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Dirk Maxeiner und Michael Miersch: Die Zukunft und ihre Feinde. Wie Fortschrittspessimisten unsere Gesellschaft lähmen.

Vom Wagnis der Freiheit sprach der politische Philosoph Karl Jaspers, wenn er an die Zukunft Deutschlands dachte. Der CDU-Politiker Friedrich Merz zitiert ihn in seinem gerade erschienenen Buch "Mut zur Zukunft". Offenbar gehört zur Zukunftsfähigkeit eines Landes mehr als das Beharren und Festhalten liebgewonnener Lebensumstände. Schon Adenauer nannte als wichtigste Tugend des Politikers eben den Mut. Ohne ihn und ohne dieses Wagnis der Freiheit gibt es keine gedeihliche Zukunft - diese These vertreten jedenfalls auch die Umweltexperten und Zukunftsforscher Dirk Maxeiner und Michael Miersch in ihrem Buch "Die Zukunft und ihre Feinde. Wie Fortschrittspessimisten unsere Gesellschaft lähmen".

Gunnar Sohn |
    Ein Kartell aus Bremsern und Bedenkenträgern erstickt jede Idee, jede Innovation, jede Initiative. Nur kein Risiko eingehen, lautet die neue deutsche Devise, das Streben nach absoluter Sicherheit beherrscht die gesellschaftliche Mentalität. Wo ist das Land des Wirtschaftswunders und des Aufbruchs geblieben? Das Land der Erfinder und Techniker?

    So fragen Dirk Maxeiner und Michael Miersch in ihrem neuen Buch "Die Zukunft und ihre Feinde". Das neue Werk der Öko-Optimisten beschreibt die selbstgerechten Eliten eines er- starrten Wohlfahrtsstaates, analysiert ihre Ideologien und zeigt, wie ihre Regulierungswut und Bevormundung sich auswirken. Die Fortschrittsfeinde sitzen nach Auffassung von Maxeiner und Miersch in allen Parteien, in den großen Verbänden und Kirchen. Damit die Zukunft nicht auf dumme Gedanken kommt, rufen sie nach mehr Verboten, mehr Kontrolle, mehr Institutionen.

    Die Gesellschaft sortiert sich neu. Dabei entsteht eine neue politische Landkarte, jenseits des alten Rechts-Links-Schemas. Auch wenn es linke und rechte Reaktionäre in ihren Schützengräben noch nicht bemerkt haben: Der noch unkartographierte politische Megatrend ist der Zerfall der Lager. Maxeiner und Miersch leisten in ihrem Buch einen ersten Beitrag, die neue politische Landkarte zu sortieren. Sie sehen zwei gegensätzliche Lager. Auf der einen Seite jene, die die Zukunft als Bedrohung empfinden und überall den Teufel an die Wand malen. Technik versklave die Menschheit, ökonomischer Wandel zerstöre die Wurzeln der Gemeinschaft, Freiheit münde in kulturellem Niedergang, wachsender Wohlstand vernichte die Umwelt. Die Zukunft steuere direkt in den Abgrund. Sozialkritiker aus diesem Lager betrachten die Zukunft als bedrohlich, den Fortschritt als Illusion und die Technik als verdächtig. Eine gute Zukunft ist für sie etwas Statisches, alles soll so bleiben, wie es ist. Sie möchten den technischen Fortschritt und den anarchischen Freihandel eindämmen, verlangen nach einem starken Staat, mehr Institutionen, mehr Gremien, mehr Gesetzen. Ihr Lieblingswort ist 'Grenze’. Grenzen entdecken sie überall - allerdings weniger die Grenzen des eigenen Horizonts.

    Immer häufiger und ebenfalls quer durch alle politischen Lager formieren sich allerdings Menschen, die von der Zukunft mehr erwarten als eine Energiesparvariante der Gegenwart. Sie können mit neurotischen Weltuntergangsszenarien nichts anfangen und halten Selbstbeschränkung nicht für die einzig erlaubte Antwort auf alle Zukunftsfragen. Die Autoren beschreiben die Einstellung der Menschen in diesem Lager so:

    Manche von ihnen finden es reizvoll und spannend, einen evolutionären Prozess mit- zugestalten, der die Welt sozial, kulturell und technisch verändert. Sie halten die Zukunft für nicht eingrenzbar und kaum planbar, sondern für durch und durch offen und voller Überraschungen. Um die Probleme der Welt zu meistern, setzen sie auf den Erfindungsreichtum der Menschen, auf Selbstverantwortung und Freiheit. Die Welt von morgen stellen sie sich als ein Ergebnis von Versuch und Irrtum vor, entwickelt von Milliarden Individuen, die ihre Lebenssituation verbessern wollen. Wer so denkt, ist häufig begeistert von der Vielfalt und dem Einfallsreichtum der Menschen in jeder Ecke des Planeten. Er achtet das Experiment, die schrittweise Lösung komplexer Probleme und die Demokratie des Marktes. Instinktiv misstraut er geschlossenen Weltbildern und Verboten, die den Fortschritt anhalten wollen.

    Seltsame Geistesverwandtschaften von vergreisten Linken und Rechten entdecken die beiden Autoren auch in den USA. Zum Beispiel zwischen Pat Buchanan, einer Galionsfigur reaktionärer Nationalisten, und Jeremy Rifkin, einem Idol der Grünen und Linken. In der eigentlich konfrontativen CNN-Talkshow 'Crossfire’ waren die beiden ein Herz und eine Seele, schimpf- ten gemeinsam auf die "neue globale High-Tech-Ökonomie". Lester Brown, als Kopf des 'Worldwatch Institutes’ eine Ikone der amerikanischen Ökoszene und eigentlich als links ver- ortet, schloss sich einer Initiative gegen den Zuzug von Ausländern an. Rifkin mobilisierte 200 religiöse Führer gegen die Gentechnik, darunter auch traditionell rechtsstehende Prediger.

