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Diethard Schade und Martin Kaimer: Zukunftsfähige Hausmüllentsorgung.

Die Dosenpfandregelung bei Einweggetränken wird vereinfacht. Darauf haben sich Bund und Länder verständigt. Sie haben es in unseren Nachrichten und aktuellen Sendungen gehört. Der Bürger weiß also jetzt, was er pfandeinlösend zurückbringen kann und was er in den Müll zu werfen hat, aber natürlich fein säuberlich getrennt, denn von einer Vereinfachung der Mülltrennung kann noch keine Rede sein. Dabei wäre es technisch gut möglich und auch ökologisch sinnvoll, wie die Wissenschaftler Diethard Schade und Martin Kaimer in ihrem Buch darlegen, denn es geht um mehr als Sammeln und Selektieren. Zukunftsfähige Hausmüllentsorgung heißt das Buch, gelesen hat es Gunnar Sohn:

Gunnar Sohn |
    Es gehört zu den bevorzugten Beschäftigungen vieler Deutscher, ständig nach der guten Sache Ausschau zu halten, in deren Dienst sie treten können - und in deren Dienst sie die anderen treten können. Der Umweltschutz, an dem sich noch kein Volk der Erde moralisch so emporgezogen hat wie wir, bietet zum Beispiel eine kaum übersehbare Palette von Zurechtweisungs- und Erniedrigungsmöglichkeiten unter dem Horizont polizeilicher Verfolgungsphantasien. Seinen schrillsten Ausdruck findet diese Sauberkeitsdiktatur im Müllsammelwahn.

    Das, was Ordnungsmächte den Haushalten in Deutschland eintrichtern, ist aber in Wahrheit eine ökologische Eulenspiegelei. So sehen das auch renommierte Umweltwissenschaftler. In ihrem neuen Buch "Zukunftsfähige Hausmüllentsorgung" demontieren Diethard Schade und Martin Kaimer von der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg einige grüne Glaubenssätze, die mit der Mülltrennung verbunden sind. Etwa den, dass nur der ein guter Mensch sei, der seine Joghurtbecher und Fischdosen stunden-lang spült, aussortiert und gewissenhaft entsorgt. Diese Art von Volkserziehung durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz lehnen die Buchautoren ab. Denn die Trennwirtschaft ist nach den Analysen der baden-württembergischen Abfallexperten unökologisch und teuer. Es werde nicht hundertprozentig getrennt, weil die Menschen so nicht funktionieren. Deshalb plädieren Schade und Kaimer dafür, die staatlich verordnete Trenn- und Sammelwut zurückzufahren. Glas und Papier könne der Bürger ja gern aussortieren. Aber alles, was darüber hinausgeht, ob Küchenabfälle oder Kunststoffverpackungen, da hapert es mit der Disziplin, da solle moderne Müllbehandlungstechnik ran und den Bürgern die lästige Pflicht wieder abnehmen. Schade und Kaimer begründen ihre Forderung so:

    Trotz des großen Aufwandes zur Getrennterfassung wird das eigentliche Ziel - die sortenreine Erfassung von Wertstoffen und eine zuverlässige Trennung von verwertbaren und nicht verwertbaren Bestandteilen des Abfalls - weitgehend verfehlt. Speziell bei der Sammlung von Verpackungen durch das Duale System mit dem grünen Punkt, in dem die Verbraucher häufig ein generelles und kostenloses Sammelsystem für Kunststoffe und andere Wertstoffe sehen, kommt es zu erheblichen Fehlwürfen (20 bis 50 Prozent Sortierreste). Bei praktisch allen Erfassungssystemen ist eine Sortierung oder Nachsortierung erforderlich, während gleichzeitig immer noch erhebliche Wertstoffmengen im Restmüll landen.

    Die heutige Ausgestaltung der Abfallerfassung orientiere sich in erster Linie an den Vorgaben des Abfallgesetzes und den daraus folgenden Erfordernissen der Abfallentsorger. Die Belastungen für die Haushalte würden offensichtlich nicht beachtet oder für zumutbar gehalten. Das Ziel eines ressourcenschonenden und abfallvermeidenden Konsumverhaltens werde mit den geltenden Regelungen nicht erreicht. Das Abfallaufkommen je Einwohner und Jahr habe sich in den zurückliegenden zehn Jahren praktisch kaum verändert. Im Prinzip sei Abfallvermeidung wichtig, aber der Konsum von Produkten orientiere sich nicht an der späteren Entsorgung der Produkte. Direkte gesetzliche Maßnahmen, die zu einer echten Abfallvermeidung zum Beispiel durch Konsumverzicht führen, sind kaum möglich. Es müsse auch bezweifelt werden, dass eine Veränderung von Lebensweisen mit Hilfe der Abfallpolitik erreichbar sei. Wörtlich heißt es:

