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Vielfalt der globalen Popkultur

Jeder kann in die Musikwelt von Jakarta, La Paz oder Kapstadt eintauchen. Per Klick. Dass diese digitale Globalisierung nicht zu einem musikalischen Einheitsbrei führt, will die Wanderausstellung "Seismographic Sounds – Visionen Neuer Welten" zeigen. Sie ist im ZKM Karlsruhe zu sehen.

05.10.2015
    .Die Sängerin ist in Nigeria ein Superstar, der auch mal Tipps zum Schluss machen gibt. Wie im Video zu "Pata Pata". Klingt nicht nach folkloristischer Weltmusik aus Nigeria. Sondern nach Pop mit Aussage, findet Theresa Beyer vom Online-Netzwerk "Norient".
    "Sie hat einen ganz außergewöhnlichen Sound. Es hat eine feministische Komponente drin: Frauen, die selbstbestimmt Beziehungen beenden sollen."
    Und genau deshalb hat sie das Video ausgewählt.
    "Das sind auch Statements, die da innerhalb eines Mainstream-Musikmarktes präsent sind."
    Visionen, Utopien, Realitäten in aktuellen Musikvideos. Theresa Beyer und Thomas Burkhalter suchen nach einer neuen Welt in der globalen Popmusik. Mit der Ausstellung "Seismographic Sounds".
    "Weil all diese Geschichten ein Barometer sind, was heute möglich ist, und was nicht möglich ist und was heute die Leute beschäftigt."
    Dass Popmusik, nicht nur die westliche, auch die in Ghana oder Pakistan, etwas über den Zustand der Gesellschaft verrät, ist keine neue Erkenntnis. Sie wird aber durch das Internet und Youtube sichtbarer.
    "Man könnte die Videos auch auf dem eigenen iPad schauen."
    Warum also "Seismographic Sounds" besuchen?
    Tatsächlich: Das Internet ausstellen gelingt hier überraschend gut. Hier hängen keine 26 Bildschirme an der Wand. Sondern drei Boxen wie ein kleines Kino zeigen ein Video nach dem anderen. Ohne weiterspulen oder noch schnell Facebook checken.
    "Sachen, die sonst verborgen sind, für ganz viele. Heutzutage hat kaum jemand mehr die Zeit, zu recherchieren."
    Darum hat das Wort "kuratieren" Konjunktur. Weil Auswählen im Netz so wichtig geworden ist, aber natürlich auch schwierig. Deshalb ist es gar nicht so banal, 26 spannende Musikvideos aus der ganzen Welt zu suchen.
    "Das ist auch bei dieser Ausstellung wichtig, dass wir nicht die allwissenden Kuratoren sind. Wir haben vor zwei Jahren einen Aufruf gemacht, dass sie uns die besten fünf Clips ihres Landes schicken. Wir haben dann 2000 Videos bekommen, die wir uns angeschaut haben. Daraus sind die 26 Clips entstanden."
    Kein musikalischer Einheitsbrei. Hip Hop aus Pakistan, frickelnde Elektrosounds aus Bolivien, Krautrock aus Finnland. "Gangnam Style" von Psy hat gezeigt: Durch Youtube und Soundcloud dringt die Musik, die wirklich in Südkorea gehört wird, an die Welt, und nicht die folkloristische Weltmusik.
    Beim Durchforsten der 2.000 Videos haben Beyer und Burkhalter sechs dominierende Themen gefunden und die 26 Musikclips danach sortiert: Krieg, Begehren, Geld, Exotik, Zugehörigkeit. Oder:
    "Einsamkeit kam brutal viel vor. Und sehr viel in Europa. Dieses Klischee von der Vereinzelung: vom Burn-Out, ‚keiner hilft dir'. Und das findet man in Videos."
    Neben den drei Videoboxen erzählen Podcasts von Musikern auf der ganzen Welt: Dass es in Pakistan keine Tantieme, aber viele Raubkopien gibt. Dass Musiker in Ghana nicht mehr auf den europäischen Markt schielen, sondern nur darauf warten, von einer großen Marke unterstützt zu werden.
    "Wir wollten, dass die Videoclips und Podcasts für sich alleine stehen und leben. Und hier gibt es die Meta-Ebene."
    An einem runden Tisch sitzen drei Bildschirme. Dazwischen freie Stühle für den Besucher. Sieht wie eine Fernsehtalkshow aus.
    "Wir haben verschiedene Musiker und Blogger, Wissenschaftler auf der ganzen Welt gefragt. Zum Beispiel: ‚Kann ein Bedroomproducer die Welt verändern?'. Wie viel kann man vom Hinterzimmer aus anrichten, wie viel kann man mitmischen am internationalen Musikmarkt."
    Burkhalter und Beyer zeigen auch hier eindrücklich, wie viel Sinn es machen kann, Musik und Internet auszustellen. Sie haben die wackeligen Handyfilme zu einer lebendigen Diskussion arrangiert.
    Pop kann die Welt verändern? Schön wär's. Das Internet hat zumindest den Pop verändert. Das war zwar schon vor "Seismographic Sounds" klar – doch die Ausstellung reflektiert globale Musikkulturen. Und zeigt dabei, wie mithilfe des Internets eine Ausstellung entstehen kann. Deshalb: Internet aus und rein in die Ausstellung.