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Digitale Energiesicherheit
Mathematiker: Stromnetz kann Digitalisierung und Energiewende stemmen

Ein großflächiger Stromausfall sei auch in der Energiewende sehr unwahrscheinlich, sagte der Mathematiker und Energie-Experte Christoph Mayer im Dlf. Um die Sicherheit der Netze zu gewährleisten, müsse man zukünftig aber genauer auf kleine Kraftwerke, Plattformen und Hersteller von Elektroautos schauen.

Christoph Mayer im Gespräch mit Sophie Stigler | 05.02.2021
Zahlreiche Strommasten stehen auf einem Feld.
Die Digitalisierung halte sowohl Risiken als auch Chance für die Sicherung des Stromnetzes bereit, meint der Mathematiker Christoph Mayer (picture alliance/dpa/Stephan Schulz)
Blackouts, also flächendeckende Stromausfälle, sind in Deutschland sehr selten, aber sie kommen vor. Ende Dezember 2020l kam das europäische Stromnetz zum Beispiel sehr an seine Grenzen und einem Blackout recht nahe. Die Frequenz im Stromnetz sackte in Deutschland ab. Das kann zu einem Zusammenbruch des ganzen Systems führen. Nur durch schnelle Gegenmaßnahmen haben die Verbraucher in Deutschland letzten Endes gar nichts davon mitbekommen. Auslöser war ein Fehler in einem Umspannungswerk.
Das europäische Stromnetz muss in Zukunft aber auch mit einem steigenden Anteil an schwankendem Wind- und Solarstrom klarkommen. Dazu werden Kraftwerke und Verbraucher stärker digital vernetzt, was helfen kann, aber auch Risiken mit sich bringt.
Der Mathematiker Christoph Mayer, Bereichsleiter "Energie" am OFFIS-Institut für Informatik, das mit der Universität Oldenburg verbunden ist, hat zusammen mit anderen Expertinnen und Experten 15 Handlungsoptionen entwickelt, wie man die Energiesicherheit gewährleisten kann.
Wer in Zukunft ein sicheres Stromsystem in der digitalisierten Welt haben wolle, müsse zunächst neue Akteure außerhalb der Energiewende wie Plattformen oder Hersteller von Elektroautos stärker in den Fokus nehmen, sagte Mayer im Dlf. Daneben müsse man sich neben großen Kraftwerken und Netzbetreibern auch kleine Anlagen genauer anzuschauen und lernen, mit Unsicherheiten umzugehen: "Kann ich Mechanismen einbauen, dass ich früher erkenne, ob Überraschungen passieren könnten?"
Wenn man die Digitalisierung und Energiewende gut gestalte, bleibe das Energiesystem mindestens so sicher wie heute, so Mayer.
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Sophie Stigler: Blackout – da denkt man erst mal: Na ja, die Lichter gehen aus. Aber das ist ja längst nicht alles. Was passiert bei so einem flächendeckenden Stromausfall?
Christoph Mayer: Man redet von einem großen Blackout, wenn eine sehr große Region, also in der Regel von einigen hunderttausend Einwohnern, über mehrere Stunden keinen Strom hat.
Los geht es eigentlich eher an den kleinen Dingen: Ein paar Ampeln funktionieren nicht, vielleicht Menschen bleiben im Aufzug stecken. Schlimmer werden die Ausfälle mit der Zeit. Es geht irgendwann los, wenn die Handys alle Akkus leer haben, man kann keine Feuerwehr rufen, keinen Krankenwagen, keine Polizei, wenn Unfälle stattfinden, was ja aufgrund fehlender Ampeln beispielsweise ein Problem ist. Es treten dann erste Probleme in der Lebensmittelversorgung vielleicht auf, weil Kühltruhen nicht mehr funktionieren.
Nach und nach verschärfen sich die Probleme in Krankenhäusern und Pflegeheimen – Krankenhäuser können nur 24 Stunden Notversorgung gewährleisten –, das heißt, Sie haben dann dort große Einschränkungen bis zu zwei, drei Tagen, wo es dann eben auch Unruhen und Ähnliches geben kann, also eine sehr, sehr dramatische Situation im Extremfall. Und selbst wenn hinterher alles wieder heile wird, geht man davon aus, dass das Vertrauen in der Gesellschaft in den Staat, aber auch in sich selber nachhaltig auch erschüttert sein wird.
Stigler: Also ein ziemliches Schreckensszenario, aber das europäische Stromzählt, das zählt ja zu den sichersten weltweit. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass es in naher Zukunft doch mal so einen Ausfall gibt?
Mayer: Wahrscheinlichkeiten kann man natürlich unmöglich abschätzen. Die Frage ist, welche Szenarien sind möglich oder denkbar. Wenn in sehr, sehr kurzer Zeit sehr wichtige Kraftwerke ausfallen würden, führt das nicht zu einem Stromausfall, sondern in der Regel nur zum Entkoppeln und zum Einsatz von Reservekraftwerken. Es gibt im Moment aus unserer Sicht keine Veranlassung zu glauben, dass ein großer Blackout wahrscheinlicher wird als vorher. Wir gehen weiterhin davon aus, wenn man die Digitalisierung und Energiewende gut gestaltet, dass das System mindestens so sicher bleibt wie heute.

