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Digitales Logbuch: Wiki-Plag-Geister

1968 war die Welt gar nicht in Ordnung, aber die Welt der Doktorarbeiten schon. Wer sich "Dr." nennen wollte, musste lesen, lesen, schreiben, schreiben, lesen, lesen, schreiben. Im Zeitalter des World Wide Web ist das nicht mehr nötig.

Von Maximilian Schönherr | 16.04.2011
    Das, was in der Jedermanns-Enzyklopädie Wikipedia von Anfang an zwingend war, nämlich jede noch so triviale Aussage mit einer Quelle zu belegen, sonst fliegt sie raus, ist in der akademischen Welt nicht mehr erforderlich, wenn man sich zum Beispiel als FDP-Europaabgeordnete und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Dr. Silvana Koch-Mehrin nennen will.

    Nur eins von vielen Beispielen: Frau Doktor Koch-Mehrin schrieb im Jahr 2000 in ihrer Doktorarbeit den Satz:

    "Im Mai 1881 kamen französische Armeen nach Tunis, das seit längerem bevorzugtes Ziel italienischer Siedler gewesen war."

    Völlig korrekt, dieser Satz, aber es gab ihn halt schon mal, nämlich 1968. Der inzwischen verstorbene Kolonialhistoriker Rudolf von Albertini hatte ihn genau so aufgeschrieben. Und er fuhr damals fort:

    "Im Vertrag von Bardo zwischen Frankreich und dem Bey von Tunis wurde ein französisches Protektorat über Tunesien errichtet."

    Während Frau Dr. Koch-Mehrin so fortfährt:

    "Im Vertrag von Bardo zwischen Frankreich und dem Bey von Tunis wurde ein französisches Protektorat über Tunesien errichtet."

    Ob so etwas einmal oder, wie hier – und bei Herrn Dr. zu Guttenberg und bei dem CDU-Politiker Dr. Matthias Pröfrock – systematisch passiert ist, spielt überhaupt keine Rolle. Eine auch noch so kleine Übernahme von ein, zwei Sätzen ohne Quellennennung ist nicht nachlässig, kein Versehen, kein Flüchtigkeitsfehler, sondern bewusst bösartig und gemein. Man leiht sich nicht Albertinis Wälzer über europäische Geschichte aus der Bibliothek und überträgt wie in Trance Satz für Satz in die eigene wissenschaftliche Arbeit.

    Und wir verdanken es wieder dem Internet, dass man die alten Stellen findet, von denen abgeschrieben wurde, und wir verdanken der Wikipedia, dass man mit ihrer Technik Wiki-Plags erstellen kann, wo alle beim Aufdecken von Plagiatsdoktorarbeiten mitmachen können. Echte Plag-Geister. Eine ganz Geplagte ist Edmund Stoibers Tochter, die Anwältin Dr. Veronica Saß – sie schrieb fahrlässig ab, nämlich direkt aus der Wikipedia. Deswegen gibt es für sie jetzt die VroniPlag Wiki.