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Digitaler Impfpass
Stiko: Ohne gleiche Impfchancen, keine Sonderrechte für Geimpfte

Ein digitaler Impfausweis schürt die Hoffnung auf mehr Normalität in der Corona-Pandemie bei Reisen und im Alltag. Doch solange nicht genug Impfstoffe zur Verfügung stehen, sollten Geimpfte keine Sonderrechte bekommen, so der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens.

Von Christine Westerhaus | 17.03.2021
Impfpass aufgenommen am Donnerstag 11. März 2021 im österreichischen Schwaz
Die EU plant einen digitalen Nachweis für Geimpfte, die dann zum Beispiel reisen könnten (picture alliance - dpa / EXPA / APA / picturedesk.com | EXPA)
In Israel gehört er seit Ende Februar zum Alltag. Dort können sich Menschen, die sich gegen Sars-CoV-2 haben impfen lassen, eine App mit einem grünen Impfpass herunterladen. Dieser digitale Ausweis sichert den Menschen Zugang zu Cafés oder Restaurants. Und auch Fluggesellschaften planen, künftig nur Menschen zu befördern, die nachweislich gegen Sars-CoV-2 geimpft sind. Thomas Mertens, der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), findet es deshalb sinnvoll, einen solchen digitalen Impfpass auch in Deutschland einzuführen.
"Also zunächst glaube ich, dass sich das gar nicht verhindern lässt. Weil, wie Sie schon richtig sagen, sind es ja internationale Gesellschaften, Fluggesellschaften, Reiseunternehmen, die letztendlich das meiner Ansicht nach in ihre Vertragsbedingungen durchaus aufnehmen können. Und es wäre schon ein Rieseneingriff, wenn man von gesetzgeberischer Seite her hier einen Eingriff in die Freiheit der Vertragsgestaltung vornehmen würde, um das zu verhindern. Kommt noch hinzu, dass es selbst, wenn wir das auf nationaler Ebene tun, das wahrscheinlich international keinen Effekt haben würde. Also ich glaube das man das gar nicht wird verhindern können."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Bestimmte Bereiche müssen immer für alle zugänglich sein

Dennoch sollten bestimmte Einschränkungen gelten für die Privilegien, die der Corona-Impfpass verschafft, sagt Thomas Mertens. Denn bestimmte Bereiche des öffentlichen Lebens müssen für alle Menschen zugänglich sein. Also auch für jene, die noch nicht geimpft sind.
"Es kann natürlich nicht gelten für Dinge, die die Menschen zur Gestaltung ihres Lebens wirklich brauchen. Also im öffentlichen Personennahverkehr, da kann ich mir das nicht vorstellen. Ich kann es mir auch nicht vorstellen für Zugang in Krankenhäuser oder Ähnliches, wir können ja jetzt eine lange Liste machen. Da kann das sicher nicht als begrenzend eingeführt werden."
Mehr Freiheiten für Geimpfte?
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Und es gibt eine zweite Bedingung, die erfüllt sein sollte, bevor der Corona-Impfpass als Eintrittskarte für die Rückkehr zur Normalität dienen kann, meint der Stiko-Vorsitzende. Jede Bürgerin und jeder Bürger muss wenigstens die Möglichkeit gehabt haben, sich impfen zu lassen. Ohne diese Chancengleichheit sollte der digitale Ausweis Geimpften keine Sonderrechte beim Zugang zu Veranstaltungen oder Reisen ermöglichen. So sieht das auch der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme vom Februar.
"Die Ungerechtigkeit könnte man darin sehen, dass wenn nicht alle Menschen die Chance gehabt haben, sich zu impfen, dass dann natürlich, da ein Gerechtigkeitsaspekt mit hineinkommt. Und ganz sicher wird irgendwann allen ein Impfangebot gemacht werden können. Und wenn einer dann das Impfangebot sozusagen bewusst ablehnt, was er natürlich kann – wir sind ja nicht und ich bin auch nicht für eine Pflichtimpfung - dann ist es ja letztlich seine freie Entscheidung."

Keine Impfpflicht durch die Hintertür

Gegner des Impfpasses kritisieren, er räume Geimpften Sonderrechte ein und führe damit zu einer Art Impfpflicht durch die Hintertür. Doch wenn Nicht-Impfwilligen der Zugang zu Flugreisen oder Konzerten verwehrt werde, sei das kein Eingriff in deren Persönlichkeitsrechte, argumentiert Mertens.
"Ich verstehe es so, dass man damit den Menschen die Möglichkeit gibt, Freiheiten und Rechte, die sie haben, zurückzugeben. Und natürlich: Dass man das auch sozusagen umgekehrt sehen oder argumentieren kann, verstehe ich. Aber ich halte es nicht für korrekt."
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen digitalen Corona-Impfpass sieht Thomas Mertens inzwischen als erfüllt an: Eine Sars-CoV-2-Impfung schützt Menschen nicht nur vor schweren Infektionsverläufen. Neue Studien zeigen, dass sie meist auch verhindert, dass Geimpfte das Virus auf andere Menschen übertragen.
"Das, was jetzt sehr klar ist, ist, dass der Individualschutz vor Erkrankung gut funktioniert. Viel besser, als wir das alle erwartet haben. Das gilt für alle Impfstoffe. Die zweite Frage: Wie gut die Impfung vor Infektion schützt und dann die dritte Frage: Wie viel Virus dann, der sich nach Impfung infiziert hat, noch ausscheiden kann, da gibt es erste Daten jetzt, die alle darauf hinweisen, dass die Ausscheidung deutlich reduziert ist. Sehr deutlich reduziert ist, davon kann man ausgehen."

Viele offene Fragen für die praktische Umsetzung eines Corona-Impfpasses

Aus epidemiologischer Sicht steht der Einführung eines Corona-Impfausweises also nichts mehr im Weg. Doch was die praktische Umsetzung angeht, gibt es noch offene Fragen. Neben der Einführung einer App gibt es Überlegungen, Impfungen EU weit in einer Datenbank zu registrieren. Oder für jeden Geimpften einen personalisierten Barcode zu erstellen, der beim Zugang zu Konzerten oder Flugzeugen abgelesen werden kann.