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Digitales Vergessen wird möglich

Internet.- Ein peinliches Bild von der letzten Party, ein unüberlegter Kommentar, der einem später unangenehm ist: zwei Beispiele für digitale Daten, die man gern aus dem Netz tilgen möchte. Dabei könnte ein Verfallsdatum für Webinhalte behilflich sein.

Von Jan Rähm |
    "Das Internet vergisst nichts. Viele Daten, die man freigibt, lassen sich nicht mehr zurückholen, sie bleiben damit für die Allgemeinheit dauerhaft im Internet verfügbar. Auch im Internet müssen sie Ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung durchsetzen können. Dies umfasst beispielsweise auch die Entscheidung, wer die letzten Urlaubsfotos im Netz anschauen kann und wie lange sie dort veröffentlicht werden,"

    sagt Juliane Heinrich. Sie ist eine Mitarbeiterin des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. Sie bringt auf den Punkt, was nicht nur viele Politiker, sondern auch Betroffene fordern: Ein Internet, das auch einmal etwas vergessen kann. Gemeint sind vor allem Suchmaschinen und Web-Archive, die alles speichern, was sie digital vor die Nase gesetzt bekommen. Doch ihnen das Vergessen beizubringen, fällt schwer. Informatiker der Universität des Saarlandes gehen nun den umgekehrten Weg. Sie geben digitalen Daten ein Verfallsdatum und schützen sie gegen die Suchmaschinen. Der Professor für Informationssicherheit und Kryptografie Michael Backes hat die Entwicklung geleitet. Anhand eines Bildes erklärt er, wie die Technik funktioniert.

    "Das Bild wird verschlüsselt und wird in verschlüsselter, also unkenntlicher Form hochgeladen. Der Schlüssel wird an irgendeiner anderen Stelle gespeichert. Wenn jetzt jemand dieses Bild anschauen möchte, dann wird sein Browser vollautomatisch erkennen, dass dieses Bild verschlüsselt ist, also völlig unkenntlich, und wird den Schlüssel von diesem Server anfordern. Der Server wird einfach testen, ob das Verfallsdatum bereits erreicht wurde. Wenn es noch nicht erreicht wurde, wird der Schlüssel herausgegeben, das Bild wird dechiffriert und wird in ursprünglicher Form angezeigt und wenn der abgelaufen ist, bekommt man einfach als Antwort: 'Nein, den geb' ich nicht raus und das Bild bleibt für alle Zeiten unkenntlich.'"

    Und das klappt auch mit Texten oder Videos. Doch wer nun denkt, das System würde einiges an technischem Wissen erfordern, den beruhigt der Professor. Nur wenige Hangriffe und eine kleine Erweiterung für den Webbrowser sollen reichen, um die Daten zu schützen.

    "Im Wesentlichen braucht nur derjenige ein Add-On, der die Daten wirklich hoch lädt, zumindest wollen wir das erreichen. Und wir wollen das so einfach handhabbar machen wie möglich. Das heißt, der Benutzer muss lediglich durch einen einfachen Klick mit der Maustaste ein Datum eingeben, mehr ist nicht vonnöten. Wir machen das jetzt gerade in prototypischer Form für Firefox. Es sollte in den nächsten Wochen, wir hoffen Ende Juli, ansonsten spätestens im August, fertig werden und es wird bereits benutzbar sein."

    Ganz ohne Zusatz für den Browser soll der Betrachter der Inhalte auskommen.

    "Derjenige, der die Sachen liest, hat überhaupt keinen Mehraufwand. Das ganze wird völlig automatisch im Hintergrund gehen, zumindest im Grundsystem. Man benutzt noch sogenannte Captchas als letzte Sicherheitshürde. Das heißt, derjenige der zum Beispiel ein Bild anschauen möchte, bekommt zuerst ein sogenanntes Captcha, also ein Puzzle vorgesetzt, das er kurz lösen muss. Das dauert für einen Menschen eine Sekunde. Das sind zum Beispiel diese versteckten Buchstaben in einem farbigen Bild, die Sie dann abtippen müssen. Das muss vom Menschen gelöst werden erst wenn das gelöst wird, werden die Sachen wieder korrekt angezeigt, falls das Verfallsdatum noch nicht erreicht wurde."

    Das Puzzle-Bild ist für Maschinen nur schwer zu entschlüsseln. So sollen Suchmaschinen gehindert werden, die Daten zu erfassen. Das geht zwar auch heute schon mithilfe der Einstellungen am eigenen Server. Doch wer den nicht selbst betreibt, ist auf den Administrator angewiesen. Mithilfe der Technik aus dem Saarland soll jeder Benutzer selbst entscheiden können, wer was anschauen und gegebenenfalls speichern kann. Doch Michael Backes schränkt ein, das System sei kein Allheilmittel.

    "Wenn ich eine digitale Kopie davon mache oder im schlimmsten Fall einfach mit der Digitalkamera meinen Bildschirm abfotografiere, dann hab ich dieses Bild natürlich auch für alle Zeit. Das heißt, wenn ich es so mache, hab ich es dem Schutz entzogen. Und dagegen kann man sich auch nicht wehren. Offensichtlich, weil es soll ja angezeigt werden und ich kann die Leute ja nicht davon abhalten, mit einer Kamera den Bildschirm abfotografieren. Dagegen können Sie einfach nichts tun. Wogegen wir uns wirklich schützen, sind die Fälle, wo bis zum Ablaufdatum keiner auf die Idee gekommen ist, im Prinzip bösartig ihre Sachen zu kopieren und anderswo wieder neu ins Netz zu stellen."

    Selbst wenn das System so funktioniert wie der Professor es verspricht, bleibt die Verantwortung beim Nutzer. So wie er heute überlegen muss, was er im Netz veröffentlicht, so muss er zukünftig daran denken, sensible Daten dem automatischen Verfall preiszugeben. Und trotzdem: Mit der neuen Technik schaffen die Informatiker ein System, das der Sammelleidenschaft im Internet Grenzen setzt und den Benutzer Zugriffe auf digitale Inhalte besser steuern lässt.