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Digitales Logbuch: Passwort-Ex

Mittags um 12 war es endgültig vorbei: Das Passwort-Ex-Gesetz trat in Kraft. Die Werktätigen, die am Morgen noch elf Passwörter hatten eintippen müssen, um überhaupt ihre Arbeit zu beginnen, warfen die Passwortzettel in den Papierkorb.

Von Maximilian Schönherr |
    Wer sich jahrelang beim Abholen seiner E-Mail mit Passwort1, Passwort18 und dergleichen legitimieren musste, fand jetzt das Feld zum Eingeben des Passworts nicht mehr. Er war sofort drin.

    Wegen der Geheimdienstschnüffelei waren viele dazu übergegangen, ihren Datenverkehr zu verschlüsseln. Diese Schlüssel fanden nun keine Schlösser mehr, denn seit Mittags um 12 hatten sich alle Türen und Portale geöffnet, einfach so. So kam nun jeder an jedes anderen Daten, an die Bilder, die Lesezeichen, die Mails, die Bankkonten.

    Onlinebanking wurde kurzzeitig zum Volkssport, denn man griff auf jedes beliebige Konto zu, auch in der Schweiz und bei Goldman Sachs und auf den Dardanellen, verschob – was für ein Spaß! –Millionenbeträge ganz legal, ohne Pin und Tan. Pins und Tans waren ja auch Passwörter, fielen also unter das Passwort-Ex-Gesetz und waren damit abgeschafft. Die Trojaner-Industrie und die Spam-Versandhäuser fanden keine Opfer mehr, ihre eigenen Geldkonten wurden zwischenzeitlich geplündert.

    Das Plündern und Spähen hielt nur wenige Stunden an, denn im Nu lernten alle, dass das Onlinegeld, wie alles Geld, eine zwar ungerecht verteilte, aber ziemlich beliebige Ansammlung von Ziffern war, nichts weiter.

    In den Nobelvororten Grünwald und Marienburg öffneten sich die Wegfahrsperren der Luxuslimousinen und die fünffach alarmgesicherten Pforten von selbst. Es steckten ja auch Passwörter dahinter. Gegen 17 Uhr kamen die Jungs von der Tankstelle in die Villa von Frau von Junka rüber, der die Bäckereien in der Stadt gehörten – bis vor fünf Stunden. Man trank Tee und Bier. Frau von Junka gefiel das nicht, sie wollte schon die Polizei rufen, aber sie geriet dabei in ein Telefonat des Bundespräsidenten mit der Kanzlerin, die beiden lachten und sagten, morgen würden weltweit die Kriminalbehörden ihre Cybercrime-Abteilungen auflösen – an sich eine streng geheime Information, aber was war schon noch streng geheim? Die Politiker wünschten allen, die mithörten, einen schönen Abend. Und den wünschen wir Ihnen auch!