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Digitales Logbuch: German Granny unterwegs

Frau Schmitz, meine Nachbarin, eine nette Omi, hat bei mir geschellt. Sie haben doch so einen Apparat! Sie sagte tatsächlich "Apparat". Mit dem Apparat kann man doch das Internet besuchen und Flüge nach Japan kaufen? Auch "besuchen" hat sie tatsächlich gesagt.

Von Tobias Bungter |
    Sie brachte Kaffee Hag, Doppelkekse und ihren Diercke-Weltatlas mit. Wir besuchten das Internet mit seinen Googlemaps und Flugbörsen, und fast fühlte sich Frau Schmitz, als wäre sie schon da, bei ihrem Neffen Johann. Drei Tage später holte ein Taxi Frau Schmitz ab. Sie winkte fröhlich aus dem Seitenfenster. Bald erreichte mich eine Postkarte (aus richtigem Papier) – aus New York. New York? War das nicht die falsche Richtung? Aber nein, Frau Schmitz hatte sich einen dieser unglaublichen Billigflüge geschnappt. Von da aus sollte es also weiter gehen. Ich war gespannt.

    Dann erkannte ich Frau Schmitz, als ich nachts mit meinem Apparat auf Bibelseiten aus dem amerikanischen mittleren Westen herumsurfte. Der Bericht hieß: "German Kraut Granny walks across America". Mir schwante nichts Gutes. Ich hätte Frau Schmitz nicht zeigen sollen, wie man die Routenplanung bei Googlemaps von "Auto" auf "Fußgänger" umstellt. Jetzt folgten ihr Blogger und Facebooker: Frau Schmitz in Ohio, Frau Schmitz in Montana, Frau Schmitz in Washington. Für den Fußweg nach Seattle brauchte meine liebe Nachbarin vierzig Tage, nur drei Tage weniger als von Google ausgerechnet. Eine unglaubliche Kondition, kam das von den Doppelkeksen?

    Als German Granny dann an der Westcoast das Kajak kaufte und in den Pazifik stach, wurde mir mulmig zumute. Googlemaps empfiehlt tatsächlich ein Kajak, um von den USA nach Japan überzusetzen. Eine schnurgerade, blaue Route quer über den Pazifik, mit einem Knick in Hawaii. Ein kleiner Scherz der Kartenhüter bei Google, über 6000 Meilen eisernes Paddeln für Frau Schmitz. Ohne Kaffee Hag, ohne nichts. Ob sie jemals bei ihrem Neffen Johann in Japan angekommen ist? Vielleicht war Johann ja längst verstorben? War Frau Schmitz, meine liebe Nachbarin… Ich durfte gar nicht daran denken. Ihre Doppelkekse werde ich wohl nie wieder probieren können.

    Moment einmal – fährt da gerade ein Taxi vor? Das ist doch Frau Schmitz auf dem Rücksitz? Sie winkt mir zu! Ja, Frau Schmitz, ich komme! Setzen Sie Kaffee Hag auf und ich schalte schon einmal den Apparat ein!