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Dirks: "Ich freue mich über den Erfolg" des Dreiteilers

Der Erfolg der ZDF-Serie "Unsere Mütter, unsere Väter" wundert Liane Dirks nicht. Sie habe in ihren Biografie-Seminaren sehr viele Menschen sitzen, die von ihren traumatischen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg erzählen wollen, "um damit am Ende ihres Lebens zurechtzukommen", so die Autorin.

Liane Dirks im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 20.03.2013
    Stefan Koldehoff: Seit Langem scheint kein Fernsehfilm mehr die Generationen so zu bewegen wie die Serie "Unsere Mütter, unsere Väter", deren dritter Teil heute Abend im ZDF zu sehen ist, auch wenn diese Serie bisweilen die Grenze zu Kitsch, Klischee und Selbstmitleid nicht nur streift. Für die jüngere, die Nachkriegs-Generation, die diese Filme über den Krieg sieht, mag das zu verstehen sein: Mit 1968 begann die Abgrenzung der Täterkinder von ihren Eltern. Nun aber ist die Enkelgeneration erwachsen und nutzt die letzte Chance, mit noch lebenden Zeitzeugen zu sprechen. Aber auch die, die den Krieg selbst erleben mussten – und sei es nur als Kinder -, saßen und sitzen vor dem Fernseher: insgesamt 7,22 Millionen Menschen allein bei der ersten Folge. Die Schriftstellerin Liane Dirks ist selbst Autorin hochgelobter Romane. Sie schreibt aber nicht nur ihre eigenen Bücher, sondern hilft auch anderen Menschen dabei, deren Erinnerungen aufzuschreiben. Liane Dirks habe ich vor der Sendung gefragt, ob sie der Erfolg der ZDF-Serie wundert.

    Liane Dirks: Nein, Herr Koldehoff, sie wundert mich gar nicht. Ich habe so viele Menschen in meinen Biografie-Seminaren sitzen, die mit diesem Thema zu tun haben, die erzählen wollen zum einen, was ihnen geschehen ist im Krieg und die es detailgenau erzählen und erinnern wollen, um sich in der Regel davon etwas zu befreien, um damit am Ende ihres Lebens zurechtzukommen, wenn das wieder wach wird. Und zum anderen bewegt es sehr unsere Generation, weil wir uns ja auch immer mehr fragen, welche Muster sind von diesen Eltern unbewusst weitergegeben worden, was wirkt in uns, und ich spüre einfach, dass das immer mehr merken und zum Glück auch – und deswegen freue ich mich über den Erfolg dieses Dreiteilers -, zum Glück auch daran arbeiten, voranzuschreiten, also es besser zu machen, um es einfach zu sagen.

    Koldehoff: Wenn man den Soziologen glaubt, dann gab es nach _45 mal erst die große Verdrängung, dann kam 67 mit der Forderung, wir müssen reden, danach die Distanzierung der Kinder-Generation von der Eltern-Generation. Was treibt diese ältere Generation im Jahr 2013 dazu, sich jetzt doch zu öffnen' Was ist da passiert?

    Dirks: Die haben ein Trauma erlebt und dieses Trauma hat sehr lang gedauert und der normale Rhythmus ist genau dieser: das Abkapseln, das erst mal verdrängen, andere Kraft suchen, sich gesellschaftlich aufbauen. Und dann werden sie alt und das Abgekapselte wirkt und rumort in ihnen und wird wach. Und dieses wach werden ist ein gutes Zeichen, denn das will ans Licht. Es will gesagt werden und ich benutze das pathetische Wort: es will Heilung her. Und diese Heilung geht nur – und das ist auch das Tolle an diesem Dreiteiler -, wenn wir wirklich alles angucken in seiner Differenziertheit. Das ist ein großer Akt. Ich bewundere all diese Leute, die das machen. Wenn ich also angucke, dass ich nicht nur Opfer war, sondern auch Täter und auch zwischendrin ein Butterbrot gegessen habe, ja, oder meine Seidenstrümpfe gestopft habe. Aber diese ganze Bandbreite, die das hat, und dies in meinem Leben endlich einbetten zu können, das ist der Hauptaspekt, also mit der Ganzheit leben zu können, und darum geht es jetzt.

    Koldehoff: Und mit dem will man sich tatsächlich nach so vielen Jahren auseinandersetzen' Das birgt nicht vielleicht die Gefahr eines Relativismus, der da lautet, die Zeiten waren eben so, oder wir konnten ja nicht anders, und dann ist die Kiste doch wieder zu, man hat was gesagt, aber nicht wirklich aufgearbeitet?

    Dirks: Ja ich weiß, was Sie meinen. Ich verstehe es aber anders und ich glaube, diese Zeiten hatten wir. Wir hatten das "Kind sei ruhig, Du warst nicht dabei, ich hab's erlebt und wir waren alle Opfer". Und jetzt rumort was anderes, und das zeigt auch die Kraft, die unsere Gesellschaft im Moment hat. Das finde ich sehr positiv, wirklich die Differenziertheit auszuhalten. Und diese alten Menschen, die sich jetzt noch öffnen, ich will nicht sagen, die möchten was mitteilen, die müssen. Es ist ein Zwang in ihnen, sie werden nicht anders frei. Ich habe wirklich Menschen vor mir sitzen, die kommen und sagen, ich kann keine Nacht mehr schlafen. Und nach einer Woche, indem sie das niedergeschrieben haben, gehen die fast hüpfend davon, weil sie es endlich das, was fassungslos war, in eine Form haben bringen können. Erzählen und schreiben bedeutet, ich kann formen, was mich völlig überfordert hat. Das reicht, die wollen keine Bücher machen. Es geht wirklich darum, endlich kann ich mit dem, was mich ständig überfordert hat, etwas herstellen, zu dem ich sagen kann, so war's, damit darf ich einigermaßen abschließen und vielleicht sogar es übergeben der Nachfolgegeneration.

    Koldehoff: Und das ist auch die Erklärung dafür, dass das einfache Gespräch nicht reicht, sondern dass es die Schriftform, die Literatur braucht?

    Dirks: Ja. Ich plädiere sehr dafür, von Menschen, die das auch wirklich können und die sich auch trauen, so was auszuhalten, und es vor allen Dingen – und das ist so wichtig; das möchte ich allen sagen, die das machen wollen -, es ins ganze Leben einzubetten. Denn diese Leute, die das erlebt haben, hatten oft hinterher viel Kraft und viel Positives geleistet, und nur dann hält man aus, was man Traumatisches erlebt hat. Sonst kann das auch furchtbar werden, wenn das wieder wach wird. Aber diese Schriftform ist noch mal größer als ständig repetieren, das und das ist mir widerfahren. Und das ist auch der Unterschied zu dem, was Sie eben meinten, dass man sich dann immer wieder entschuldigt, sondern hier heißt es dann wirklich hingucken und wo ist mein Anteil gewesen. Und wahrhaftig Mensch sein heißt Verantwortung übernehmen.

    Koldehoff: Die Autorin und Schriftstellerin Liane Dirks über die heilende Wirkung der Erinnerung.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.