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Digitaler Arztbesuch
Telemedizin noch nicht alltagsfit

Künftig sollen Ärzte Diagnosen per Video stellen können. Rezepte und Krankschreibungen soll es online geben. Doch bis es mit der digitalen Visite klappt, müssen noch viele Probleme gelöst werden. Denn Patientendaten sind in Deutschland miserabel gesichert.

Von Peter Welchering | 14.07.2018
    Patientenakten in einem Hängeschrank in einer Arztpraxis
    Patientenakten sind in Deutschland oft nicht digital gesichert (imago stock&people)
    "Ob wir das gemeinsam hier in Deutschland, im deutschen Gesundheitswesen, mit unseren Qualitätsstandards, mit den Anforderungen, die auch eine Ärztekammer zu recht an solche Behandlungen hat, ob wir das gemeinsam hier in Deutschland organisieren." So fragte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Abgeordneten des Deutschen Ärztetages in Bezug auf die Telemedizin und die Digitalisierung des Gesundheitswesens. In Sachen Telemedizin konnte er die Ärzteschaft überzeugen.
    Denn der Weg für die Einführung von Telemedizin wurde Mitte Mai auf dem 121. Deutschen Ärztetag freigemacht. Künftig können Ärzte Diagnosen per Video stellen oder Rezepte und Krankschreibungen online ausstellen. Viele Befürworter erwarten von telemedizinischen Anwendungen einen erheblichen Schub für die Digitalisierung des Gesundheitswesens insgesamt. Seit Mai sind einige Anbieter digitaler Gesundheitsakten oder von Gesundheitsplattformen angetreten, um das deutsche Gesundheitswesen fit zu machen für Bits und Bytes. Pflegekräfte zum Beispiel sollen von lästigen Verwaltungsarbeiten befreit werden, die einen Krankenpfleger zum Beispiel gut zwei bis drei Stunden pro Tag in Anspruch nehmen.

    Manfred Kloiber: Wie schnell können wir denn hier Fortschritte erwarten?
    Peter Welchering: Hinsichtlich solcher Fortschritte sind Kenner des deutschen Gesundheitswesens skeptisch. Das liegt nicht nur daran, dass die elektronische Gesundheitskarte bisher ein Flop war. Das liegt auch daran, dass das Geschäft mit gestohlenen medizinischen Daten ein richtiger Hit ist. Darüber haben wir ja schon des Öfteren berichtet. Das Problem nun: Wir brauchen hier eine solide Digitalisierung mit hoher Sicherheit für die Patientendaten, auch für andere medizinische Daten. Und genau dieses Vorhaben einer soliden Digitalisierung, das steckt in einer Art Zangenangriff fest. Der eine Hebel der Zange ist die viel zu langsame überbürokratisierte und mit einer teilweise etwas dubiosen Vergabepraxis einhergehende Abwicklung bisheriger Projekte in Sachen Digitalisierung des Gesundheitswesens. Da ist die elektronische Gesundheitskarte ein prima Beispiel dafür. Der andere Hebel der Zange sind Start-ups in diesem Bereich, die schnell Geld verdienen wollen, in der Politik mächtig Druck machen und in Sachen Datensicherheit nicht sehr viel zu bieten haben.
    Kloiber: Wohl auch deshalb werden in der Ärzteschaft die Datensicherheit und der Schutz der Patientendaten so intensiv diskutiert wie noch nie zuvor. Einige Gesundheitspolitiker bezeichnen das als konservatives Blockieren neuer digitaler Möglichkeiten. Andere betonen dagegen, dass viele Konzepte digitaler Gesundheitsakten hinsichtlich der notwendigen Datensicherheit noch nicht durchdacht sind. Von dieser Diskussion wird auch der weitere Verlauf von Digitalisierungsprojekten im Gesundheitswesen abhängen.

