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Digitale Dummies für virtuelle Crashtests

Technik. - Seit den 50er Jahren werden Autos mit Absicht zu Schrott gefahren, um zu wissen, wie sicher ihre Insassen bei einem Unfall sind. 30 Jahre später begann man, Crashtests in den Rechner zu verlegen. Jetzt plant eine Stuttgarter Firma, die Versuche so weit zu verfeinern, dass auch die digitalen Insassen bei Crashtest im Rechner so empfindlich wie ein normaler Mensch werden.

Von Cajo Kutzbach |
    Um einen Prototyp im Rechner einen Crashtest absolvieren zu lassen, braucht man heute nur noch ein leistungsstarkes Rechnercluster für etwa 10.000 Euro. Auch die Erstellung eines digitalen Prototyps aus den Konstruktionsdaten dauert nicht mehr einige Wochen wie noch 1990. Der Aufwand sank auf etwa ein Zehntel eines echten Crashtest.

    "Es ist natürlich Bestreben der Industrie, möglichst wenige Prototypen gegen die Wand zu fahren, weil das natürlich mit hohen Kosten sowohl von der experimentellen Seite, als auch einfach für den Aufbau dieser Prototypen verbunden ist."

    Professor Uli Göhner leitet bei der Ingenieurdienstleistungsfirma Dynamore in Stuttgart den Vertrieb und arbeitet mit den meisten deutschen Autobauern zusammen. Heute sind digitale Auto-Modelle sehr detailliert. In manchen Fällen beginnt die Berechnung bereits auf der Ebene der Moleküle der verschiedenen Werkstoffe, weil deren Anordnung etwas über die Eigenschaften des Materials verrät. Auch deren Veränderung während der Verarbeitung muss berechnet werden, denn Stahlblech verhält sich anders als Aluminium oder ein neuer Kunststoff. Und statt zu schweißen oder zu schrauben, klebt man heute viele Verbindungen. Auch hier muss man erforschen, wie verhält sich eine Klebestelle.

    "Ja, das ist ein ganz großes Thema. Gerade bei den Materialeigenschaften von den jetzt auch modernen Materialien ist natürlich das genau zu erfassen dieses Verhalten, auch wie eben der Herstellungsprozess für diese Bauteile ist. Manchmal ist sogar so ein Herstellvorgang gutartig, kann sogar das Materialverhalten verbessern. Und dann ist es auch so heutzutage, um da auch entsprechende Sprit sparende Modelle heraus zu kriegen, dass auch entsprechend natürlich Material und letztlich auch Gewicht eingespart werden soll. Und da können zum Beispiel diese Prozesse auch zu einer Verdünnung von einem Material an gewünschten Stellen sorgen. Und das muss natürlich alles dann letztlich bei dieser Crashsimulation mit genommen werden."

    Waren digitale Fahrzeugmodelle früher vielleicht aus 100.000 zu berechnenden Teilchen zusammengesetzt, so sind es heute mindestens zehn Mal so viel, verrät Uli Göhner, der sein Wissen an der Fachhochschule Kempten an Studierende weiter gibt.

    "Diese Modelle sind sicherlich heutzutage schon - ohne entsprechende Dummy- oder Menschenmodelle, die man da auch neuerdings einsetzt - schon über eine Million Zellen groß. Da brauchen sie schon einen großen Rechner. Da werden typischerweise dann Parallelrechner mit 32 oder 64 Prozessoren eingesetzt und auch dann ist typischer Weise immer noch eine Nacht Wartezeit da, bis so ein Resultat letztlich da ist, das man auswerten kann. Aber die Auswertungen, die sie dann haben können, sind natürlich sehr detailliert und stimmen eigentlich mit den entsprechenden Tests, die immer noch gefahren werden - also es wird kein Fahrzeug ohne realen Test gemacht - sehr gut überein."

    Der Rechenaufwand ist bei den digitalen Dummies ähnlich. Da müssen auch die unterschiedlichen Eigenschaften von Knochen, Muskeln oder Organen erfasst werden. Dabei ist schwierig, heraus zu bekommen, was der menschliche Körper verkraftet. Man kann ja keine Versuche machen, sondern muss das aus der Unfallforschung ableiten. Bei einem Auffahrunfall etwa wird häufig der Nacken überfordert:

    "Nehmen wir gerade diese Geschichte mit dem Schleudertrauma. Und dafür brauchen sie jetzt doch detailliertere Dummies als wir zurzeit haben. Und da gibt es ein entsprechendes Projekt - nennt sich BioRID - man muss entsprechend diese Nacken- und Wirbelsäule da sehr genau modellieren. Das ist eine Geschichte, an der wir gerade dran sind und der auch die Automobilindustrie sehr viel Aufmerksamkeit und Geld widmet."

    Unterschiedliche Gesetze in Europa und Nordamerika erfordern verschiedene Dummy-Varianten. Dennoch dürften Autofahrer recht bald noch besser geschützt sein, als heute:

    "Ja. Ich denke schon, dass sie da in den nächsten zwei bis drei Jahren etwas sehen können. Entsprechende aktive Kopfstützen sind ja schon erhältlich, dass eben da auch eine Verbesserung von diesen Unfallsituationen da ist."