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Diplom am Fließband

In Rumänien vergibt die Spiru-Haret-Universität jährlich tausende von Hochschultiteln, deren Richtigkeit bezweifelt wird. Die Uni ist eine der größten Hochschulen Europas. Versuche, die Universität zu schließen, scheitern immer wieder.

01.11.2011
    Berlin Friedrichstraße. Im Herzen der deutschen Hauptstadt hat die rumänische Privatuniversität "Spiru Haret" ein großzügiges Büro angemietet. Besuch der Filiale? Fehlanzeige. Eine Frau erteilt einer Interviewanfrage telefonisch eine Absage.

    Der mangelnde Auskunftswille hat einen Grund. In Rumänien gilt die Spiru-Haret-Universität als "Diplomfabrik". Was das bedeutet, weiß der Politologe und Hochschullehrer Cristian Pîrvulescu aus eigener Erfahrung. Er lehrt an der "Nationalen Schule für politische und administrative Studien" in Bukarest. Viele Spiru-Haret-Absolventen, die bei ihm weiterführende Studiengänge absolvieren, seien schlecht qualifiziert.

    "Die Spiru-Haret-Universität hatte oft Probleme mit der staatlichen Anerkennung einzelner Studiengänge, weil die akademische Qualität nicht gesichert war. Sicher, es gibt auch gute Studenten an dieser Universität, aber ihre Anzahl ist geringer als an anderen Hochschulen."

    Gegründet wurde die Spiru-Haret-Uni 1991 von Aurelian Bondrea. Er war während der Ceauşescu-Diktatur ein berüchtigter Bildungsbürokrat und Protegé von Elena Ceauşescu. Nach der staatlichen Zulassung 2002 wurde die Spiru-Haret-Uni schnell zur größten Hochschule Rumäniens mit bis zu 300.000 Studenten. Ihr Erfolgsrezept: niedrige Studiengebühren, wenig Lehrpersonal, viele Fernstudienplätze. Im Studienjahr 2009/2010 kamen an der Spiru-Haret-Uni 148 Studenten auf eine Lehrkraft - an staatlichen Hochschulen Rumäniens betrug das Verhältnis 24 zu eins. Zugleich vergab die Spiru-Haret-Uni jährlich zehntausende Diplome. Dagegen unternahm der rumänische Staat lange nichts. Doch im Herbst 2009 entschloss sich die damalige Bildungsministerin Ecaterina Andronescu, der "Diplomfabrik" die Akkreditierung zu entziehen.

    "Viele Absolventen eines Fernstudiums haben ihre Lehrer niemals getroffen. Die für ein Fernstudium erforderlichen Standards hat die Spiru-Haret-Universität einfach nicht streng eingehalten."

    Ecaterina Andronescu scheiterte mit ihrem Vorstoß. Ihre eigene Partei, die wendekommunistische Sozialdemokratische Partei, zwang sie öffentlich zu einem Rückzieher. Kein Wunder: Politiker aller Parteien haben selbst Titel an der Spiru-Haret-Universität erworben. Erst vor wenigen Wochen stimmte die Spiru-Haret-Führung einer Evaluierung durch die Agentur für Hochschulaufsicht ARACIS zu. Von der Universität selbst ist dazu eine Stellungnahme nur mit großer Mühe zu erhalten. Der Spiru-Haret-Gründer Aurelian Bondrea und sein Sohn Aurelian A. Bondrea, der die Universitätsleitung vor zwei Jahren von seinem Vater übernommen hat, sind nicht zu sprechen. Sie schicken den Prorektor Doinel Dinuică vor.

    "Unser Erfolg hat andere gestört. Wir haben die meisten Studenten, die größte akademische Gemeinde Europas und eine E-Learning-Plattform, wie es sie sonst nur an den besten Unis der Welt gibt. Die große Zahl der Studenten, die wir absorbiert haben, hat einfach zu einer Konkurrenz auf dem Bildungsmarkt geführt."

    Trotz der nun begonnenen Evaluierung muss die Spiru-Haret-Universität wohl vorerst kaum Konsequenzen befürchten. Zu eng sei sie mit Rumäniens politischer und wirtschaftlicher Elite verflochten, meint der Politologe Cristian Pîrvulescu. Doch darüber hinaus, so Pîrvulescu, gehe es auch um Rumäniens gesamte Bildungskultur.

    "Das in Rumänien maßgebliche soziale Modell war lange Zeit das des schnellen Erfolges in der Geschäftswelt und nicht das der Bildung. Wir haben viele reiche Unternehmer, die hinsichtlich ihrer Bildung nichts vorweisen können. Um ihr Image aufzupolieren, haben sie Abschlüsse an privaten Unis gemacht, denn dort war es viel leichter als an den staatlichen Universitäten. Diese Praxis ist wirklich ein Problem in Rumänien."