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Discount statt Denkmalschutz

Shopping-Center scheinen die Erfüllung aller Träume der Kommunalpolitik zu sein: Die Bürger bekommen eine neue Event-Location, Investoren werden angelockt und jede Menge Kaufkraft soll freigesetzt werden. Doch die Gegner der Konsumtempel geißeln den zunehmenden Verkehr in der City und die Zerstörung des Einzelhandels. Ein heftig umstrittenes Projekt eröffnet jetzt in Braunschweig: das Shopping-Center in den ehemaligen Schlossarkaden.

Von Christian Thomas | 27.03.2007
    Etwa zwanzig Schritte für den Maßstabsprung. Denn so weit darf man sich ergehen, um in den Braunschweiger Schloss-Arkaden nichts weniger als das Schloss hinter sich zu lassen. Das Foyer gleich hinter dem monumentalen Mittelportal ist ein noch nie gesehener Vorhof in eine andere Welt, die jeder Mensch kennt, aber kein Mensch hier so rasch erwartet hätte. Er ist so etwas wie eine Schnittstelle zwischen dem wiederbelebten Glanz der Welfen-Residenz und einer hochaktuellen Residenz der Waren. Denn mit den Braunschweiger Schloss-Arkaden ist auf rund dreißigtausend Quadratmetern im Zentrum der Stadt ein kolossaler Hybrid errichtet worden, mit rund 130 Geschäften auf drei Geschossen, mit städtischer Bücherei, städtischem Museum, Stadtarchiv, Ballsaal und sechzehnhundert Parkplätzen.

    Ob schnöder Schloss-Fake oder schieres Konsumtempel-Faktum: Daran entzündete sich die Braunschweiger Stadtschloss-Debatte, seitdem bekannt wurde, dass das kriegszerstörte und erst im Jahre 1960 abgebrochene Schloss wieder aufgebaut werden sollte. Nicht aus Ruinen - denn die Geschichtsvergessenheit der jungen Bundesrepublik hatte auch in Braunschweig radikal abgeräumt. Obendrein war bei dem Neubau nie an einen reinen Solitär gedacht, zur Kräftigung des Nah- und Ferngedächtnisses in der Welfenstadt, sondern immer auch an einen umbauten Raum zur Stärkung der Kaufkraft.

    Mit ihren Schloss-Arkaden drängt die Shopping-Architektur auch in Braunschweig hinter eine zweifellos aufwendig ausgestattete Fassade. Die banale Schachtel- und Kistenarchitektur der achtziger und neunziger Jahre, die sich an den innerstädtischen Einkaufsstraßen auffädelte, ist längst durch gestalterischen Aufwand abgelöst worden. Tatsächlich handelt es sich bei dem neuen Braunschweiger Schloss nicht um eine dünne Sandsteintapete, sondern um eine unter bautechnischen Gesichtspunkten ernst zu nehmende Rekonstruktion. Das historische Schloss Carl Theodor Ottmers aus den 1830er Jahren ist exakt rekonstruiert worden. Was von dem Baukörper 1:1 wiedererstand, vom bossierten Sockelgeschoss bis zur Attika, von den Gesimsbändern über die Fensterverdachungen bis zum Giebelfeld ist sicherlich eine zünftige Rarität. Die Sandsteinfront besteht aus keiner auswechselbaren Vorhangfassade, sie ist vielmehr die einer Stahlbetonkonstruktion tatsächlich vorgemauerte Schaufront in spätklassizistischer Manier.
    Nicht zuletzt konnten dem Baukörper immerhin 650 historische Fundstücke einverleibt werden. Die dunklen Spolien, darunter besonders auffällig gewaltige Säulentrommeln und Kapitelle, sind in den hellen Sandsteinverbund integriert wie Abdruckstellen aus einer konfliktgeladenen Vergangenheit. Wegen dieser offenkundigen Erinnerungsspuren sollte man bei dem Nagel-Neubau aus dem Berliner Architekturbüro Grazioli und Muthesius nicht von einem Augentrug-Schloss sprechen.

    Doch aller gestalterische Ehrgeiz der bekennenden Modernisten Grazioli/ Muthesius, alle handwerkliche Liebesmüh vor allem der polnischen Steinmetze, die auch beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche mitwirkten: Die penible Investition in eine Welfenschlossanmutung wird überformt von einer Primärabsicht, die den Aufwand ums Einstige in Kauf nimmt. Als aktuelle Begleiterscheinung, wie ein Mitbringsel aus einer anderen Zeit. Das ganze Dilemma wird nirgendwo so deutlich wie dort, wo das Welfenschloss einst seine kuppelbekrönte Rotunde hatte - und wo jetzt zwanzig Schritte zu einem Maßstabsprung werden, wenn ein architektonisch zweifellos aufwendiger ansprechender Korridor in die monumentale Shoppingmall überführt.
    Das ECE-Projektmanagement als Investor der Schloss-Arkaden und als Regent der Shoppingmall, spricht davon, dass "modernes Einkaufserlebnis und klassisches Ambiente organisch vereint" würden. Tatsächlich steht kein Mensch in Braunschweig vor einer solch naturgemäßen Verbindung. Vielmehr ist er konfrontiert mit einem Clash der Konfessionen, der das alte Europa und die Neue Welt, die Reminiszenz an eine europäische Residenz und das amerikanische Shopping-Mall-Prinzip zusammenzwingt. Es ist also vielleicht angebracht, von einem exquisiten Kampfplatz zu sprechen und bei den Braunschweiger Schloss-Arkaden von einer neuartigen Form der Arena-Architektur.