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Diskrete Attentate auf die Welt der Museen

Im New Yorker Guggenheim Museum tapezierte er vor zwei Jahren eine Wand mit 100.000 Ein-Dollar-Scheinen. Hans-Peter Feldmann stellt Alltägliches in den Mittelpunkt seiner Kunst und provoziert Museen und Publikum immer wieder mit seinen außergewöhnlichen Ideen. Seine Werkschau ist jetzt in Hamburg zu sehen.

Von Carsten Probst | 28.02.2013
    Hans-Peter Feldmann ist ein inspirierender Künstler, und das durchaus nicht nur für andere Künstlerkollegen. Die Ideen hinter seinen Arbeiten sind von verführerischer Einfachheit, wenn er sich den Mysterien des Alltags, und seine Kunst scheint lediglich darin zu bestehen, dass er etwas mehr Mut aufbringt, aus Gedankenbildern echte Bilder werden zu lassen, sodass man sofort bereit ist, ihn zu bewundern für die Verschmitztheit und den Scharfsinn und auch die eigentümliche Mischung aus Ironie und Ernst, die Werk und Person seit jeher auszeichnet. Die Idee, unbekannten Frauen für 500 Euro ihre Handtaschen abzukaufen, um den Inhalt hernach in Vitrinen auszustellen, balanciert beispielsweise auf dieser Grenze von Respektlosigkeit und Feingefühl, die man sich als Haltung für den Alltag nur allzu oft von sich selbst wünschen würde, die aber ungestraft eben nur im Bezugssystem Kunst funktionieren kann. Nicht anders verhält es sich mit Feldmanns Aktion, sich die 100.000 Dollar, die er 2010 als Preisgeld für den Hugo Boss Prize erhalten hat, in Ein-Dollar-Noten auszahlen zu lassen und damit ein komplettes Kabinett des Guggenheim Museums in New York zu tapezieren. Auch hier lässt es der Künstler wieder exemplarisch an Respekt, diesmal für den Wert des Geldes fehlen – wie viele arme Leute könnte man schließlich damit für ein Jahr vermeintlich glücklich machen –, zugleich aber erfährt man auf andere Weise viel mehr über die schiere Menge dieses Geldes und seinen Bezug zur Kunst, als wenn er es einfach weiterverschenkt hätte.

    In dieser Hinsicht ist es durchaus nicht dasselbe wie etwa bei Andy Warhol, der einst eine Dollarnote signiert, und damit als Kunstwerk deklariert hat. Bei Feldmann ist die Unterscheidung von Kunst und Nichtkunst egal. Er nimmt das Geld, wie es ist und kehrt die Botschaft heraus, die es von sich aus besitzt. Wenn Hans-Peter Feldmann sagt, für ihn sei auch die Kopie ein Original, und auch wenn Dinge zehntausendfach hergestellt würden, sei das Einzelding für ihn immer noch Original, dann ist etwas anderes gemeint als bei Warhols Stapeln aus Brillo-Boxen oder Campbell-Suppendosen. Feldmanns Bilderserien und Hefte exemplifizieren früh, dass A nie gleich A ist. Es gibt bei Feldmann keine Identität, sondern allenfalls Variationen, größere oder kleinere, die immer Gegenstand der Interpretation sind. Seine Kopie von Michelangelos "David" erkennt man sofort, aber sie ist deutlich anders in ihrem obszön-rosa angestrichenen Epoxidharzverschnitt mit blondierten Haaren. Sie steht stellvertretend für Feldmanns diskrete Attentate auf die Welt der Museen.

    Den riesigen Platz in der nördlichen Deichtorhalle hat Feldmann genutzt, um seinerseits eine Vielzahl von Variationen von Bildern auszubreiten. So groß, sagt er, hat er bisher noch nie ausgestellt. Den gesamten Parcours hat er selbst kuratiert und einige Mühe darauf verwendet, wie er sagt, die Halle mit dem ganzen Krempel aus seinem Archiv vollzukriegen. In der Summe ergibt sich ein begehbarer Bildatlas, und alles spricht für sich selbst, scheinbar, es ist ein ständiges unverwandt-heiteres Wiedererkennen, fast bis zur Ermüdung: Fotoserien von ungemachten Betten, Erdbeeren, Wolken, Kühlschrankinhalten, Armaturenbrettern von Autos, Waschmaschinen, Frauenbeinen, die unter Miniröcken hervorschauen; Briefmarken, die Kunstwerke zeigen und selbst wie kleine Kunstwerke in Passepartouts eingerahmt sind; ein Sofakissen, wie eine Skulptur auf einem Sockel platziert; Schattenspiele mit Alltagsdingen und Kirmesfiguren; fotografierte Brotscheiben, eine Sammlung von Aufmacherseiten zum 11. September 2001 (die deswegen korrekterweise "9/12" heißt); ein überdimensionales Papierschiffchen, ein Holzmann, der beständig aus der Stelle läuft. Und in der hintersten Ecke eines Kabinetts ein Teppich, auf dem eine kleine Modelleisenbahn einsam im Kreis fährt.

    Nicht jede Idee dieser meist nach dem Jahr 2000 entstandenen Ideen ist neu, nicht immer wirkt die Lakonie der Ausführung verblüffend oder erhellend, nicht immer entgeht Feldmann der Neigung zum Selbstzitat. Doch dieses beständig weiter wachsende Werk ist in sich einzigartig in Deutschland. Es füllt mehr als nur eine Nische, sondern nährt sich reichlich vom heiligen Ernst der deutschen Nachkriegs- und Nachwendekultur und schenkt jedem, der es will, ein befreiendes Lachen.