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Digitales Vollbad

Die Studie des von Matthias Horx gegründeten Zukunftsinstituts "Schlüsseltrends des digitalen Wandels" zeigt gute und schlechte Trends. Für Mitautor Andreas Haderlein ist wichtig, dass ein Kollektiv wie bei der Guttenberg-Affäre eine entscheidende Rolle spielen kann.

Andreas Haderlein im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Hier ist das "Kultur heute"-Netz im Deutschlandfunk-Netzwerk, und jetzt geht es um die Netzgesellschaft - so heißt eine Studie des von Matthias Horx gegründeten Zukunftsinstituts -, Untertitel: Schlüsseltrends des digitalen Wandels. Es geht nicht um die technischen, sondern um die gesellschaftlichen Entwicklungen, die das Internet mit sich bringt, und ich habe den Autor der Studie, Andreas Haderlein, gebeten, einige der von ihm identifizierten Schlüsseltrends zu nennen und zu erläutern.

    Andreas Haderlein: Die fundamentalen Bewegungen, die das Internet angestoßen hat, dazu zählt zum einen, ich habe es bezeichnet mit Open Everything, die Welt gehört der Offenheit, also Thematiken wie Open Source, Open Dater, Open Knowledge. Alles, wo es sich um freie Verfügbarkeit, um offene Datenbestände dreht, dort spielt das Thema Open, also Offenheit, eine große Rolle, und das hat nun mal das Internet befördert.

    Ein zweiter wichtiger Trend ist der Bereich Crowdsourcing, also die kollektive Lösungssuche im Internet. Groß gemacht hat dieses Thema natürlich das Marketing, aber Crowdsourcing findet heute in vielerlei Hinsicht statt, denken Sie auch an Plattformen wie FixMyStreetaus Großbritannien, wo Bürger Schlaglöcher melden können und die dann sozusagen zentral irgendwo einfließen und dann von der Behörde erfasst werden.

    Müller-Ullrich: Gehört auch die ganze Schwarmintelligenz dazu und vielleicht auch das Phänomen Guttenplag, wo also alle aufgefordert waren zu melden, was sie noch bei Guttenbergs Doktorarbeit an faulen Stellen fanden?

    Haderlein: Das ist richtig, und genau darum geht es auch, wo sozusagen ein Kollektiv von mehr oder minder aktiv beteiligten Menschen herangezogen wird oder genutzt wird, um Lösungen herbeizuführen, Fehler zu finden, und GuttenPlag ist natürlich ein schönes Beispiel und es kam auch genau zur richtigen Zeit, nämlich als ich in der Schlussphase dieser Studie war, und das musste ich dann natürlich auch noch mit reinnehmen.

    Müller-Ullrich: Was mir auffällt beim Durchsehen Ihrer ganzen Schlüsseltrends ist, dass das, was Frank Schirrmacher in seinem Buch als Gefahr darstellte, nämlich das Internet spricht ja Englisch, dann müsste man wahrscheinlich sagen, der Trend der Mind Destruction oder so etwas, dass das bei Ihnen ganz anders gesehen wird.

    Haderlein: Oh, ich sehe es durchaus kritisch, auch was das Internet anrichten kann. Nur ich möchte da immer auch noch mal ein Fragezeichen hinter den kulturpessimistischen Äußerungen setzen. Schirrmacher hat es an der einen oder anderen Stelle ein bisschen überzogen, wie ich finde, aber ich bin schon auf seiner Linie. Nur ich mache es Ihnen am besten an einem Beispiel fest: Lehrer fangen oft sehr schnell an, oder Erziehungsberechtigte, Eltern, über das Internet zu klagen, obwohl sie sich gar nicht auf den verschiedensten Plattformen mal umgeschaut haben. Also es geht ja auch darum, die neuen Dimensionen, mit denen man zu tun hat, sich damit auseinanderzusetzen, um dann ein Urteil zu fällen. Ich hatte in meiner Studie auch so ein paar Handlungsanweisungen gegeben für Eltern, für Lehrer letzten Endes auch, und auch ein sehr ausführliches Interview abgedruckt, das ich mit einem Lehrer, der anonym bleiben wollte, geführt habe, der sehr stark die sozialen Netzwerke sowohl in der Didaktik, als auch in der ganz normalen Kommunikation mit den Schülern einsetzt. Und hier gibt es auch sehr viele Potenziale, die man nicht wegreden sollte, sondern sie durchaus mal in den Blick nehmen sollte, denn klar ist: Die neuen Generationen, auch die neue Generation Lehrer, auch die neue Generation Eltern, die wachsen mit den digitalen Medien auf, die haben ein digitales Vollbad genossen und sie wissen dann auch schon, den Spreu vom Weizen zu trennen.

    Müller-Ullrich: Schauen wir noch mal in die Zukunft. Welche Gefahr halten Sie für die größere, dass man einfach zu viel Zeit verplempert mit Sachen, die gewissermaßen elektronisch in sich kreisen und verrauchen, oder, dass man zum anderen keine wirkliche tiefe Beziehung mehr aufbaut, weil es so eine Kultur des Wegklickens eben auch im sozialen Bereich gibt?

    Haderlein: Das Problem der Zeitvergeudung, der Zeitverschwendung, das habe ich auch mit einem Trend sozusagen noch mal näher ins Auge gefasst. Das heißt bei mir Analogisierung. Always on ruft nämlich Antihaltungen hervor und provoziert auch den produktiven Ausstieg aus dem Digitalen, und hier gibt es zahlreiche Beispiele. Unternehmen führen mittlerweile E-Mail-freie Freitage ein, damit man wieder miteinander redet.

    Ihr zweiter Punkt war das Thema Beziehung. Das Internet selbst hat ja dazu geführt, dass wir mit unglaublich vielen Menschen in der ganzen Welt vernetzt sein können. Es ist aber auch ein Trugschluss, denn Forschungen haben ergeben, dass sich in den digitalen Netzwerken die lokalen Gemeinschaften wiederfinden. Gut 70 bis 80 Prozent der Freunde, die man in einem sozialen Netzwerk hat, sind auch die Freunde, die man regelmäßig trifft. Also Sie sehen, dass ich vor allen Dingen den zweiten Punkt, dass das Internet die Beziehungen kaputt macht, so nicht stehen lassen würde, sehr wohl aber, dass das Internet Zeitverschwendung sein kann, wenn man eben nicht weiß, wie man damit umgeht. Es gibt genug Couch-Potatoes im Internet.

    Müller-Ullrich: ... , sagt Andreas Haderlein, Mitautor der Studie Netzgesellschaft, die für schlappe 182 Euro beim Zukunftsinstitut zu beziehen ist.