, die ich sehe, dass man einen Autobahnstreifen umwandelt in die Schiene."

    Axel Friedrich ist so etwas wie das enfant terrible in der deutschen Verkehrspolitik. Fast zwei Jahrzehnte lang zuständig im Umweltbundesamt für Verkehr, verantwortlich für CO2-Grenzwerte, Feinstaubgrenzwerte und Rußfilter.

    "Wir haben natürlich noch Kapazitätsreserven. Aber die reichen nicht aus. Ich kann vielleicht das Doppelte auf die heutigen Netze bekommen, durch andere Systeme, viele Signalanlagen, vielleicht auch 3,5, aber das reicht nicht aus."

    Gäthke: "Wie viel müssten wir denn ausbauen, welchen Faktor müssten wir denn…"

    Friedrich: "Wir müssten den Faktor 10 mehr aufnehmen. Das heißt, wir bräuchten massives Investieren in die Bahn, umstrukturieren, auch die Bahn müsste anders funktionieren, wie gesagt, die Trennung von Netz und Betrieb wäre eine absolute Voraussetzung dafür, damit das Netz Interesse daran hat, mehr Güter auf die Schiene zu bekommen. Was die Bahn heute sieht: Sie sieht Wettbewerb auf der Schiene. Mein Punkt ist: Die Wettbewerber sind auf der Straße. Und den muss ich holen."

    Gäthke: "Ich könnte mir vorstellen, dass, wenn Sie sagen, ja, wir müssen um den Faktor 10 die Leistungsfähigkeit steigern, das ist ja faktisch nicht machbar."

    Friedrich: "Das ist machbar. Wir haben die Straßen ja auch um Faktor 10 gesteigert, in sehr kurzer Zeit. Das heißt, wenn ich auf der einen Seite das kann, wieso kann ich nicht zurück? Ich frage mich, wieso kann ich da nicht? Wieso habe ich keine Visionen? Auch das Verkehrsministerium hat keine Antwort auf die Frage: Wie sollen sie mit dem LKW umgehen? Das heißt, wir brauchen neue Lösungen, und die einzige Lösung, die ich sehe, ist, mit Strom die Bahn zu betreiben, manche Leute träumen ja davon, den LKW anzuhängen an eine Stromleiste, dann sage ich, dann kann ich gleich eine Bahn nehmen, die effizienter ist."

    Gäthke: "Ehm. Wenn wir diese Vision nicht weiter verfolgen, was passiert dann?"

    Friedrich: "Wir haben immer Gewinner und Verlierer bei einem Systemwechsel. Das Dumme ist, am Anfang haben wir nur Verlierer. Und keine Gewinner. Das heißt, wir brauchen eigentlich eine Struktur, die uns Gewinner schafft. Wenn man vor sechs Jahren versucht hätte, die Windenergie zu killen, hätte man es wahrscheinlich geschafft. Heute kriegt man es nicht mehr hin. Warum? Die sind groß genug, um die normale Lobbyarbeit zu betreiben, das heißt, die sind so groß, dass sie auch Gewinner sind. "

    Die Thüringer-Wald-Querung

    Stuttgart 21

    Der Bau einer festen Beltquerung von Fehmarn nach Dänemark

    Martin Henke: "Im Moment sind einige Projekte mit hohem Geldverbrauch verbunden."

    Axel Friedrich: "Alle Dinge, die ich angefangen habe, haben immer Leute gesagt, ist unrealistisch."

    Henke: "Genau das Geld, was für den Ausbau von Brot-und-Butter-Projekten in Deutschland fehlt."

    Friedrich: "Wenn man keine Visionen hat, kein Ziel, kann man auch nicht loslaufen."

    Eine verfahrene Situation. Aber vielleicht gibt es einen Lösungsweg, der nicht im Weißbuch vorgesehen ist. Lutz Eckstein:

    "Wir brauchen aus meiner Sicht eine Art Nationale Plattform für Mobilität, also etwas weiter gefasst, wo wir uns dann mit der Frage auseinandersetzen, lösungsneutral, was brauchen wir eigentlich, um Mobilität in Summe in Deutschland zukünftig darzustellen, und auch weltweit anbieten zu können, Leitanbieter Mobilität statt Leitanbieter Elektromobilität."

    Eine Nationale Plattform Mobilität könnte so ähnlich aussehen wie die Nationale Plattform Elektromobilität. Transportunternehmen, Energieversorger, Mineralölunternehmen, Mobilitäts-, und Energieforscher, LKW- und Bahnhersteller, Infrastrukturunternehmen setzen sich zusammen. Es würden die Aufgaben von Straße, Schiene und Schiff abgesteckt, die je eigenen Wege aus dem Diesel aufgezeigt. Abgestimmt mit den Visionen des Weißbuchs. Dabei immer im Blick die Diesel-Wende. Notwendig wäre es. Doch die deutsche Verkehrspolitik setzt lieber weiter auf den LKW. Er soll jetzt sogar länger werden: sechs Meter mehr sollen CO2 und Staus sparen. Erstmal versuchsweise. Fünf Jahre lang. Aber was heißt das schon – danach werden die langen LKW weiterfahren. Und natürlich Diesel verfeuern. Fünf verlorene Jahre auf dem Weg in die dieselfreie Zukunft.

    Die Entscheidungen, die wir heute treffen, sind für den Verkehr im Jahr 2050 ausschlaggebend.

    96 Prozent des Verkehrs in Europa hängen vom Öl ab


    Claudia Kemfert: "Ich denke, 2032 wird es nicht mehr genügend Öl geben, schon lange nicht mehr."

    Axel Friedrich: "Wo ist die Vision im Bereich Verkehr?"