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Digital-Bombast und Realitätsverzerrung

Wer Schauspieler in historische Kostüme steckt, hat noch lange nicht die Pflicht, mit ihnen realistisch Geschichte darzustellen. Historische Romane, Bühnenstücke, Filme – was an ihnen historisch sich gab, war meist mit Vorsicht zu genießen. Nehmen wir Felix Dahns "Kampf um Rom" – scheinbar ein Buch über Ostgoten und Römer, in Wirklichkeit eins über national denkende Deutsche und ihre welschen Feinde. Aber wie effektvoll! Von hier zu den Sandalenfilmen von Hollywood und Cinecittá war nur ein Schritt.

Von Beatrix Novy |
    Auch bei der aktuellen Staffel der Antikenfilme vom Gladiator über Troja bis zu Hannibal kann man philologische Maßstäbe beiseite lassen. Frei erfundene Festrituale oder historisch unkorrekte Galeeren – wen kümmert das.. Ein Film wie Troja hat seine eigene Wirklichkeit. Troja ist schon seit der Ilias Projektionsfläche, formbare Knetmasse für die Kunst, die immer schon ihre jeweiligen Brad Pitts in Achillesrüstungen gesteckt hat.

    Außerhalb von Hollywood sieht die Sache anders aus. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen z.B. Nehmen wir das hochgelobte Stück Fernsehen mit dem Titel "Jennerwein", das von ORF und ARD an die große Glocke gehängt und kürzlich ausgestrahlt wurde. Die Geschichte des Georg "Girgl" Jennerwein, des Robin Hood unter den Wilderern, der im Auftrag der knechtenden Obrigkeit hinterrücks vom Jäger niedergeschossen wird – dös wor ka fairer Schuß net! Auch der Jennerwein ist eine Volks-Legende, die sich längst vom realen Vorbild abgelöst hat. So kann der Jennerwein einerseits nix dagegen machen, wenn ein deutscher Regisseur sich mit seiner Geschichte den Traum erfüllt, endlich mal einen richtigen Alpenwestern zu drehen..

    Andererseits:. Auch wenn hier keiner behauptete, dies sei die wahre Geschichte, so war die perfekte Inszenierung historischen Ambientes irreführend genug, um die Handlungseinzelheiten zumindest für möglich zu halten. Zu diesen Einzelheiten gehörte die Jennerwein-Freundin, die so ätherisch in die Luft schaute, als gäb es auf so einem Kleinhäuslerhof nichts anderes zu tun als die exaltierte Individualität zu pflegen, von der wir eigentlich wissen, daß sie ein Privileg unserer Zeit ist. Dazu gehörte auch ein Tiroler Polizist, der ungestraft kleine Rechtsbrecher von mehreren offiziellen Helfern und vor Zeugen viehisch ermorden lässt. Das mag ja im TV-Film des 21. Jahrhunderts genüßlicher Alltag sein; im vergleichsweise zivilisierten, längst verrechtlichten 19. Jahrhundert hat die bayrische Obrigkeit die Leute schon noch ordentlich verhaftet, ehe sie sie aufhängen ließ. Ein bißchen grobe historische Genauigkeit sollte auch in einem Alpenwestern sein. Jedenfalls in einem öffentlich-rechtlichen. Stattdessen: Zustände wie im alten Rom - wo sie sich wiederum aufführen wie bei Rosamunde Pilcher, 20. Jahrhundert.: "Hier geht es nicht um Rom. Hier geht es um das Glück deiner Schwester" sagte im ZDF-Zweiteiler "Augustus" die römische Matrone. Man weiß ja nicht viel. Nur soviel: just dieser Satz hat mit einer römischen Matrone nichts zu tun. Fast so wenig wie der Satz "Ich stehe auf der Karriereleiter schon ganz oben" einer in ihren Stand felsenfest hineingeborenen Habsburger-Prinzessin Marie-Luise passiert sein könnte. Im ZDF-Zweiteiler "Napoleon" sagt sie ihn trotzdem. Dagegen wirkte die amerikanische Suburb-Kleopatra Liz Taylor geradezu authentisch.
    Wozu hat eigentlich die Geschichtswissenschaft der letzten Jahrzehnte bienenfleißig Alltags-und Mentalitätsgeschichte betrieben? Nur damit dieser ganze szenische Unsinn in so perfekten Kostümen und Kulissen wie nie zuvor stattfinden kann? Dabei könnte ein bisschen mehr Genauigkeit gerade so spannend sein. Dass die Menschen früherer Zeitalter z.B. unseren Begriff von Privatsphäre nicht hatten, weil sie Privatsphäre kaum kannten, das zeigte Bertrand Tavernier einmal ganz en passant in einem Film, der am Hof Ludwig XV. spielte: Seine Hauptpersonen, Aristokraten fast alle, sind nie allein, sondern immer von geschäftigen Dienern umgeben. Das war Taverniers Hommage nicht nur an die historische Realität, sondern auch an die dienende Klasse, die schon zu Lebzeiten von ihrer Herrschaft wie Luft behandelt wurde.
    Geschichte, natürlich, ist immer Konstrukt. Aber schade ist es doch, dass die Kinder von heute, wie Gerhard Polt so richtig bemerkte, "nicht mal mehr wissen, dass der Ustinov Rom angezündet hat".
    Immerhin können sie jetzt bei Brad Pitt lernen, dass es nicht die Trojaner waren, die in dem Pferd eingeschleust wurden. Vielleicht fragen sie sich dann, warum dieser Computervirus, der sich so tückisch in die PCs einschleust, eigentlich "Trojaner" heißt?