"Wind oder PV als solche sind kein Risiko"

Stigler: Aber ist der steigende Anteil von Solar- und Windstrom nicht trotzdem zusätzlicher Risikofaktor?
Mayer: Die kurze Antwort ist nein. Wir gehen nicht davon aus, dass Dezentralisierung in irgendeiner Form ein zusätzliches Risiko darstellt. Es ändert sich natürlich die Risikostruktur, also andere Fehler sind möglich, Wind oder PV als solche sind kein Risiko. Wir hatten ja vor einigen Jahren eine Sonnenfinsternis in Europa, und das ist extrem gut abgefangen worden, da fielen alle PV aus, die Auswirkungen waren exakt null, also da geht kein zusätzliches Risiko für Blackout rein.
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Stigler: Wenn jetzt Kraftwerke immer stärker vernetzt werden, man immer stärker auf Digitalisierung setzt, ist das System aber doch auch irgendwie verwundbarer für Angriffe, die dann auch direkt mehrere Systeme treffen können.
Mayer: Es geht immer in beide Richtungen. Digitalisierung ist einerseits ein Mittel, um Systeme sicherer zu gestalten. Ich kann ja viel mehr messen, ich kann besser prognostizieren, ich hab viel mehr Schaltungsmöglichkeiten, ich hab viel mehr Flexibilität, Anlagen einzusetzen, statt einfach nur davor zu sitzen und an- und ausmachen zu können, vereinfacht gesagt.
Was sich ändert, ist nicht die Menge des Risikos an sich, sondern die Risikostruktur. Also wenn wir jetzt Digitalisierung überall erleben – vom Haushalt geht’s los, selbst die E-Zigarette hängt heute im Internet, bis zu Hausspeichern, TV-Anlagen, Windanlagen –, kann es natürlich sein, dass sich Softwarefehler oder eben richtig bewusste Angriffe eine brenzlige Situation hervorrufen wird, die im schlimmsten Fall auch zum Blackout führt.
Wir haben das auch schon mal erlebt – nicht den Blackout, aber eine brenzlige Situation –, da ist Folgendes passiert: Smart Meter hat wahrscheinlich jeder schon mal gehört, das sind diese Zähler, die elektronisch in den Haushalten hängen und verbunden sind über eine Kommunikationsanbindung, und da ist durch einen Softwarefehler passiert, dass plötzlich alle Zähler mit allen anderen Zählern geredet haben. Geredet heißt also, alle haben Nachrichten ausgesendet an alle, und wenn man eine Nachricht bekommen hat, hat man die dann an alle ausgesendet, und das hat das Netz verstopft. Das ist jetzt an sich erst mal nicht schlimm, aber wäre gleichzeitig eine kritische Situation aufgetreten, hätte das zu Fehlern führen können.

Mayer: Kleine Kraftwerke genauer im Blick haben

Stigler: Jetzt haben Sie zusammen mit Expertinnen und Experten 15 Handlungsoptionen entwickelt, wie man die Energiesicherheit gewährleisten kann. Alle 15 jetzt zu besprechen, würde, glaube ich, unsere Sendung sprengen, aber vielleicht können Sie ja die zwei oder drei wichtigsten Punkte nennen.
Mayer: Ich würde zunächst mal damit anfangen, dass wir die neuen Akteure außerhalb der Energiewende stärker anschauen müssen. Man stelle sich vor, in einigen Jahren haben sehr viele Leute Elektroautos, einige Millionen. Einige Millionen Elektroautos haben zusammen eine Leistung, wenn die Strom tanken oder vielleicht auch wieder einspeisen ins Netz, die viel größer sind als ein großes Kraftwerk. Wenn es uns also gelingen könnte jetzt – und wir sind böse –, einen Hersteller der Autos zu hacken, könnten wir diese Ladevorgänge und Entladevorgänge beeinflussen, und zwar auf eine Weise, die zum Blackout führt.
In der Konsequenz heißt das, wir müssen in Zukunft auch solche Akteure in den Blick nehmen – wie zum Beispiel Plattformen oder Hersteller von Elektroautos, wer auch immer –, die ein zusätzliches Risiko vielleicht darstellen beziehungsweise eben keins darstellen, wenn wir uns frühzeitig drum kümmern. Das wäre das Erste.
Das Zweite ist eben, kleine Anlagen sich genauer anzuschauen, also nicht nur zu gucken, schaffe ich es, ein großes Kraftwerk zu hacken oder einen großen Netzbetreiber, sondern gibt es Mechanismen, eben auch sehr, sehr viele kleine gleichzeitig in irgendeiner Form anzugreifen.
Das sind sicherlich zwei Themen, um die ich mich kümmern muss, wenn ich in Zukunft ein sicheres Stromsystem in der digitalisierten Welt haben will. Und als drittes Thema ist wichtig, mit Unsicherheiten umzugehen – kann ich Mechanismen einbauen, dass ich früher erkenne, ob Überraschungen passieren könnten. Das sind, glaube ich, die drei Sachen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.