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Digitales Logbuch: Chinesische Episode

Liebes Google, seit Jahren nutze ich Deine Suchmaschine. Nur wirklich selten bin ich Dir untreu geworden. Gut, es gab da mal eine Episode. Da war Bing ganz neu auf dem Markt. Schließlich bin ich dann doch wieder zu Dir zurückgekehrt.

Von Marcus Schuler |
    Das ist wie bei einem alten Ehepaar: Man hat sich aneinander gewöhnt, möchte auf liebgewordenes nicht verzichten.

    China, mein liebes Google, ist ein Thema, das Dich in einem anderen Licht erscheinen lässt. Offen gestanden, so lieb und teuer bist Du mir schon seit längerem nicht mehr. Das hat viele Gründe. Du bist mittlerweile ein riesiger Konzern. Von Deiner Jugendlichkeit, Deiner Spontaneität ist nicht mehr viel geblieben. Aber vielleicht ist das ja normal, wenn man so groß ist, wie Du.

    Zunächst erinnere ich mich da an den Januar 2006. Weißt Du noch? Das amerikanische Justizministerium wollte da Zugriff auf Deine Suchprotokolle haben. Ein digitaler Aufschrei ging durch die Welt. Auch Du hast protestiert. Ein paar Tage später, und da gehörte dann schon etwas Huzpe dazu, hast Du angekündigt, Dich in China den Zensurbestimmungen zu beugen. Okay dachte ich, viele andere Unternehmen sind ja auch da. Wichtiger Markt. Wandel durch Annäherung. Mal abwarten, was passiert.

    Den Zirkus, den Du die vergangenen Wochen veranstaltet hast, mag ich nicht nachvollziehen. Ich fand das alles ziemlich hysterisch, Effekthascherei.

    Du gehst raus aus China, bleibst aber da. Ziehst nach Hongkong um und bist deshalb nur "ein bisschen schwanger".

    Jahrelang hast Du die chinesische Zensur toleriert. Dann sind chinesische Hacker in Deine Server eingedrungen. Und plötzlich merkst Du, wie mies dieses ganze Spiel ist. Nach vier Jahren in China wird Dir klar, auf was Du Dich da eingelassen hast. Naiv kann man das schon nicht mehr nennen.

    Nun ist Dir auf einmal ein freies, ein unzensiertes Internet wichtig.

    Ans amerikanische Außenministerium schickst Du ein Postulat, willst, dass die US-Regierung auf Peking Einfluss nimmt und schiebst geschickt den schwarzen Peter weiter.

    Liebes Google, wie inkonsequent ist das denn bitteschön?