    Der Umgang mit Abfällen stellt kein bestimmendes Element für das Leben - zumindest der meisten - Bürger dar, und es bestehen daher nur wenige Möglichkeiten, auf diesem Wege auf das Verhalten und die Lebensweise der Bürger einzuwirken. Statt einer absoluten Abfallvermeidung kommt es in der Praxis zu einer Verschiebung der Abfälle von der Restmülltonne hin zu anderen Wertstofferfassungssystemen wie der Gelben Tonne, die jedoch nicht immer den jeweiligen Sortiervorgaben entsprechen. In Zukunft sollte daher der Aspekt einer weitgehenden Verwertung von Haushaltsabfällen im Vordergrund stehen und es sollten dafür geeignete Entsorgungssysteme aufgebaut werden. Die Fortführung der heutigen Praxis erscheint dazu wenig geeignet: Noch höhere Anforderungen an die Getrenntsammlung erhöhen den Aufwand der Entsorger für Sammlung, Sortierung und Behandlung der Abfälle weiter und belasten die Haushalte mit zusätzlichen Aufgaben und Kosten. Dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Getrenntsammlung von den Bürgern so akzeptiert und klaglos umgesetzt wird.

    Der hohe Anteil an Restmüll in der Gelben Tonne zwinge zu einem hohen Aufwand beim Sortieren der Verpackungen. Als Abhilfe werde in der Regel mehr Kontrolle (zum Beispiel Müllsheriffs) oder eine Strafverschärfung gefordert – über eine notwendige Vereinfachung des Sammelsystems würde leider nur selten nachgedacht. Es sei nicht praktikabel, immer mehr Rücknahmepflichten für einzelne Produkte und damit vermehrte Rückgabepflichten für die Haushalte einzuführen. Die Abfallwirtschaft könne nach Auffassung von Schade und Kaimer in Zukunft auf die Trennung des Mülls über Grüne und Gelbe Tonnen verzichten. Statt vieler separater Behälter im Haushalt werde dann nur noch ein Behälter für den gesamten Hausmüll ausreichen, dessen Inhalt später mit moderner Technik sortiert werde. Vor allem durch die Vorgaben der Abfallablagerungsverordnung ergäben sich neue Perspektiven. Heizwertreiche Bestandteile des Abfalls müssten in biologisch-mechanischen Anlagen abgetrennt und danach verwertet werden. Auch lägen richtungsweisende Entwicklungen vor, die in Verbindung mit einer vorherigen Aufbereitung bzw. Trocknung des Abfalls erstaunliche Sortierleistungen vollbringen und auch wirtschaftlich zu betreiben sind. So können in der Trockenstabilatanlage in Aßlar die Abfälle getrennt werden nach Eisen, Nichteisenmetallen, Batterien, farblich sortiertem Glas und mineralischen Stoffen. Weißglas, Braunglas und Grünglas erfüllen dabei die Anforderungen der Glashütten für eine direkte Verwertung. Die Verwertung geht sogar noch weiter. Schade und Kaimer führen aus:

    Optional kann auch noch eine Mischkunststoff-Fraktion ausgeschleust werden. Die Leichtfraktion und das Trockenstabilat stellen einen schadstoffreduzierten Ersatzbrennstoff dar, der lagerstabil ist und zur Energieerzeugung, in Zementwerken oder auch zur Methanolherstellung eingesetzt werden kann und damit erstmals eine nahezu vollständige Verwertung der Abfälle aus Haushalten ermöglicht. Aus Kostengründen sollte die Getrenntsammlung von Wertstoffen - bis auf Glas und Papier - und von Bioabfällen aufgegeben und damit die Hausmüllsammlung wieder vereinfacht werden. Einerseits können dadurch die Kosten für die Sammlung reduziert werden und andererseits werden gleichzeitig aufwendige Beratungen und Informationen für die Bürger überflüssig.

    Derzeitig verursacht das Müllsystem des Grünen Punktes allein bei der Verwertung der Verpackungskunststoffe Kosten in Höhe von über 500 Millionen Euro pro Jahr. Auch bei geringerer Getrennterfassung von Haushaltsabfällen könnten die zentralen Ziele der Kreislaufwirtschaft erreicht werden, nämlich eine weitgehende Nutzung von Wertstoffen und die umweltgerechtere Beseitigung nicht verwertbarer Abfälle. Für die Heerscharen an Müllsheriffs müssten dann wohl neue obrigkeitsstaatliche Kontrollopfer gesucht werden - vielleicht Falschparker oder streunende Hunde.