    Beitrag:
    Patientendaten sind in Deutschland einfach miserabel gesichert. Im vergangenen Jahr sind Online-Kriminelle so oft wie noch nie in die Computer von Kliniken, medizinischen Forschungseinrichtungen und Arztpraxen eingebrochen. Sie haben Diagnosen, Krankengeschichten und medizinische Studienergebnisse gestohlen. Den Krankenhäusern fehlte das Geld für die ausreichende Absicherung ihrer medizinischen Daten. Und bei vielen Praxissystemen haben die Hersteller Sicherheitsaspekte viel zu gering geschätzt. Da werden zum Beispiel von einem Praxissystem Laborergebnisse unverschlüsselt per Mail verschickt. Vielen Ärzten, Pflegern und anderen medizinischen Fachangestellten ist gar nicht klar, wie wichtig es ist, Mails mit Diagnosen, Röntgenbilder oder anderen Untersuchungsergebnissen zu verschlüsseln. Sie greifen beim Versand solcher medizinischer Daten zur bequemsten Lösung. Und die lautet oftmals WhatsApp, Facebook Messenger oder Google-Mail. Das hat das Deutsche Datenschutzinstitut in einer Umfrage kürzlich ermittelt.
    Viele Praxen kommunizieren noch per Fax
    Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, der sich für die Zulassung von Telemedizin in Deutschland stark gemacht hat, sieht hier durchaus noch Verbesserungsbedarf: "Mit Sicherheit ist die Übermittlung von relevanten persönlichen Daten wie Laborbefunden oder Befunden von Röntgenuntersuchungen oder ähnlichem durch Mail oder gar Messenger in Zukunft kritisch zu hinterfragen. Aber ich erinnere Sie daran, dass es noch sehr viele Krankenhäuser und Praxen gibt, die noch per Faxverkehr miteinander kommunizieren. Das ist einfach die gelebte Realität."
    Rettungssanitäter senden zum Beispiel oftmals Aufnahmen eines Unfallopfers per Whatsapp an die Notaufnahme der Klinik. Das ist gut gemeint. Denn die Klinikärzte sollen sich bereits vor der Ankunft des Rettungswagens im Krankenhaus ein Bild von der Art und Schwere der Verletzungen machen können. Das spart im Notfall wertvolle Zeit. Allerdings übersehen Sanitäter, die solche Bilder im guten Glauben an die Klinik schicken, dass diese Aufnahmen automatisch in der Fotogalerie des Smartphones gespeichert werden. Hier benötigt der Rettungsdienst angepasste Smartphone-Apps für den verschlüsselten und abgesicherten Versand solcher Bilder in die Klinik. Doch dafür gibt es bisher kein Geld. Gesundheitspolitiker und Ärzte müssen sich um eine Lösung kümmern.
    Ärztechef fordert sichere Datenübertragung
    Und so appelliert Ärztechef Montgomery denn auch an seine Kolleginnen und Kollegen: "Ich kann dem Arzt nur sagen: Du darfst kein unsicheres Verschlüsselungssystem für die Übertragung solcher Daten verwenden. Im Bereich der kassenärztlichen Vereinigungen, also der niedergelassenen Ärzte, gibt es ja heute bereits mit Safenet und mit verschiedenen Konnektoren und mit verschiedenen Plattformen, gibt es ja sehr sichere Systeme, die die Datensicherheit der Patienten gewährleisten."
    Solche Lösungen mit hohen Sicherheitsanforderungen werden sich nur sehr langsam flächendeckend im Gesundheitswesen durchsetzen. Das liegt auch daran, dass die eigens für das Gesundheitswesen entwickelten Lösungen kompliziert zu bedienen sind. Im Zweifelsfall wird der Klinikarzt oder Praxisinhaber lieber zum gewohnten Messenger oder dem vertrauten Mail-Account greifen als zu einem benutzerunfreundlichen teuren und leistungsschwachen Kommunikationssystem, das eigens für das Gesundheitswesen entwickelt wurde. Soll die Telemedizin wirklich zu einer verbesserten Versorgung der Patienten beitragen und dem Arzt den Alltag erleichtern, müssen durchdachte und benutzerfreundliche IT-Systeme für das Gesundheitswesen her. Die über 15 Jahre lang immer wieder gemachten Fehler bei der Entwicklung der elektronischen Gesundheitskarte dürfen sich nicht wiederholen.