    Beim Kampf gegen die Globalisierung sehen Maxeiner und Miersch an den radikalen Rändern immer mehr inhaltliche Einigkeit. Einer der Köche dieses gefährlichen Gesinnungseintopfes heißt Horst Mahler. Zur Galerie der Globalisierungsfeinde gehören aber auch der agile Bauer José Bové, der Schriftsteller Günter Grass, Bernard Cassen von 'Le Monde Diplomatique’, Jean Marie Le Pen von 'Front Nationale’, Jörg Haider und Viviane Forrester. Die Globalisierung, so orakelt Grass, vollzieht sich überall auf Kosten und zu Lasten der Menschen. Kurzum, eine dramatische Zunahme von Armut und Elend für weite Teile der Welt. Doch die Globalisierungsallergiker drehen am falschen Rad. Die meßbaren ökonomischen und sozialen Tatsachen belegen das glatte Gegenteil. Maxeiner und Miersch zählen einige auf:

    Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten 45 Prozent der Menschen in den Entwicklungsländern nicht genug zu essen. Am Ende des 20. Jahrhunderts waren es 18 Prozent. Die land-wirtschaftliche Produktion pro Kopf der Bevölkerung stieg von 1961 bis 2000 um 52 Prozent; und dies trotz des rasanten Bevölkerungswachstums. Die Lebenserwartung stieg im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts im globalen Durchschnitt von 55 auf 67 Jahre. Die Kindersterblichkeit wurde um die Hälfte reduziert. Zwischen 198o und 1997 entstanden knapp 800 Millionen neue Arbeitsplätze.

    Nach dem 'World Bank Atlas’ sind die Völker der Welt heute gesünder, besser ernährt und besser ausgebildet. Ländervergleiche der ökonomischen Statistiken ergeben: Je mehr Freihandel, desto höher das Wachstum und die Einkommen der Bürger. In Ländern mit hoher ökonomischer Freiheit gibt es weniger Arme, geringere soziale Unterschiede und weniger Korruption als in solchen mit staatlich gelenkter Wirtschaft. Die Globalisierungsängste seien uralt. Maxeiner und Miersch zitieren als Beleg für diese These den Geschichtsprofessor der Princeton University, Harold James:

    Unter Historikern ruft die Globalisierung ein starkes Déjà-vu-Erlebnis hervor. Das haben wir vor 100 Jahren schon einmal erlebt: Auch damals gab es große Errungenschaften, materiellen Fortschritt, schwindelerregende neue Technologien wie das Automobil, das Telefon, die Schreibmaschine - und Proteste gegen eine Welt, die sich der Kontrolle traditioneller politischer Institutionen entzog. Auf diese Entwicklung reagierten damals wie heute vor allem die reichen, industrialisierten und weniger die armen, an den Rand gedrängten Länder. Es waren die hoch entwickelten Länder, die Schutzzölle gegen die 'unfaire’ ausländische Konkurrenz einführten. Um die ungeordneten Kapitalflüsse zu lenken, wurden Zentralbanken etabliert. Die Migrationpolitik wurde restriktiver, große Einwanderungsländer begannen über eine Selektion der Einwanderungswilligen zu diskutieren.

    Miersch und Maxeiner weisen darauf hin, dass auch damals die Globalisierung von Linken und Rechten mit identischen Argumenten bekämpft wurde. Kommunisten, Faschisten und Nationalsozialisten predigten die Abschottung der Nationalstaaten als Bollwerk gegen fremde Waren, ausländische Unternehmen und Einwanderer. Wie heute breitete sich die Angstkampagne gegen die Globalisierung in Windeseile aus. Als symptomatisch für die gefährlichen, irrationalen und militanten Ideologen in der Bewegung gegen die Globalisierung haben Miersch und Maxeiner den Neonazi Horst Mahler ausgemacht. Er hat ganz links angefangen, ist ganz rechts gelandet und verkörpert geradezu idealtypisch den Geist des Antikapitalismus und Antiliberalismus:

    FDJ, Burschenschaft, SPD, SDS, APO, PLO (Jordanien), RAF, KPD, FDP, NPD: Die wechselnden Mitgliedschaften dieses Mannes lesen sich wie ein Warenhauskatalog für Weltanschauungen. (...) Seine Ressentiments sind die gleichen geblieben und seine Teufel auch: Amerika, der Kapitalismus, der Liberalismus.

    Der Gedanke, dass die Zukunft besser sein könnte als die Gegenwart, klingt für viele, nicht nur für verbohrte Ideologen wie Mahler und Co., wie eine verrückte Utopie. Maxeiner und Miersch glauben daran, denn:

    ... alle sozialen Reformen der Geschichte, jeder demokratische Fortschritt, jede technische Verbesserung wurden von Menschen verwirklicht, die an die Zukunft glaubten und nicht ständig auf die potentiellen Risiken starrten. Die Menschheit hat ihre Möglichkeiten dank Wissenschaft, technischem Fortschritt und dem Siegeszug der Demokratie immer weiter ausgeweitet. Und deshalb ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Zukunft offen bleibt.

    Das neue Opus von Maxeiner und Miersch ist in diesem Sinne ein Aufruf an alle Optimisten, den Bremsern, Bedenkenträgern und Ideologen nicht weiter das Feld zu überlassen.

    Dirk Maxeiner und Michael Miersch: "Die Zukunft und ihre Feinde. Wie Fortschrittspessimisten unsere Gesellschaft lähmen." Erschienen im Eichborn-Verlag in Frankfurt am Main. Es hat 230 Seiten und kostet 19,90 Euro.